Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Faß ohne Boden

Die Geschichte des Tempodroms scheint kein glückliches Ende zu finden. Der Berliner Senat hat beschlossen, dem Beton- und Stahl-Zirkus einen letzten Zuschuß von 900000 Euro zu gewähren, mit der Auflage, das Tempodrom möglichst bald zu verkaufen. Der Traum vom schöneren, größeren und besseren alternativen Kulturtempel wäre dann endgültig ausgeträumt. Gründerin Irene Moessinger befürchtet zu Recht, daß bei der Übernahme durch einen privaten Investor dort hauptsächlich Mißwahlen und Erotik-Messen stattfinden würden.

Finanziell hat sich das Tempodrom jedoch schon stark von seinen einstmals unabhängigen Wurzeln entfernt. Die Kosten für den Neubau waren während der Bauphase von 22,5 Millionen auf fast 30 Millionen Euro angestiegen. Das Land Berlin sprang damals ein, um die Eröffnung im Dezember 2001 zu sichern. Es hat bis heute über sechs Millionen Euro in die Spielstätte gepumpt, mit der Folge, das die Betreiber schon lange nicht mehr unabhängig agieren und der Senat faktisch der Eigentümer ist.

Auch künstlerisch hat das Tempodrom mit dem alten Zelt nicht mehr viel gemein. Zwar gibt es auch weiterhin ambitionierte Veranstaltungen wie das „Maulhelden-Festival", aber im Vergleich zum alten Tempodrom, das in den achtziger Jahren zu einem Kultort für alternative Musik und außergewöhnliche Artisten geworden war, wirkt das neue Programm beliebig. Im Tiergarten blieben die Gäste, besonders bei den beliebten „Umsonst & Draußen"-Musikfestivals, häufig noch Stunden nach der Veranstaltung und feierten bei billigem Bier weiter. Das ist bei dem Neubau und seinen deftigen Preisen nicht vorstellbar. Für wirklich alternative Veranstaltungen ist der Bau zu groß, für große Events zu klein.

Obwohl das Zeltdach aus Stahl von zweifelhafter Schönheit ist und sich gegen seine Umgebung sperrt, hat der Senat das neue Tempodrom immer als Vorzeigeobjekt betrachtet. Damit ist jetzt Schluß, nachdem im zurückliegenden Jahr erneut ein Minus von 877000 Euro angelaufen ist. Ein wirtschaftlicher Spielbetrieb ist im Tempodrom bis heute nicht geschaffen worden. Ein Faß ohne Boden, das das Land Berlin jetzt abstoßen will. Ob ihm das auch gelingt, ist fraglich. Denn ein Investor muß erst gefunden werden, wenn nicht, droht die vom Rechnungshof empfohlene Insolvenz. So oder so: ein trauriges Ende für die einst gefeierte Begegnungsstätte von Gegenkultur.

ub

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