Ausgabe 11 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis

Impressum


Zur Homepage

So alt wie der Kiez selbst

Das Kopenhagener Eck und seine Aktiven

Am Ende konnte die „Bürgerinitiative" auch nichts mehr ausrichten. Zwar stiegen die Umsätze, zwar signalisierte der Vermieter durchaus Entgegenkommen, doch der Mietvertrag mit dem Betreiber des Kopenhagener Ecks war bereits gekündigt. Die Sanierung des Hauses an der Ecke Kopenhagener/Ystader Straße hatte man noch überstanden, die Mieterhöhung knapp verdaut. Jetzt hat die Kneipe geschlossen. Hier entsteht ein Schlecker-Markt. Unregelmäßige Mietzahlungen mögen den Ausschlag gegeben haben; ein Geschäftsmann war Günther, der Wirt, jedenfalls nicht. Zu fortgeschrittener Stunde und mit fortschreitender Alkoholisierung fiel es ihm schon mal schwer, ein paar Bier zusammenzuaddieren.

Die Bürgerinitiative, das war ein Zusammenschluß von Stammgästen, der den Betrieb in den letzten drei Monaten aufrecht erhielt, nachdem Günther nach einem Schlaganfall ausgefallen war. Bis zuletzt mit dabei: Trudchen, die Greisin, die Günther zur Seite stand, wenn der nicht alles im Griff hatte. Trudchen hat ihr Leben im Kiez verbracht, und das Kopenhagener Eck gab es, solange sie sich erinnern kann. 100 Jahre alt soll die Kneipe sein, so alt wie der Kiez selbst. Die letzten 21 Jahre hat Günther die Kneipe geführt, seit zehn Jahren stand Trudchen hinterm Tresen. Auch Charly und Baumi sind schon recht lange dabei, sie bildeten den Kern der Bürgerinitiative, zusammen mit Christian, der erst 1998 im Kopenhagener Eck gelandet war, zugezogen aus dem Westen, heißt es, er selbst sagt dazu nichts.

Das Kopenhagener Eck war eine typische Eckkneipe, einige Blöcke entfernt von der Schönhauser Allee, gewissermaßen kurz vor der Mauer. Hierher verirrte sich keine Laufkundschaft; hier verkehrte, wer im Kiez wohnte oder mal gewohnt hatte. Ein Ort, an dem man in Ruhe sein Bier trinken konnte, an den Automaten spielen oder im Hinterzimmer den staubigen Billardtisch umkreisen. Am Tresen stets ein paar ältere Bekannte aus der Nachbarschaft, hier traf sich der Freundeskreis, ehe er zur Bürgerinitiative werden mußte. Am letzten Abend gab es eine Party, am allerletzten Abend wurden die Reste vernichtet. Drei Ethnologiestudentinnen saßen am Eingang und lächelten neugierig, in der Ecke gegenüber Günther, ausdruckslos.

Der Verlust der Kneipe reißt eine Lücke. Gegen die nahegelegene „Höher's Gaststube" oder die Fußballkneipe in der Kopenhagener, die früher „Kleiner Preuße" hieß, hat die Stammkundschaft Vorbehalte. Ein Teil trifft sich im Laden gegenüber, wo die Perserin außer Zeitungen und Gemüse auch Schnaps und Kaffee verkauft. Auf dem Verkaufstresen eine Unterschriftenliste, im Fenster Plakate: Hier kämpft eine „richtige" Bürgerinitiative gegen einen Aldi-Markt, der 200 Meter weiter, an der Ecke zur Schwedter Straße gebaut werden soll. Die Perserin findet das gut, aber sie selbst kämpft nicht. Sie hat schon gekündigt und geht in den Wedding. Für die Leute vom Kopenhagener Eck bleibt dann noch die „Kiez -Symphonie", eine Galerie-Kneipe, deren Ambiente eigentlich gar nicht dem einer Eckkneipe entspricht. Manchmal essen sie bei Trudchen, an Heiligabend lädt Christian zur Weihnachtsgans.

Günther wohnt in Friedrichshain und kommt nur manchmal in die Symphonie. Jetzt, wo Trudchen ihm nicht mehr abends die Stullen schmiert, soll er abgenommen haben. Er trinkt zu viel. Das Arbeitsamt droht dem 51jährigen mit Weiterbildung. „Was Kaufmännisches", berichtet Christian, „ausgerechnet!" Bis zu drei Monatsmieten mußte der treue Stammgast manchmal auf den Tisch blättern, um die Kündigungen doch noch rückgängig zu machen. Trudchen schimpft: „Die vom Arbeitsamt spinnen doch. Der ist doch viel zu alt, um sowas noch zu lernen" Sie selber ist 89 und hat sich gerade einen neuen Job gesucht ­ als Küchenhilfe in einer Kneipe im Nachbarkiez. Als Rente bekommt sie weniger als 400 Euro im Monat, aber weil das Sozialamt ihr noch widerlicher als das Arbeitsamt ist, geht sie eben jobben. „Ich komm schon durch", sagt sie, „aber was soll nur aus Günther werden?"

Christian geht nach Hause. Wollte ja eigentlich nur auf ein Bierchen rein. Trudchen nimmt einen Kurz einen Lang und erzählt von früher: Die Messerstecherei, bei der sie intervenieren mußte, die Überfälle mit Tränengas, der Streit mit dem Vermieter. Und die vielen Geschichten aus dem Freundeskreis, die man nicht versteht, wenn man nicht dazugehört. Es werde bestimmt noch eine Weile dauern, bis sie über den Verlust des Kopenhagener Ecks hinwegkommt, aber sie hat schon ganz andere Katastrophen überstanden. „Ich komm schon durch", wiederholt sie. Niemand zweifelt daran. Auf dem Nachhauseweg schlingert sie ein bißchen und hakt sich ein, aber die Treppen macht sie allein.

Florian Neuner / Johannes Touché

© scheinschlag 2002
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 11 - 2002