Ausgabe 10 - 2002 berliner stadtzeitung
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Technologietransfer und Prestigewinn

Wie die TFH einer brasilianischen Kleinstadt beistand

Was führt eine brasilianische Kleinstadt dazu, sich für ein Pilotprojekt der „Nachhaltigen Stadtentwicklung" zu engagieren? Zunächst die akuten Probleme des Ortes – fehlende Abwasserklärung, mangelhafte Müllentsorgung, marodes Bildungssystem, Zersiedelung, rückschrittliche Infrastruktur, fehlendes Umweltbewußtsein. Und wozu eine deutsche Projektbeteiligung? Mit dem zurückhaltenden Vokabular der Entwicklungshilfe: Ressourcentransfer und entwicklungspolitische Zusammenarbeit. Was das bedeutet, scheint den Beteiligten allerdings nicht ganz klar zu sein.

Der Ort São José do Vale do Rio Preto mit knapp 20000 Einwohnern ist vor einigen Jahren neben 15 weiteren Bewerbern bei der staatlichen Fördermittelverteilung als Sieger hervorgegangen. Das ermöglichte der Kommune, einen umfassenden Entwicklungsplan (Plano Direitor) für ihr Verwaltungsgebiet zu erarbeiten. Die Bewerbung enthielt einen Mammutkatalog von 42 Einzelprojekten entsprechend der Agenda 21, die 1992 in Rio verabschiedet worden war. Bei der Erarbeitung der planerischen und rechtlichen Grundlagen wollte die dortige Stadtverwaltung mit der Technischen Fachhochschule Berlin (TFH) und der Universidade Federal do Rio de Janeiro zusammenarbeiten ­ ein internationales Planungsteam aus Stadtangestellten, studentischen Praktikanten und Professoren mit ehrbaren, hoch gesteckten Zielen. Unter dem Etikett „Pilotprojekt" sollte eine beispielhafte Arbeit zeigen, wie sich Provinzstädte planmäßig und ohne Spekulantentum entwickeln können. Eine wichtige Aufgabe, wird doch für alle Kleinstädte Brasiliens für die nächsten Jahre ein starker Bevölkerungszuwachs prognostiziert, da die Kapazitäten der Metropolen an ihre Grenzen stoßen und im Sinne der Nachhaltigkeit schon lange nicht mehr verträglich sind.

Das Fachgebiet Landschaftsarchitektur und Umweltplanung der TFH interessierte sich für das Projekt bereits vor einigen Jahren und schickte kurzerhand einen studierten Schiffbauer vor Ort, der sich als Masterstudent für Technologietransfer und zukünftiger Projektkoordinator um den Aufbau des Projektes und die Einrichtung eines vernünftigen Abwassersystems kümmern sollte. Das Projekt lief stockend an, und erst im August letzten Jahres, als ein DAAD-Studienaustauschprogramm einbezogen wurde, war wenigstens die Finanzierung der deutschen Praktikanten scheinbar geklärt.

Zugegeben, die Motivation für meine Teilnahme war vielleicht naiv: Ich verstand Entwicklungshilfe als verantwortungsvolle Arbeit, in die ich meine erworbenen Kenntnisse von Entwicklungsprozessen im Städtebau einzubringen hoffte. Die Situation, die ich in São José do Vale do Rio Preto vorfand, gab diesem Idealismus zunächst wenig Nahrung. Kaum angekommen, waren die Studenten hin- und hergerissen zwischen den Machenschaften der städtischen Verwaltung und dem Entwicklungsauftrag der Hochschule. Dieser ging es offenbar mehr um Datenerfassung und Vermittlung von Studieninhalten als um eine Ideensammlung oder Unterstützung bei der Realisierung kommunaler Maßnahmen. Sie befolgte einen akademischen Katalog mit einem Sammelsurium an Aufgaben zur Abwasserklärung, zur Müllentsorgung, zur Siedlungspolitik, zur infrastrukturellen Aufwertung, zur Tourismusplanung etc. Das Ganze sollte durch eine möglichst effektive Öffentlichkeitsarbeit unterstützt werden. Schön auf dem Papier und anhand der Agenda 21 nachvollziehbar, jedoch augenscheinlich an der Realität vorbei. Die gängige Praxis von Entwicklungshilfe wird wohl oft unabhängig von den tatsächlichen Problemstellungen konzipiert. Die Zerrissenheit der Projektstruktur und der zähe Informationsfluß waren für alle Praktikanten deutlich spürbar.

Die Öffentlichkeitsarbeit fand nicht statt ­ wir waren die Deutschen, mit ihrem Projekt. Die Ortsbewohner freuten sich über unsere Anwesenheit, manche waren auch etwas mißtrauisch, aber niemand wußte so recht, womit wir uns beschäftigten. Schlimmer noch, auch die Angestellten des Rathauses hielten sich bedeckt. Ernsthaftes Interesse bekundete nur der Urheber des Projekts, der Planungsamtsleiter der Stadt, der angesichts der schwankenden politischen Stimmungen eine Art Einzelkämpfer im Planungsdschungel der Ortschaft darstellt.

Die Frage ist berechtigt, wie man ein solches Projekt sinnvoll fortsetzen kann. Die beteiligten Institutionen gehen offensichtlich ihre eigenen Wege, die Universitäten fördern ihren Studentenaustausch, und São José liefert neue Baupläne. Eine Stadt hat eben ihre eigenen Ansprüche, die nicht zwangsläufig dem akademischen Ideal der Nachhaltigkeit entsprechen. Für diese Ansprüche hält das Programm keine Antworten bereit. Was tun, wenn die Stadt ein neues Stadtzentrum auf einem Hügel wünscht, der einst als demonstratives Naturschutzobjekt dienen sollte? Inzwischen wird erwogen, den Hügel abzutragen, und es wird planlos gebaut: ein Fußballplatz, eine Turnhalle, eine Mülltrennstation, Garagen für das Rathaus. Das Gelände liegt vier Kilometer vom eigentlichen Zentrum entfernt, die Mülltrennstation ist verwaist, weil es weder geeignete Fahrzeuge noch den politischen Willen gibt, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen. Eine ungeschützte, abseits gelegene Mülldeponie wird weiter bedient, weil das Grundstück den Verwandten eines einflußreichen Beamten gehört. Pläne für eine geregelte Mülltrennung bleiben in der Schublade.

Mit dem Plano Direitor hatte sich der Ort eine geeignete Handhabe für eine endgültig geregelte Planungspraxis erhofft. Der Plan sollte mit Hilfe der Deutschen schon längst fertig sein, nun sind die staatlichen Fördergelder verbraucht, und obwohl sich kaum etwas verbessert hat, stehen neue noch nicht in Aussicht. Die deutschen Projektleiter bemühen sich zwar weiter um Sponsoren, verheddern sich aber gleichzeitig in ihrer Kritik an der Arbeit der studentischen Praktikanten. Das Projekt stagniert. Offensichtlich finden Theorie und Praxis mal wieder nicht zueinander. Oder ging es der TFH sowieso nur um einen Prestigegewinn? Inzwischen liebäugelt sie mit neuen brasilianischen Aufbauprojekten. Die Entwicklungshilfe geht weiter, ob in São José do Vale do Rio Preto ­ oder eben woanders.

Text und Fotos: Kathrin Wieck

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