Ausgabe 10 - 2002 berliner stadtzeitung
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Pornofix oder die Musealisierung der Pornographie

„21 x 5 porno MACHEN " im Schwulen Museum

Am Eröffnungsabend der Ausstellung „21 x 5 porno MACHEN" erlebt das Schwule Museum in Kreuzberg einen ungewöhnlich großen Zulauf: Dutzende von Besuchern drängen in die Ausstellung. Die große Besucherzahl spiegelt untrüglich die große Beliebtheit und Verbreitung von Pornographie in der schwulen Szene wider. Fast möchte man ihr dort eine kulturtragende Funktion attestieren. Allein dieses subkulturelle Phänomen legt es nahe, der Produktion von schwuler Pornographie eine Ausstellung zu widmen.

In Zusammenarbeit mit der Berliner Pornoproduktion Cazzo Film ist eine Ausstellung entstanden, die mit Dokumenten, großformatigen Fotos, Raum- und Videoinstallationen sowie Dia- und Videoprojektionen die verschiedenen Facetten schwuler Pornographie beleuchtet. In Echtzeit filmt eine desillusionierende Standkamera die Dreharbeiten zu einem Pornofilm. Umstellt von Kameramännern und Beleuchtern wird der gefilmte Sex in seiner ganzen trostlosen Konstruiertheit und Monotonie sichtbar. Es entsteht eine Art Metaporno. In einer „Pornofix-Kabine", die dem Fotofix-Paßbildautomaten nachgebildet wurde, dürfen sich die Besucher mit einer eigenen pornographischen Darbietung oder einem Kommentar an der Ausstellung beteiligen. Ähnlich spielerisch-ironisch, freilich belanglos, ist auch das Memory-Spiel mit Schwänzen zum Wiedererkennen.

Einen Blick aus der Innenperspektive versprechen die Statements von Pornodarstellern. Zu der naheliegenden Frage, was einen überhaupt bewegt, als Pornodarsteller zu arbeiten, welches Selbstverständnis und welche Wünsche dahinterstehen, erfahren wir nur wenig. Hier hätte ein gut geführtes Interview sicher mehr zutage gefördert.

Eine unfreiwillige Antwort auf diese Frage finden wir dagegen in einem Arrangement von Bewerbungsschreiben, die Cazzo Film dem Museum zur Verfügung gestellt hat. Unzureichend anonymisiert sind die Aspiranten mit „aussagekräftigen" Fotos und marktförmigen Selbstbeschreibungen dem Amüsement der Museumsbesucher ausgeliefert. In diesen Bewerbungsschreiben frappiert die stilistische und inhaltliche Ähnlichkeit zu sexuellen Kontaktanzeigen. Spätestens hier wird deutlich, daß eine reflektierte kritische Stellungnahme zur Pornographieproduktion fehlt. An Stelle einer ernsthaften Aufarbeitung des Themas begegnen wir einem unterhaltsamen Nebeneinander von Ausstellungsstücken, das die kritische Auseinandersetzung nicht ersetzen, sondern höchstens anregen kann.

In der schwulen Szene macht sich nicht ohne Grund verdächtig, wer Pornographie zu kritisieren wagt. Die historische Erfahrung der Kriminalisierung und Pathologisierung der Neigung zum eigenen Geschlecht macht die offene Darstellung von schwuler Sexualität, ihre Enttabuisierung, zu einen befreiendem Akt. In diesem historischen Kontext ist die kulturelle Aufwertung von Pornographie zu verstehen. Kritik sollte deswegen auch nicht repressive Moralvorstellungen wiederbeleben oder dort anknüpfen. Es ist nichts Anstößiges daran, seine sexuelle Phantasie mit Hilfe eines Pornos anzuregen. Die ungeheure kommerzielle Verbreitung von Pornographie, nicht nur in der schwulen Szene, scheint mir dagegen durchaus kritikwürdig, insofern sie unsere sexuelle Phantasie eben nicht nur anregt, sondern formt und unser sexuelles Selbstverständnis im Ganzen prägt.

In den Museumsräumen werden an vier Sonntagnachmittagen öffentliche „Werkstattgespräche" mit Darstellern und Produzenten der Pornobranche geführt. Vielleicht lassen sich in diesem Rahmen auch die fragwürdigen Aspekte der Pornoproduktion zur Sprache bringen.

Peter Böke

> „21 x 5 porno MACHEN", noch bis zum 17. Februar 2003 im Schwulen Museum, Mehringdamm 61, Kreuzberg. Geöffnet täglich außer Di von 14 bis 18 Uhr, Sa 14 bis 19 Uhr.

Außerdem gibt es eine Filmreihe zur Ausstellung im Arsenal jeweils samstags um 19.30 Uhr. Informationen: www.schwulesmuseum.de

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