Ausgabe 11 - 2002 berliner stadtzeitung
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Globalisierung der Unsicherheit"

Interview mit Elmar Altvater zu seinem neuen Buch

Vor wenigen Monaten erschien das Buch Globalisierung der Unsicherheit: Arbeit im Schatten, schmutziges Geld und informelle Politik. Die Autoren Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf zeigen auf, wie menschliche Sicherheit in Zeiten der Globalisierung verloren geht. Elmar Altvater ist seit 1971 Professor an der Freien Universität Berlin.

Wer von den verschiedenen Akteuren der Globalisierung ­ Nationalstaaten, multinationale Konzerne, Finanzinstitutionen und Zivilgesellschaft ­ ist schuld an der zunehmenden Unsicherheit?

Schuld sollte man weniger den Akteuren geben als vielmehr den Strukturen, die durch die Globalisierung entstanden sind. Heute müssen alle ihre Arbeitskraft verkaufen und sind somit von den Käufern abhängig. Auf der Strecke bleiben Sicherheit von Einkommen, von Arbeitsplätzen und sozialer Zusammenhang. All das sind Folgen der stetigen Deregulierung.

Fühlen Sie sich unsicher?

Ich bin Beamter und somit außerordentlich privilegiert. Zumindest in finanzieller Hinsicht. Aber wenn ich mir die Kriegspolitik oder die ökologische Entwicklung ansehe, fühle ich mich sehr unsicher.

Halten Sie Saddam Hussein nicht für gefährlich?

Hussein ist kein Waisenknabe. Das ist sicher. Er beging schwere Menschenrechtsverletzungen. Im Irak herrscht auch keine Demokratie. Es wäre gut, wenn es demokratische Kräfte im Land gäbe. Das Pentagon schart Exil-Iraker zusammen, die dann die Geschäfte übernehmen sollen; ob sie die richtige Lösung sind, wage ich zu bezweifeln. Falls Hussein tatsächlich über Massenvernichtungswaffen verfügt, sollte es erst recht eine politische Lösung geben. Mit was kämpfen die Amerikaner? Nicht mit Spielzeugpistolen. Wenn die Cruise Missiles keine Massenvernichtungswaffen sind, was dann?

Was halten Sie von der NATO als Instanz der Konfliktlösung?

Anfang der Neunziger gab es anläßlich der Auflösung der Sowjetunion weit verbreitete Debatten ­ selbst bis tief in SPD hinein -, die NATO aufzulösen. Heute redet davon niemand mehr. Das bedaure ich sehr. Die NATO ist dabei, ihren neuen Sicherheitsbegriff durchzudrükken. Es geht nicht mehr um die Sicherung von nationalen Territorien, sondern von nationalen Interessen der Bündnispartner. Andererseits scheint die NATO an Bedeutung zu verlieren, insbesondere, solange die USA nicht multilateral agieren und keiner der Mitgliedstaaten dagegenhält. Es sollte wieder darüber nachgedacht werden, die NATO aufzulösen.

Brauchen wir die Bundeswehr noch?

Unsere „Jungs" sind zur Zeit am Horn von Afrika. Dort unterstützen sie vielleicht den Kampf gegen den Terror. Doch zunächst sichern sie die Seewege für unsere Energieversorgung. Die Sicherung der Transportrouten ist nur noch militärisch machbar. Das ist selbst ökonomisch irrational. Wenn die Kosten nicht mehr tragbar sind, kommen wir hoffentlich endlich hin zu erneuerbaren Energien und solaren Energiequellen.

Sie sagen: „Das ,finanzgetriebene' Akkumulationsregime ... steigert die Bedeutung der Informalität für das Überleben der Menschen." Trifft diese Aussage auch auf die Situation von Berlinern zu?

Berlin ist nicht vergleichbar mit der Dritten Welt. Doch auch in Berlin werden viele Menschen aus formellen Arbeitsverhältnissen rausgeschmissen, weil sich die Betriebe unter Shareholder-
Value-Aspekten nicht mehr rentieren. Die entlassenen Menschen müssen weiterhin ihr Überleben organisieren. Sie müssen nach Alternativen suchen, und die finden sie manchmal auch in informellen Arbeitsverhältnissen.

Sie sind dagegen, daß im Namen von Deregulierung und Flexibilisierung Institutionen abgebaut werden, die Unsicherheit begrenzen sollten. Sind Sie also der Meinung, die Hartz-Vorschläge sollten nicht umgesetzt werden?

Den Arbeitsmarkt sollte man nicht belassen, wie er ist. Doch die Hartz-Vorschläge weisen in keine gute Richtung. Die einzelnen Aspekte müßte man natürlich differenzierter betrachten. Doch im allgemeinen fordert Hartz mehr Deregulierung und mehr Flexibilisierung. Als Folge gehen die Löhne runter, und es findet eine Umverteilung von unten nach oben statt. Hartz verspricht sich davon die Schaffung von Arbeitsplätzen. Doch das wird sich als Illusion herausstellen.

1996 erschien Ihr Buch Grenzen der Globalisierung, das Sie ebenfalls zusammen mit Birgit Mahnkopf verfaßten. Sind diese Grenzen nun in Sicht?

Die Grenzen sind deutlicher zutage getreten. Die Natur hat ihre Grenzen. Die anormalen Wetterbewegungen sind ein Zeichen dafür, daß wir die Beschleunigung nicht unendlich fortsetzen können. Auch in anderen Bereichen werden Grenzen sichtbar: Die Politik der US-Regierung ist ein Versuch, den Neoliberalismus zu flankieren durch aggressive Eindämmung ungewünschter Gegenspieler. Grenzen der Globalisierung werden durch soziale bzw. zivilgesellschaftliche Bewegungen sichtbar. In Gruppierungen wie attac oder Deglobalisierung organisieren sich Leute, die nicht mehr mitmachen, die Alternativen wollen. Und diese Tendenz ist stark verbreitet.

Auch Ihr neues Buch haben Sie zusammen mit Birgit Mahnkopf verfaßt, ohne daß einzelne Artikel einem konkreten Verfasser zugeordnet sind. Wie gestaltet sich die Arbeitsteilung?

Jeder schreibt individuell, und jeder korrigiert jeden. In den Büchern gibt es keinen einzigen Satz, der nicht von beiden gelesen und korrigiert wurde. Es handelt sich wirklich um Kollektivwerke. Allerdings haben wir unsere Schwerpunkte. Während Birgit mehr zum Arbeitsmarkt und zu Arbeitsverhältnissen schreibt, schreibe ich mehr über Finanzen.

Sie verlassen 2003 die FU. Was sind Ihre Pläne für die Zeit danach?

Weiß ich noch nicht. Ich habe noch keine konkreten Pläne. Ich werde viel lesen. Habe auch viele Einladungen. Vielleicht werde ich auch für kurze Zeit an eine andere Uni gehen. Aber nur vielleicht.

Interview: Sonja John

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