Ausgabe 2 - 2003 berliner stadtzeitung
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Ich koste, also bin ich

Wenn die Schuldner nicht bezahlen, wird der 36jährige Konkurs anmelden. Etwa 600000 Euro Außenstände haben sich bei dem Berliner Künstler Peter Kees angesammelt. Zu seinen Gläubigern gehören der Regierende Bürgermeister, der Bundeskanzler, die Post, die Deutsche Bahn und weitere große Unternehmen. Mit deren Zahlungsmoral ist es nicht besonders weit her.

Im Dezember vergangenen Jahres startete Kees, der sich selbst als „sozialer Plastiker" versteht, seine Aktion „Ich-AG". Er gründete eine solche und sah sich alsbald einem gewissen wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt. Um das Anfangskapital aufzustocken, begann der frischgebackene Unternehmer deshalb, Zahlungen für bereits erbrachte Leistungen einzufordern. Zunächst stellte er der Bundesregierung seine Lebenszeit mit einem Euro pro Tag in Rechnung. Zuzüglich diverser demokratischer Aktivitäten und der Aufwertung der Bundesrepublik infolge künstlerischer Tätigkeiten entfallen allein auf diesen Gläubiger fast 90000 Euro.

Denkt man wie Peter Kees die Kommerzialisierung des menschlichen Zusammenlebens konsequent zu Ende, erweist sich schnell ihre Absurdität. Seine Schwejksche Methode sei hiermit dringend zur Nachahmung empfohlen. Denn im Unterschied zum menschlichen Individuum stellt eine Ich-AG irgendeine Art von Rechtsform dar. Die Rechte des Menschen sind im Grundgesetz geregelt. Und welche Rechte hat eine Ich-AG? Was verbirgt sich eigentlich hinter der Abkürzung AG? Heißt das Aktiengesellschaft? Arbeitsgemeinschaft? Arbeitsgruppe? Arbeitgeber? Kann z.B. eine Ich-AG in den Arbeitgeberverband eintreten und sich an den Tarifverhandlungen beteiligen?

Unter diesem Aspekt gewinnt die Gründung einer Ich-AG zunehmend an Attraktivität. Für das Unternehmen Mensch wären die alltäglichen Aktivposten nur noch im Hinblick auf ihre Wirtschaftlichkeit zu betrachten. Im zwischenmenschlichen, sozialen oder karikativen Bereich liegen in dieser Hinsicht viele ungehobene Schätze. Nicht umsonst heißt es, man solle in eine Beziehung „investieren". Denkbar wäre hier die Gründung einer Kapitalgesellschaft, mit der Beziehungsrücklagen zu bilden sind. Die Risiken einer Beziehungsinsolvenz würden damit minimiert. Bei jedem Ehekrach steigen allerdings die Überziehungszinsen. Nicht auszudenken, was passiert, wenn die Bank pleite geht.

In jedem Fall aber stellt die Ich-AG einen Wirtschaftsbetrieb dar, und kein Wirtschaftsbetrieb kann sich Verschwendung leisten. Der Kreativität beim Aufspüren verborgener Ressourcen sind keine Grenzen gesetzt. Der größte Aktivposten in unserer Bilanz ist die Zeit: Zeit ist Geld. Post, Bundesbahn oder BVG, Sozial- und Arbeitsamt, sie alle fressen ungeniert kostbare Lebenszeit. Wertvollstes Gut geht so unwiederbringlich verloren. Wer dies in Rechnung stellt, sollte auch gleich den bürokratischen Aufwand mit veranschlagen. Ich habe Kosten, also bin ich. Leben kostet Geld. Leben kostet Zeit und Kraft und Nerven, und wenn es am Ende zur großen Abschlußbilanz kommt, kostet das Leben auch noch das Leben. Nicht mal der Tod ist umsonst und steuerfrei.

Doch bis dahin muß unsere Ich- AG konkurrenzfähig bleiben, wirtschaftlich handeln und flexibel auf Anforderun-gen des Marktes reagieren. Wenn die Nachfrage Umsatz verspricht, dürfen keine ethischen oder moralischen Grundsätze die Verdienstmöglichkeiten beschränken, auch wenn das bedeutet, die eigene Haut zu Markte zu tragen. Jede Investition muß sich rentieren, jedes Wirtschaftsgut amortisieren, und sei es noch so geringwertig.

Die Berliner Senatskanzlei sieht das jedoch anders. Die Gründung einer Ich-AG stelle keine Anspruchsgrundlage dar, aufgrund derer der Gründer einen finanziellen Ausgleich beispielweise für seine Anwesenheit in Berlin oder seine künstlerischen Betätigungen geltend machen könne, schrieb der zuständige Mitarbeiter an den Künstler. Aber vielleicht will sich der Senat nur um die Zahlung drücken. Es ist ja allgemein bekannt, daß Berlin in der Vergangenheit eben nicht gut gewirtschaftet hat und schlichtweg pleite ist.

Christine Schettinger

> Die Dokumentation zu dem Projekt „Ich-AG" von Peter Kees ist noch mindestens bis zum 14. März in der Belforter Straße 9, Prenzlauer Berg, freitags von 15 bis 20 Uhr zu sehen.

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