Ausgabe 2 - 2003 berliner stadtzeitung
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Karriereziel: Deutsch

Von Chipkarten, Einkommensnachweisen und dem Singen der Nationalhymne

Foto: Veronika Friebe

Jeden letzten Montag im Monat findet sich eine Handvoll Ausländer im BVV-Saal des ehemaligen Rathauses Tiergarten ein. Dort überreicht ihnen der Bürgermeister von Mitte, Joachim Zeller, eine Urkunde: die deutsche Staatsbürgerschaft. Händeschütteln, Klatschen. Nicht alle Ausländer, die mit diesem seltsamen bürokratischen Akt zu Deutschen werden, sind gekommen. Viele wollten nicht auf das Monatsende warten und zogen es vor, die Papiere, sofort nachdem sie ausgestellt wurden, nach Hause geschickt zu bekommen. Was man hat, das hat man.

Einige der Anwesenden sind ehemalige Gast- oder Vertragsarbeiter, andere haben ihre Karriere zum deutschen Staatsbürger als politische Flüchtlinge begonnen. Rund zwei Drittel der Eingebürgerten werden nach Zellers Schätzung schon in Deutschland geboren und dürften die Bundesrepublik besser kennen als ihr Bürgermeister, der erst seit 1990 dabei ist. Aber egal, ob sie schon immer, seit Jahrzehnten oder erst seit einigen Jahren in Deutschland sind, ob sie schikaniert oder still geduldet werden, als „vorbildlich integriert" oder gar als „kulturelle Bereicherung" gelten ­ bis zu diesem Tag gehörten sie nicht dazu.

Zu den Voraussetzungen für die Einbürgerung gehören in Berlin in der Regel ein polizeiliches Führungszeugnis und Sprachtests; ab 24 Jahren ist ein „geregeltes Einkommen" nachzuweisen, und es gilt als Fortschritt, daß seit Juli letzten Jahres nicht mehr schon ein vermuteter „Bedarf" an Sozial- und Arbeitslosenhilfe, sondern nur noch der tatsächliche Bezug solcher Leistungen das Prädikat „einbürgerungsschädlich" nach sich zieht. Politisches Engagement im Herkunftsland ist nicht gern gesehen, die Entlassung aus der alten Staatsangehörigkeit in der Regel unerläßlich. Denn die Tatsache, daß jemand zu zwei Ländern gehört, wird nach wie vor lieber ignoriert.

Die gesamte ausländerpolitische Diskussion der letzten Jahre dreht sich um das Problem der eindeutigen Zugehörigkeit, um die Frage also, wie Ausländer zu Deutschen werden können, zu ganzen Deutschen und zu nichts als Deutschen. Diese Diskussion fängt beim Staatsangehörigkeitsrecht an und endet beim schillernden Begriff der Integration, den auch wohlwollende Liberale gern im Munde führen. Integration war einmal als Aufforderung an die Alteingesessenen gemeint gewesen, das Fremde und Neue nicht länger auszuschließen. Inzwischen ist sie Aufgabe der Fremden und bedeutet selten etwas anderes als Anpassung: Teilhabe nicht etwa an der Gesellschaft Deutschlands, die sich mit jedem Teilhaber ändert, sondern an einer deutschen Gesellschaft, der man sich anzuschließen hat.

Tatsächlich gibt es viele Ausländer ­ wie übrigens auch Deutsche ­, die nicht dazugehören wollen. Das hat seine Gründe. Einige wurden als Flüchtlinge an der Grenze gejagt, in der Stadt mußten sie sich vor jedem Polizisten ducken. Manche landeten in Gefängnissen, wo sie viele Monate wie Verbrecher auf ihre Abschiebung warteten. Sie wurden mit jahrelangem Arbeitsverbot belegt, Geld bekamen sie nur in Form von Gutscheinen oder Chipkarten, eine pro Familie; eine Wohnung gab es nur mit Kaution, die ihnen das Sozialamt nicht bezahlte. Sie lebten kaserniert und ohne das Recht, auch nur einen Schritt aus dem Bereich des zuständigen Amtsbereichs zu tun. Als Einwanderer erhielten viele eine Arbeit nur mit Aufenthaltserlaubnis, für die sie einen Unterhaltsnachweis vorweisen mußten. Den aber erhielten sie nur mit einer Arbeitsstelle. Andere kamen nicht in die Krankenkassen ­ oder nur als „Touristen", mit einem Recht auf Unfallbehandlung einmal pro Jahr. Der Besuch der AOK ist für diese Menschen ein Graus, aber noch schlimmer ist der Gang zum Ausländeramt, wo selbst alteingesessene Gastarbeiter, deren Kinder und sogar Enkel, gezwungen sind, oft mehrmals im Jahr in den langen Schlangen auf ein Papier zu warten.

Verbesserungen wären leicht zu haben. So beschloß vor einigen Wochen die Berliner Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner eine Sparmaßnahme besonderer Art: den Ausstieg aus dem teuren Chipkarten-System. Die Sozialämter fast aller Bezirke folgten ihr nach; außer in Reinickendorf und Spandau ­ sowie in Neukölln, das mit Gutscheinen arbeitet, und in allen Heimen mit Vollverpflegung ­ erhalten die Asylbewerber wieder Bargeld. Gleichzeitig kündigte die PDS-Politikerin an, einige tausend Flüchtlinge aus den Heimen zu holen und in Privatwohnungen unterzubringen.

Auch dies ist eine Sparmaßnahme, gleichzeitig ist es aber Integration im besten Sinne. „Eine Rückkehr zur Normalität", kommentiert Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John. Auch der Leiter des Sozialamts von Mitte, Christian Hanke, befürwortet die Wohnungsunterbringung von Asylbewerbern. Aber sogleich wittert er das nächste „Integrationshemmnis": In bestimmten Stadtteilen würden sich die „sozialen Probleme" ballen. Er erinnert an die Achtziger, als man versuchte, solche Entwicklungen mit Zuzugssperren zu bremsen. „Das war juristisch nicht haltbar", stellt er fest, und fast könnte man Bedauern heraushören.

Im Rathaus Tiergarten ist von solchen Sorgen wenig zu spüren. Die „feierliche Zeremonie" ist lieb gemeint, der Bürgermeister ist freundlich und angenehm unpathetisch, fast lakonisch. Hier wird nicht, wie in Charlottenburg-Wilmersdorf üblich, die Nationalhymne gesungen, auch von Ghettobildung ist nicht die Rede. Selbst das Sprachproblem hält sich in angemessenen Grenzen: Wenn einer etwas nicht versteht, wird es eben wiederholt. Integration ist hier das, was sie sein sollte: Ein Angebot, das nicht einmal ausgesprochen werden muß. Es reicht ein Papier, der Rest ist Privatsache.

Johannes Touché

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