Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
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Demokratie sparen?

Andreas Otto über die Arbeit der Berliner Bezirksverordnetenversammlungen

Die Berliner Kassen sind leer, und auch die Verwaltung soll abspecken. Strukturreformen sind schon lange überfällig. Vor allem das alte Berliner Problem, die unklare Kompetenzverteilung zwischen Senat und Bezirksgremien, schmerzt wie ein faulender Zahn. Bürgermeister Klaus Wowereit fordert nun, kurzerhand die Bezirksverordnetenversammlungen abzuschaffen. Wir sprachen mit dem Fraktionsvorsitzenden Andreas Otto von Bündnis 90/Die Grünen über seine Arbeit in der BVV Pankow.

Abschaffung der BVV ­ wäre es nicht besser, den Senat abzuschaffen?

Das geht nicht. Wir brauchen eine Landesregierung. Aber die kommunalen Zuständigkeiten müssen klar geregelt werden. Im Augenblick muß jeder Parkplatz, jede Ampel vom Senat bestätigt werden. Die Senatsverwaltungen sollten sich ausschließlich auf die Lenkungsaufgaben beschränken, die eine Landesregierung hat, also Gesetze erlassen und die Rahmenbedingungen festschreiben. Dann können die Kommunen darin arbeiten.

Das Motiv für eine solche Debatte ist immer, daß die Leute von ihren eigenen Problemen ablenken wollen. Der Anlaß für die Bezirksfusion z.B. war, daß der Senat in großen Schwierigkeiten steckte. Jörg Schönbohm und Klaus Böger, die damals die Matadoren waren, haben sich ausgedacht: Holla, machen wir doch eine Bezirksfusion! Vielleicht wird ja dabei auch noch Geld gespart! Die Einsparung ist übrigens bis heute nicht belegt. Aber für uns ist die Arbeit seitdem viel unüberschaubarer geworden.

Welche Aufgaben und Entscheidungsbefugnisse hat die BVV?

Wir haben ein dickes graues Gesetzbuch, da steht alles drin, was die originäre Aufgabe der BVV ist. Dazu gehört, den Haushalt für den Bezirk vorzubereiten und auch zu beschließen, allerdings unter dem Vorbehalt, daß der dann vom Abgeordnetenhaus noch einmal bestätigt wird. Die BVV wählt die Bürgermeister und die Stadträte und soll ansonsten, das ist so eine blumige Formulierung, „Verwaltungshandeln anregen", z.B. schlagen wir neue Radfahrstreifen und mehr Spielplätze vor oder fordern, daß das Bezirksamt auf Solarenergie setzt.

Viele der Beschlüsse haben also Appellcharakter?

Wir, also die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, machen immer ein bißchen mehr und fühlen uns für die meisten Belange zuständig, die Menschen an uns herantragen. In vielen Fällen, die eigentlich unsere Entscheidungskompetenzen überschreiten, haben wir uns eingesetzt und erreicht, daß das Bezirksamt an den Senat herantreten mußte.

Wowereit will die BVVs als gewähltes Gremium durch Verwaltungsbeamte ersetzen. Bedeutet das weniger Demokratie in den Stadtbezirken?

Wenn man die BVVs abschafft, hätte das zur Folge, daß auf bezirklicher Ebene überhaupt keine demokratisch legitimierten Gremien mehr vorhanden wären. Die BVV wird ja als Organ der Selbstverwaltung direkt von den Bürgern gewählt, d.h. wir arbeiten als Stellvertreter der Bürgerschaft. Wenn man das wegläßt, hat man nur noch die zentralistische Struktur des Senats. Der Senat ist aber sehr weit weg von vielen Problemen vor Ort. Ein weiterer Nachteil wäre, daß dann Bürgermeister und Stadträte einfach eingesetzt würden. Also nicht wählbar, nicht abwählbar und durch die Bürger auch nicht kontrollierbar.

Wie können sich die Bürger in diese Strukturentscheidungen einbringen?

Wenig. Die Bürger könnten ein Volksbegehren initiieren. Das müssen auf der Berliner Ebene aber erstmal zehn Prozent der Wahlberechtigten unterzeichnen, also ca. 250000 Menschen, bevor das Verfahren überhaupt beginnen kann. Die Schwelle ist sehr hoch, so daß es sich auf die wirklich existentiellen Fragen reduziert. Die Bürger werden sich dann nicht mit der Frage beschäftigen, wieviel Senat und wieviel Bezirksamt wir wirklich brauchen.

Die Arbeit in der BVV ist ehrenamtlich?

Ja. Und mehr Amt als Ehre. Man muß drei bis vier Abende die Woche aufwenden, für Fraktionssitzungen, Ausschußberatungen und ähnliches. Jemand, der selbständig ist oder in der Fabrik drei Schichten arbeitet, kann das praktisch nicht. Das heißt, daß die Personenkreise, die sich für eine solche Arbeit engagieren können, relativ begrenzt sind.

Warum engagieren sich junge Leute lieber bei attac als in der Lokalpolitik?

Die Sitzungen hier werden vor allem von interessierten Leuten, die ein konkretes Problem haben, wahrgenommen. Was so vor der Haustür passiert, interessiert viele Leute wenig, oder nur, wenn sie ein akutes Problem haben. Wir arbeiten z.B. eng mit den Betroffenenvertretungen zusammen. Aber das ist dann schon die informierte Öffentlichkeit.

In der Presse hat die Bezirkspolitik keinen hohen Stellenwert. Die meisten Zeitungen haben ihr Volumen für die Bezirksberichterstattung reduziert. Wir verfassen ständig Presseerklärungen oder machen Pressegespräche, aber es ist schwer, dafür zu sorgen, daß das dann auch noch gedruckt und gelesen wird.

Interview: Anke Engelmann

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