Ausgabe 11 - 2002 berliner stadtzeitung
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Der Klang sucht sich seinen Sinn

Nachexperimentell: Der neue Gedichtband von Elfriede Czurda

In einem Gedicht tritt Ernst Jandls Mops auf; zu „ottos mops" gesellt sich „oskars motor", der öfter als erhofft stottert – eine Hommage an einen anderen großen alten Mann sprachexperimenteller Neoavantgarde, an Oskar Pastior. Die 1946 in Oberösterreich geborene, seit langem in Berlin lebende Elfriede Czurda sieht sich nun in der Situation der Nachgeborenen, die dieses einmal erreichte Niveau an formaler und sprachlicher Reflexion nicht preisgeben möchte – so machen's 90 Prozent ihrer Kolleginnen und Kollegen – ohne freilich bruchlos daran anknüpfen zu können. Ihr neuer Gedichtband Wo bin ich. Wo ist es. Sindsgedichte ist ein buntes postexperimentelles Experimentierfeld.

Auf einen ersten Abschnitt, der Gedichte aus den Jahren 1996-2000 sammelt und spielerisch simpel mit „Wien im Schnee" anhebt ­ auf den 21 mal genannten „schnee" reimt sich endlich „juchee!" ­ und der Kannibalisches, Irres neben eine „Rechenschaft" stellt, folgen „lautbare städte. konsonante geografie", ein Spiel mit Alliterationen, dessen Regeln aber durchaus durchbrochen werden dürfen, insgesamt mehr Spiel als Ernst, etwa, ums „u" organisiert, so: „urbi et orbi/und unheilvolle/unkenrufe/uhuhhh uhuuuuh ­" Der Klang suche sich hier seinen Sinn, kommentiert Czurda ihre Versuchsanordnungen; hin zur Beliebigkeit ist es oft nur ein kleiner Schritt.

Der Band vereint eine Vielzahl an Formen und „Textgewinnungsmaschinen", und immer sind die Texte von Elfriede Czurda grundiert von Ironie. So ist der letzte Abschnitt des Buches mit „NIE MEHR OULIPO" überschrieben, Bezug nehmend auf die französische Gruppe OuLiPo, die experimentelle Dichtung nach streng wissenschaftlichen, mathematischen und zeichentheoretischen Modellen fabriziert. Czurda präsentiert nun eine Reihe von Texten, die mit nach Zufallsprinzip dem Lexikon entnommenen Wortmaterial arbeiten, die Wortreihe versammelt Begriffe wie „Wachtel", „Hagestolz", „Milz" und „Walküre". Das hört sich dann so an: „Eine Achtel Wachtel fiel mir anheim. Aufgeräumt aß ich sie. Sie war barfuß." Nachdem die Wortreihe mehrmals durchgespielt ist, werden die Spielregeln dann sukzessive verändert, etwa nach dem Prinzip „4+n". Das bedeutet, daß nur die ersten vier Buchstaben eines Wortes beizubehalten sind, der Rest verändert werden kann. Einerseits streng, sind diese Regeln doch willkürlich, die strenge Versuchsanordnung spielerisch transzendierend.

Das Buch enthält auch einige Langgedichte, Texte, die Elke Erb gewidmet sind oder Michèle Métail, der französischen Autorin, die als einzige Frau Mitglied der OuLiPo-Gruppe ist, und von der eben ein von Czurda übersetztes Buch in der DAAD-Reihe „Spurensicherung" erschienen ist.

Elfriede Czurdas neuer Gedichtband ist ein schönes Beispiel für die Lebendigkeit einer der experimentellen Tradition verpflichteten zeitgenössischen Poesie, einer Poesie, die nicht mit Durs Grünbein Zuflucht bei den alten Griechen sucht, sondern sich der Kontingenz sprachspielerischen Tuns bewußt ist, keine Bedeutung herbeizwingen will. Im guten Fall sind solche Spiele erhellend.

Florian Neuner

> Elfriede Czurda: Wo bin ich. Wo ist es. Sindsgedichte., Droschl Verlag, Graz 2002. 18 Euro

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