Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
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Geld, Geld, Geld!!!

Franziska Gräfin zu Reventlows Der Geldkomplex. Roman, meinen Gläubigern zugeeignet

„B... meint, und ihr anderen am Ende auch, ich hätte längst die berühmte Erbschaft angetreten und damit das Weite gesucht. Nein, das stimmt nicht, der alte Herr ist ja noch nicht einmal tot. Aber jedenfalls kann es nicht lange mehr dauern, und das ist einer von den Gründen, weshalb ich hier bin – bitte, erschrick nicht – in einer Nervenheilanstalt, oder sagen wir lieber Sanatorium, das klingt immerhin noch etwas milder.

Sanatorium – ich seh' Dich und mit Dir alle die anderen verständnislos den Kopf schütteln. Ich bin auch nicht nervenkrank, nicht einmal besonders nervös, ich habe nur einen ´Geldkomplex'."

So berichtet die Ich-Erzählerin in einem Brief an ihre Freundin Maria und ist froh, sich auf diese Weise ihren Gläubigern für eine Weile entziehen zu können. Nun kann sie in aller Ruhe auf das warten, wovon sie sich die eigentliche Heilung von ihrem Geldkomplex, den ein „Freudianer" bei ihr diagnostiziert hat, verspricht: auf Geld nämlich. Um an dieses zu gelangen, war sie zum Schein eine Ehe mit einem „degenerierten Baron" eingegangen, der in Wirklichkeit wie ein „Seeräuber in Zivil" aussah und der heiraten wollte, „weil er fürchtete, sonst enterbt zu werden" und dafür die „Hälfte seines Erbes als Preis" aussetzte. In den Briefen an ihre Freundin schildert sie das Leben im Sanatorium, in dem sich bald ein kleines Grüppchen um sie bildet, dessen Gespräche vor allem ein Thema haben: Geld. Aber auch als der alte Herr endlich gestorben ist, gibt es noch jede Menge Hindernisse, die das Geld am Eintreffen hindern, so daß sich am Wartezustand nichts ändert. Hingegen reduziert sich die anfangs erhoffte hohe Summe auf den Pflichtteil. Doch irgendwann klappt es, die Bank gewährt einen Vorschuß. Die Protagonistin kann endlich das Sanatorium verlassen und sich auf ihre lang herbeigesehnte Reise begeben, die sie zwar nicht, wie anfangs gedacht, nach Siam, aber doch immerhin nach Monte Carlo führt. Leider währt das Glück nicht lang, sie wird zurückgerufen, die Bank ist zusammengebrochen. Nun gehört sie allerdings selbst zu den „Gläubigern – der verkrachten Bank natürlich – und das gibt dem Geld gegenüber einen ganz anderen Gesichtspunkt."

Was Franziska Reventlow hier in ihrem 1916 erschienenen Roman Der Geldkomplex schildert, kannte sie selbst aus eigenem Erleben nur zu genau. Als Tochter eines norddeutschen Grafen 1871 geboren, hatte sie mit ihrer Familie gebrochen und einem unabhängigen Leben den Vorzug gegeben. An Geldnot hat sie immer gelitten, und geschrieben hat sie vor allem um des Geldverdienens willen. Sie lebte in der Schwabinger Bohème, war mit den Kosmikern um Klage und Wolfskehl befreundet und alleinerziehende Mutter eines Sohnes, dessen Vater sie nie preisgegeben hat. In einer Zeit, in der es Frauen weder gestattet war, zu wählen noch eine Universität zu besuchen, lebte sie ihre Vorstellung eines eigenständigen Lebens jenseits der bürgerlichen Ehe als ökonomischer und sexueller Zwangsgemeinschaft. Auch dieser Roman konnte ihre prekäre finanzielle Situation nicht grundlegend verändern – sie starb zwei Jahre nach seinem Erscheinen mittellos in der Schweiz.

Der Geldkomplex ist ein unterhaltsam zu lesendes Buch, das sich auch gut – nicht zuletzt dank der schönen Gestaltung durch die edition ebersbach – als nicht ganz uneigennütziges Geschenk für stinkreiche Großtanten eignet ...

Carola Köhler

> Franziska Gräfin zu Reventlow: Der Geldkomplex. edition ebersbach, Berlin 2002. 13 Euro

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