Ausgabe 10 - 2002 berliner stadtzeitung
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Knarre unterm Kopfkissen

Michael Moore zeigt den gefährlichen Wahn im „Gun Lover´s Paradise"

Geht ein Mann in eine Bank und will ein Konto eröffnen. Sagt die Angestellte: „Zum Dank können Sie sich als Prämie ein Gewehr aussuchen". Was wie ein schlechter Witz klingt, ist in Littleton/Colorado durchaus möglich. Der Bankkunde ist der Dokumentarfilmer Michael Moore. Sein Film heißt Bowling for Columbine und erhielt in diesem Jahr zu Recht den Spezialpreis der Jury in Cannes. Ausgehend vom Massaker an der Columbine Highschool in Littleton im April 1999 unternimmt der Autor eine Reise durch das „Gun Lover's Paradise" Colorado und Michigan.

Vor dem Massaker gingen die Täter noch zum Bowling. Einige Stunden später sind zwölf Schüler und ein Lehrer tot. Die Frage, wo sie die Waffen herhatten, stellt sich erst gar nicht. Schließlich ist in Littleton die weltgrößte Waffenfabrik. Schuld waren angeblich Videospiele, Filme und Marilyn Manson.

Der Vater eines der Opfer stellt stattdessen die richtige Frage: „Was läuft in diesem Land falsch?" Moore hat darauf keine Antwort, auch keine Erklärung, warum die USA weltweit die Statistik für Tötungen durch Schußwaffen anführen. Über 11000 sind es pro Jahr. In Kanada, wo es prozentual genauso viele Waffen in Privatbesitz gibt, sind es nur 165. Viele reden sich mit der gewalttätigen Vergangenheit der USA heraus.

Ein möglicher Erklärungsansatz ist Moores „Theorie der Angst". So glauben Mitglieder eines US-amerikanischen Schützenvereins: „Wenn du nicht bewaffnet bist, bist du nicht verantwortungsvoll. Du mußt dich selbst verteidigen" ­ obwohl ihnen noch nie etwas passiert ist in ihren aufgeräumten weißen Vororten. Moore zeigt Menschen, die mit einer Knarre unterm Kopfkissen schlafen oder Bomben aus dem „Anarchistenkochbuch" basteln. In einem Cartoon erzählt der Film eine kurze amerikanische Geschichte der Angst, von der Furcht der weißen Siedler vor Verfolgung bis zu der Angst vor den Schwarzen und voreinander. Waffenbesitz spielt bei dem Versuch, die Angst zu bewältigen, eine wesentliche Rolle, wie auch die NRA, die National Rifle Associacion, deren Vorsitzender der Schauspieler Charlton Heston ist.

In seiner Dokumentation legt Moore sich mit einer Supermarktkette und mit der Waffenlobby an. Deren Aussagen läßt er dabei unkommentiert. So fragt er Heston ungeniert, ob er sich nicht bei den Angehörigen der Opfer für seine waffenfreundliche Rede in Littleton ein paar Tage nach dem Massaker entschuldigen wolle; Heston macht wie erwartet eine äußerst klägliche Figur. Mit Überlebenden des Massakers geht Moore zur Zentrale einer Supermarktkette, von der die Mörder ihre Munition bezogen. Sie kaufen alle Munition in einer Filiale auf, um sie symbolisch zurückzugeben ­ mit dem Ergebnis, daß sich die Kette dazu verpflichtet, Munition aus ihrem Sortiment zu nehmen. Eine zwar melodramatische, aber wirkungsvolle Aktion.

Moores Film klärt auf eine sehr unterhaltsame Art auf, ohne zu belehren, und zeigt dem Zuschauer ein ganz spezielles Sittenbild der amerikanischen Gesellschaft. Schön ist das nicht, aber dafür niemals langweilig.

Ingrid Beerbaum

> Der Dokumentarfilm „Bowling for Columbine" von Michael Moore kommt am 21. November in die Kinos.

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