Ausgabe 10 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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musik für die massen

Gezirpe und Gepumper

Ob nun im Retrostyle der achtziger Jahre oder konsequent nach vorn ge- wandt, die Verbindungslinien zwischen Jazz und Groove weiterentwickelnd – im folgenden geht nichts ohne elektronische Hintergrundbeleuchtung.

Dictaphone ist die englische Bezeichnung für Diktiergerät, la piscine wiederum die französische für Schwimmbad. Dictaphone ist aber auch der Name einer Band und La Piscine der Titel eines Songs auf m.=addiction (citycentreoffice). Soundsprengsel aus dem Schwimmbad bilden den atmosphärischen Background vor dem sich – wohlig wie an einem Warmbadetag – Klarinette, Saxophon und elektronische Jazz-Rhythmik ausbreiten. Doch auch ohne Schwimmbad strahlen die Songs von Dictaphone eine Gelassenheit und Souveränität aus, wie man sie bisher nur von Bands aus Weilheim (Notwist, Tied & Tickled Trio ...) kannte: Jazz-Instrumentalismus trifft auf feinsinniges Computerspiel. Hinter Dictaphone steht der Berliner Oliver Doerell, unterstützt wird er von Gastmusikern wie Malka Spiegel, der ehemaligen Sängerin von Minimal Compact. Daß sich das Album mit einem „Tango Doerell" verabschiedet, führt unweigerlich zum Drücken der Repeat-Taste am CD-Player.

Ganz so einfach ist es mit Andreas Tilliander nicht, schon allein, weil sein Album Elit (Mille Plateaux) in zwei Teile zerfällt: Da sind die hübsch reduzierten Stücke, die ruhig vor sich hin klicken und zirpen. Nachdem die Minimalisten also fein versorgt sind, bedenkt Tilliander auch die nervösen Geister: Für die gibt es hibbelige und gehoppte elektronische Breaks, die regelmäßig in sich zusammenfallen und gleich darauf wieder baßbekräftigt lospumpern: etwas unentschlossen, nicht ganz ohne Risiko, aber mit eigenwilligen Reizen.

Während Andreas Tilliander offensiv mit den musikalischen Strukturen spielt, verpackt Jori Hulkkonen seine vielschichtigen Bezugspunkte recht geschickt. Im Hintergrund seines Wide-Screen-House-Formats sind Latin- und Technovariationen zu hören: Sie fokussieren den wattierten offenen Sound unaufdringlich und charmant. So öffnet Hulkkonen auf Different (F Communications) immer weitere Lounge-Bereiche in seinem Club, und scheut auch nicht davor zurück, dezente Achtziger-Synthie-Elemente einzubauen. Von solch einem dezenten Referenzsystem halten The Faint so recht gar nichts. Mit vollen Händen greifen sie zu: Depeche Mode, Soft Cell, Joy Division, die ganze Synthiebreitseite eben. Nur, daß sie es mit Danse Macabre (City Slang) geschafft haben, dem ach so schicken Retrodesign zu entgehen. Denn während diverse andere Bands auf durchgestyltes und glattes Achtziger-Sounddesign setzen, gibt es bei The Faint Kanten, Dreck und Lärm. Höchst charmant entwerfen The Faint eine trashig-glamouröse Zukunftsvision, die der ideale Soundtrack zu einer Philip-K.-Dick-Verfilmung sein könnte, wenn sich nicht wieder Steven Spielberg und Tom Cruise daran vergehen würden.

Marcus Peter

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  Ausgabe 10 - 2002