Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
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Wir brauchen hier alles ­ nur keinen Krieg

Streifzüge im „Reich des Bösen"

„Du fährst in den Irak?" Ungläubig wird man angeschaut, wenn man dieses Reiseziel im Freundeskreis bekanntgibt. Auch der aufgeklärte Zeitgenosse, der sich seine tägliche Propagandadröhnung nicht aus der Springerpresse holt, muß doch arg schlucken, wenn man ihm sagt, daß man gerade in jenes Land fahren will, das seit Monaten unangefochten den ersten Platz der Hitliste der „Schurkenstaaten" anführt. Man macht sich zwar lustig über die doch recht plumpe Kriegspropaganda. Aber selber hinfahren und den Menschen in die Augen sehen, die demnächst vom Pentagon als militärische Ziele ausgewählt werden könnten, das will man dann doch nicht. Schließlich ist eine Reise nach Bagdad in diesen Tagen auch nicht so unbeschwerlich, wie es Touristen heute gewohnt sind. Das Embargo macht Direktflüge unmöglich. Nur über die jordanische Hauptstadt Amman, eine der Drehscheiben im Nahen Osten, kann man Bagdad sowohl per Bus als auch per Flugzeug erreichen. Auf der Hinfahrt entscheiden wir uns für die schnellere Variante.

Der erste Eindruck im „Reich des Bösen" ist beinahe enttäuschend banal. Ein heller, moderner Flughafen, der in Fragen des Komforts und der Geräumigkeit mühelos mit Tegel oder Schönefeld konkurrieren könnte, empfängt die wenigen Passagiere. Dezente Musik läßt die Zeit bei der Visumausgabe schneller vergehen. Nicht ganz so diskret, aber auch nicht besonders bemerkenswert ist das Portrait von Staatschef Saddam Hussein, nach dem der Flughafen auch benannt ist. Schnell sind die Formalitäten erledigt. Jetzt müssen nur noch sämtliche Handys numeriert und eingesammelt werden. Der Irak ist eines der wenigen Länder, in denen die Benutzung von Mobiltelefonen nicht möglich ist. Obwohl die Aufforderung, sein Handy abzugeben, sehr bestimmt vorgetragen wird, bleibt die Nichtbeachtung ohne Folgen. Mein Handy zumindest bleibt während des gesamten Irak-Aufenthalts im Rucksack. Ich will mir ja nicht hinterher vorwerfen lassen, mich den Bestimmungen einer Diktatur gebeugt zu haben.

Dann geht es ins Rashid-Hotel. Für nicht wenige Mitreisende ist es ein Kulturschock, in dieser Luxusherberge zu übernachten. Das wird nur leicht gemildert durch die Gelegenheit, Bush senior, den obersten Befehlshaber der USA im letzten Golfkrieg und Vater des jetzigen US-Präsidenten, mit Füßen zu treten. Sein Konterfei prangt auf einem großen Fußabtreter am Hoteleingang. Livrierte Diener immer und überall, die einem mit serviler Freundlichkeit die Fahrstuhltür aufhalten. Das Untergeschoß ist weihnachtlich geschmückt, schließlich feiern hier die wenigen Auslandsjournalisten das Weihnachts- und Neujahrsfest. „Den Kontakt zur Bevölkerung finden wir hier sicher nicht", scherzt ein Mitreisender.

Doch schon am nächsten Tag steht ein Bad in der Menge auf dem Programm. Wie eine offizielle Staatsdelegation, vorneweg ein Jeep mit Blaulicht, geht es nach Saddam-Stadt, dem Armenstadtteil von Bagdad. In den letzten Jahren wurden hier vor allem Schiiten aus dem Süden des Landes angesiedelt, so daß sich die Einwohnerzahl des Stadtteils stark erhöhte. Selbst aus dem Bus ist die Armut der Bevölkerung zu sehen. Viele Kinder laufen trotz der gewiß nicht sommerlichen Temperaturen barfuß über die staubigen Wege. Am Zielort erwartet uns eine große Menschenmenge. Wir sind kaum ausgestiegen, schon werden Parolen skandiert. „Saddam, Saddam, unser Blut geben wir für dich", werden sie uns übersetzt. Dazu schwenken sie kleine Bilder des irakischen Staatschefs. Offensichtlich hat man Schulklassen aufmarschieren und Zustimmung zum Regime zelebrieren lassen. Bemerkenswert nur, daß die älteren Jugendlichen keine Parolen skandieren und die ganze Szenerie eher amüsiert beobachten.

Den Kontrast zu Saddam-Stadt erlebt man in der Innenstadt von Bagdad. Die Regierungsmeile kann es an Luxus durchaus mit jeder europäischen Stadt aufnehmen. In bemerkenswerter Eile hat das Land die Schäden aus dem ersten Golfkrieg beseitigt. Der Saddam-Turm, Stadion und Paläste sind auch nachts hell angestrahlt. Hier häufen sich die Konterfeis des Staatschefs, der auch sonst an allen Ecken und Plätzen in unterschiedlichen Posen zu betrachten ist. Mal sieht man ihn in Uniform als obersten Befehlshaber, ein paar Kilometer weiter im weißen Anzug mit Friedenstaube. Auch das Fernsehen hat abends zur besten Sendezeit Saddam Hussein im Programm. Geduld und Humor muß der Zuschauer schon mitbringen. Ca. 20 Minuten lang kann man verfolgen, wie eine Reihe von Militärs dem Staatschef huldigen, Hofknicks und Umarmung inklusive. Nach dem Ende der Zeremonie setzen sich alle an einen runden Tisch und konferieren. Anschließend wird ein erstaunlich modernes Lied zur Lobpreisung Saddams eingespielt und Bilder von Massenaufmärschen gezeigt.

In vielen Gegenden des Irak müssen die Bewohner allerdings auf die alltägliche Saddam-Sendung verzichten, weil sie schlicht kein Fernsehgerät besitzen. Die Menschen in Basra im Südirak haben auch ganz andere Sorgen. Alltägliche Stromausfälle und Schlangestehen für die lebenswichtigen Dinge des Alltags bestimmen ihr Leben. Die Spuren der letzten Kriege sind allgegenwärtig. Viele im Iran-Irak-Krieg zerstörte Häuser wurden nicht wieder aufgebaut. Dafür wurde den in diesem Krieg gefallenen Militärs ein Denkmal gesetzt. Am Ufer des Schatt-el-Arab sind die Soldaten in Lebensgröße als Denkmäler aufgereiht. Mit dem Finger zeigen sie auf die andere Seite der Küste, wo das iranische Gebiet beginnt. So als wollten sie zeigen: „Ihr seid schuld!"

Doch noch gegenwärtiger ist der Krieg zwischen den USA und dem Irak Anfang der neunziger Jahre. Im Mutter-Kind-Spital von Basra kann man ein besonders perfides Erbe des Krieges betrachten. Die Anzahl der Leukämieerkrankungen hat sich seit 1991 im Süden des Irak verfünffacht. Drei Prozent aller Neugeborenen haben schwerste Mißbildungen. Nicht nur irakische Mediziner sehen in dem gehäuften Auftreten von Leukämie und Mißbildungen Spätfolgen der ca. 300 Tonnen Uranmunition, die vom US-Militär in der Gegend um Basra eingesetzt wurde. „Wir können nur Schmerzen lindern. Doch retten können wir die Kinder nicht", meint ein Arzt resigniert. Dabei gäbe es Medikamente, die das Leben vieler dieser Patienten retten oder zumindest verlängern könnten. Wegen des Embargos dürfen sie in den Irak nicht eingeführt werden. Auch die von dem österreichischen Hilfsprojekt „Aladdins Wunderlampe" gekauften Zentrifugen zur Blutreinigung wurden von der Embargokommission auf Druck der USA zurückgehalten. So können die bei Leukämieerkrankungen lebenswichtigen Maßnahmen der Blutreinigung nicht durchgeführt werden.

In der Wüste rund um Basra liegen noch unzählige ausgebrannte Panzer. „Auf dem fluchtartigen Rückzug aus Kuwait wurden sie von der US-Militärmaschinerie abgeschossen wie die Hühner", erzählt ein Bewohner der Gegend, „die Zahl der Toten ging in die Zehntausende. Fast jeder hat hier Angehörige verloren". Um so erstaunlicher, wie scheinbar gleichmütig die Menschen hier angesichts der neuen Kriegsdrohungen gegen das Land leben und arbeiten.

„Die Menschen hier haben keine Angst. Sie kennen den Krieg", erklärt uns der irakische Vizepräsident Tarik Asiz. Er hatte mehrere ausländische Delegationen zu einer Audienz in einem Bagdader Hotel geladen. Es war klar, daß das Regime einen Propagandaauftritt inszenierte. Erheblich näher als das Statement des Vizepräsidenten kam man der Realität, wenn man mit der Bevölkerung ins Gespräch kam. So meinte ein alter Mann, der uns in einem Teehaus in Bagdad freundlich begrüßte: „Wir müssen hier leben. Wir haben keinen anderen Ort, wo wir hingehen können." Und er fügt hinzu: „Wir brauchen hier alles, nur keinen Krieg."

Peter Nowak

> Der Autor steht für Veranstaltungen zum Irak zur Verfügung (Kontakt über die scheinschlag-Redaktion)

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