Ausgabe 11 - 2002 berliner stadtzeitung
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Mentalitätswechsel? ­ Nie!

Die Krise der behutsamen Stadtentwicklung

MWenigstens in der Sanierungspolitik ist der Ruf nach „radikalen Einschnitten", der seit Monaten durch die Medien hallt, nicht ungehört geblieben. Stadtentwicklungssenator Peter Strieder hat seine Drohung wahrgemacht und investiert öffentliches Geld nur noch in öffentliches Eigentum, statt damit nimmersatten Privatinvestoren soziale Rücksichtnahme abzukaufen. Seine Behörde läßt die Bezirke und ihre Sanierungsträger bei den Kämpfen für die Mietobergrenze, das Umwandlungsverbot, die Sozialpläne bei Sanierungen im Regen stehen; er selbst ruft bei jeder Gelegenheit zu einem „Mentalitätswechsel" auf, zu mehr Eigeninitiative und weniger staatlicher Einmischung. Nur die Quartiersmanagements (QMs) können sich noch der Sympathie des Senats, wenn auch nicht seines Geldes sicher sein.

Naht nun das Ende der „Sozialen Stadt"? Die wohlmeinenden Bezirkspolitiker, Mieterschützer, Soziologen und Stadtplaner sorgen sich: Unmöglich können die QMs mit den paar Millionen, die ihnen zur „Verbesserung des Wohnumfelds" und zur „Stärkung des Gemeinsinns" zur Verfügung stehen, die drohende „Verslumung", den „Verfall" und die „soziale Spaltung" stoppen. Der Wedding wird zur Bronx und die Spandauer Vorstadt eine Shopping Mall.

Voller Leidenschaft streiten nun die sonst so behutsamen Stadtentwickler, wie beides verhindert werden kann. Während die einen meinen, mit QMs genug für die Kieze getan zu haben, wollen die anderen die staatlich geförderte Sanierungspolitik fortführen. Die ganz Radikalen kokettieren sogar mit der Idee eines „Bürgerhaushalts" nach brasilianischem Vorbild, wie ihn das Forum der Agenda 21 unlängst gefordert hat. Eine Flucht nach vorn ­ aber wohin? Auch der Bürgerhaushalt von Porto Alegre, wo die basisdemokratisch organisierten Gremien einen Großteil des städtischen Haushalts kontrollieren, ist nicht frei von Widersprüchen. In den Bürgerbeteiligungsgremien von Porto Alegre sitzen nur 14 Prozent Geringverdiener mit einem Einkommen von weniger als zwei Mindesteinkommen; die meisten Slumbewohner hingegen haben noch nie etwas von der epochemachenden Haushaltspolitik ihrer Stadtverwaltung gehört.

Illu

Illustration: Simone Schöler

Ähnlich ist es mit der Behutsamen Stadtentwicklung in Berlin. Wer führt das Wort in den Beteiligungsrunden? Wessen Probleme werden mit den Maßnahmen gelöst, über die da befunden wird? So liebevoll sie organisiert, so aufrichtig sie gemeint sein mag ­ die Bürgerbeteiligung kann am entscheidenden Problem nichts ändern. Die Früchte des Aufwertungsprozesses sind nur für die Wohlhabenderen genießbar, weil der Rest früher oder später gehen muß. Trotz der staatlichen Sanierungszuschüsse, trotz der Sozialpläne und der Mietsteigerungsbegrenzung sind die kleinstädtischen Idyllen der Nachsanierungeszeit für die Alteingesessenen immer zu teuer. Kein Wunder, daß sich die Türken, die Arbeitslosen und Tagelöhner nicht so recht an den Diskussionsrunden beteiligen: Sie haben dort nichts zu gewinnen, und sie werden Besseres zu tun haben, als bei Kaffee und Plätzchen über die Farbe des Gehwegpflasters zu debattieren.

Die Berliner Stadtentwickler sollten die Gelegenheit nutzen, grundsätzlich über den Sinn ihrer Stadterneuerung nachzudenken, ihre Bürgerbeteiligungsrunden zu hinterfragen und ihre Statistiken und Pläne an der Realität zu überprüfen. Denn ihr Modell einer baulich aufgewerteten und sozial neu vernetzten Stadt, das den behutsamen Stadterneuerern vorschwebt, ist nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Ihre Ideale sind romantisch. Sie sind einer Stadtutopie verpflichtet, die ­ in jeder Hinsicht grün ­ mit den Resten des proletarischen Berlin wenig und mit den Anfängen der multikulturellen, sozial prekären, nomadischen Stadt der Postmoderne rein gar nichts zu tun hat. Die Eckkneipen, in denen die Alteingesessenen ihr soziales Leben pflegen, können von keinen „Kieztreffs" ersetzt werden. Die kleinen Läden, in denen die Trinker stehen, die grauen Häuser, deren Vermietern alles egal ist, die Restflächen mit dem Probenraum, dem informellen Recyclinghof, dem Abenteuerspielplatz, den die Eltern nicht kennen ­ diese Dinge sind in ihrer Effizienz und Angemessenheit nicht leicht zu übertreffen. Sie wurden nicht von Architekten erdacht und im Planungsworkshop durchdiskutiert, auch eine Finanzierung brauchen sie nicht. Sie sind gewachsen. Eine Stadterneuerung, die sich „behutsam", „sozial" und neuerdings „nachhaltig" nennt, kann nicht anders, als sie behutsam, sozial und nachhaltig zu zerstören.

Zerstören wollen die behutsamen Stadterneuerer natürlich am allerwenigsten. Sie wollen heilen und bestenfalls etwas nachbessern. Aus den Kahlschlagsanierungen der sechziger und siebziger Jahre, als Stadtplanung noch mit Bulldozern daherkam statt mit Planungsworkshops, haben sie gelernt. Sie mühen sich aufrichtig. Aber das Wissen darum, für wen sie das tun, haben sie verloren.

Nirgends kann man die professionelle Deformation der Berliner Stadtentwicklerzunft besser beobachten als auf dem „Stadtforum von Unten". Dort konnte man am 5. Dezember den Profis zuhören, wie sie ihre liebgemeinten QM-Projekte nacherzählten. Sie sorgten sich um die Zukunft der türkischen Viertel. Sie schimpften über Strieders Mentalitätswechsel, beklagten seinen Zynismus und sannen über Möglichkeiten nach, ohne staatliche Förderung mit der Aufwertung voranzukommen. Im Publikum erhob sich ein Betroffener, einer der wenigen, die nicht ihr Geld mit Stadterneuerung zu verdienen scheinen. Seit den Fünfzigern wohnt er am Kottbusser Tor; schon sieben Gruppen von Stadterneuerern habe er erlebt, die alle das gleiche taten wie das heutige QM: das Viertel „schönreden", sich dabei „selbst beweihräuchern", die Einwohner „bearbeiten" und daran verdienen. An den wahren Problemen habe sich nichts geändert, weder durch das Sanieren, noch durch das Managen. Als der Mann fertig war, setzte er sich wieder. Es wurde kein Wort über den Zwischenfall verloren.

Johannes Touché>> Weitere Informationen zur Diskussion um die Stadterneuerungspolitik in der Sanierungsbeilage

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