Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
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Rolle rückwärts

Eine rosa-rote Bilanz

Der Stadtentwicklungspolitik, insbesondere der Stadterneuerung, wurde in den letzten Jahren in Berlin besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Es wurde daher mit Spannung erwartet, welche Akzente ein „rosa-roter" Senat in diesem Politikfeld setzen würde.

Schon vor Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und PDS war klar, daß der Bereich der Stadterneuerung aufgrund der desolaten Haushaltslage nicht von finanziellen Kürzungen verschont bleibt. Daß am Ende der Haushaltsverhandlungen im Frühjahr die ersatzlose Streichung der Förderprogramme im Mietwohnungsbereich stehen würde, überraschte dann aber doch ­ insbesondere deshalb, weil keine alternativen Strategien für eine längerfristige Dämpfung der Mietsteigerungen in den Altbauvierteln der Innenstadt sichtbar wurden. Wäre den Koalitionären die Bedeutung der Wohnungspolitik in einer Stadt mit überdurchschnittlich vielen einkommensschwachen Haushalten wirklich bewußt gewesen, hätten derartige Strategien thematisiert werden müssen. Doch die Spardebatte ersetzte eine Diskussion über die politischen Ziele des neuen Senats und erleicherte die „Rolle rückwärts" in der Stadterneuerungspolitik. Daß bald darauf die gerade erst begonnene Förderung eigentumsorientierter Genossenschaften beendet wurde, stellte den logischen Schlußpunkt des radikalen Kurswechsels dar. Besonders unerfreulich für die Mieter und die in diesem Bereich tätigen Träger war, daß die neuen politischen Leitlinien nicht offensiv von den Parteien vertreten wurden: Über das gesamte Frühjahr hinweg drangen nur häppchenweise Informationen über beschlossene Kürzungen bzw. Streichungen an die Öffentlichkeit ­ bis irgendwann feststand, daß das bisherige Modell der „behutsamen Stadterneuerung" Geschichte ist.

Diese Entwicklung wäre eigentlich vorhersehbar gewesen. Schon in der letzten Legislaturperiode verhehlte Stadtentwicklungssenator Strieder immer weniger, daß er die steuerungspolitischen Eingriffe in die Stadterneuerung im Grunde ablehnt und auf die sogenannten Selbstregulierungskräfte des Marktes setzt. Das von ihm initiierte Quartiersmanagement ist Ausdruck einer solchen neoliberalen Philosophie: Eine präventiv wirkende, aktiv lenkende Politik wird ersetzt durch eine sozialarbeiterisch angehauchte Nachsorge in sogenannten „Problemgebieten", die ökonomisch aber sich selbst überlassen werden. Selbst bei der juristischen Auseinandersetzung um die Mietobergrenzen in Sanierungs- und Milieuschutzgebieten haben die Bezirke vor diesem Hintergrund keine offensive Rückendeckung durch die Senatsverwaltung zu erwarten. Die Folgen des Strategiewechsels in der Stadterneuerung werden die Bewohner der Innenstadtgebiete bald zu spüren bekommen: Durch Auslaufen der längerfristigen Mietpreisbindungen in den öffentlich geförderten Häusern und dem sukzessiven Wegfall der nur wenige Jahre gültigen Mietobergrenzen wird das Mietniveau insgesamt steigen. Der Verweis auf den Mietspiegel, der eine allzu rasante Entwicklung am Wohnungsmarkt angeblich verhindert, ist Augenwischerei. Auch er wird nach oben gezogen werden, da er ja lediglich die tatsächlich erhobenen Mieten widerspiegelt.

Das Ende der Eigentümersubventionierung, die in den Förderprogrammen festgeschrieben war, wird nicht nur von neoliberaler Seite befürwortet. Auch in der linken Fraktion der Stadterneuerungspolitik begrüßt mancher, daß Steuergelder nicht mehr im Rachen von kühl kalkulierenden Sanierungsprofis verschwinden. Hier muß allerdings die Frage nach tragfähigen Alternativen gestellt werden. Das Wohngeld wirkt für einkommensschwache Haushalte zwar durchaus entlastend; es wird aber niemand ernsthaft annehmen können, daß deutliche Mieterhöhungen hiermit aufzufangen wären. So wird es auch in der Stadterneuerungspolitik laufen wie in anderen politischen Bereichen: Die Zeche für die saftigen Renditen der Anleger im Berliner Bankenskandal zahlt der „kleine Mann". Denn während Strieder als vorbildlicher „Sparsenator" zu neuen Ehren gelangt, wird die Mietbelastungsquote der Haushalte weiter ansteigen. Seine „Selbstregulierung" des Wohnungsmarktes bedeutet schließlich nicht, daß sich das Mietniveau der Einkommenssituation der Haushalte anpaßt. Vielmehr zwingt es die Mieter, einen immer größeren Teil des Haushaltseinkommens für die Miete aufzuwenden. Die Straßen und Wohnungen mögen wohlhabender aussehen, ihre Bewohner aber werden ärmer.

An diesem Punkt bietet sich nun die Gelegenheit, einen Blick auf die unrühmliche Rolle der PDS zu werfen. Da von Stadtentwicklungssenator Strieder keine andere Politik zu erwarten war, lagen einige Hoffnungen auf dem röteren Koalitionspartner. Aber obwohl die PDS in diesem Politikfeld durchaus profilierte Mitarbeiter aufzuweisen hat, ist sie der Rolle eines „sozialen Korrektivs" zur Deregulierungspolitik Strieders nicht nur nicht gerecht geworden ­ sie hat diese Rolle offenbar nicht einmal wahrgenommen: Keine Kritik, keine Konzepte, keine Visionen, nicht einmal hohle Rhetorik war von der PDS zu diesem Thema zu vernehmen. So ist die Stadterneuerungspolitik ein entlarvendes Beispiel für die bedingungslose Unterordnung der Partei unter die „Sparzwänge", die mit dem Totschlagargument begründet wird, daß andere noch viel schlimmer wären. Den Funktionsträgern der PDS, deren Diäten als gesichert angesehen werden können, mag man diesen fatalen Pragmatismus in einer haushaltspolitisch ausweglosen Situation noch nachsehen. Daß aber nicht einmal die Parteibasis den Aufstand probt, zeigt nur, daß die PDS sich als Interessenvertreterin der sozial schwachen, unterprivilegierten Schichten dieser Stadt weitgehend diskreditiert hat. In der Gestalt eines blassen Anhängsels der SPD droht ihr die politische Bedeutungslosigkeit.

Thorsten Friedrich

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