Ausgabe 10 - 2002 berliner stadtzeitung
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Widerstand muß man jeden Tag neu ergründen

Kunst&Politik (X): Bert Papenfuß über Anarchie und literarische Gegenöffentlichkeit

Foto: Mathias Königschulte

„Als Künstler ist man politischen und formalen Affronts ausgesetzt. Ich werde von Schrott zugeballert, der mich belästigt, dem muß ich etwas entgegensetzen."

Bert Papenfuß, geboren 1956, Protagonist des legendären Prenzlauer Berg-Untergrunds vor 1989, ist heute Mitherausgeber der Zeitschrift Gegner und für das Programm im Kaffee Burger verantwortlich. In der Pamphlete-Reihe des BasisDruck Verlags erschien 2001 Haarbogensturz. Versuche über Staat und Welt.

Was heißt politische Literatur heute?

Zunächst ist für mich die Haltung eines Künstlers relevant. Als Anarchist glaube ich nicht, daß die momentanen Probleme der Menschheit politisch lösbar sind ­ Politik ist ein Irrläufer auf den Knochen der Basis ­, sondern ökonomisch und kulturell. Dennoch ist es punktuell, lokal und antiglobal nötig, sich politisch zu engagieren bzw. zu entgegnen. Ich verstehe politisches Engagement als ein linksradikales, antiautoritäres und antinationales. Radikal, im Gegensatz zu extrem, bedeutet, die gesellschaftlichen Probleme analysieren und beseitigen zu wollen. Was dann im einzelnen künstlerisch dazu entäußert wird, und wie, ist ein anderes und sehr spezielles Problem.

Was du als Haltung beschreibst, könnte man sich von Ärzten ja genauso wünschen.

Das wäre zu begrüßen.

Es gibt grob gesprochen zwei Konzepte von politischer Kunst: ein inhaltlich orientiertes, bei dem konventionelle Formen wie Spielfilm oder Roman zum Transport politischer Inhalte dienen. Dann gibt es aber die Auffassung, daß politische Relevanz über formale Qualitäten entsteht, indem etwa Sprache modellhaft anders gebraucht wird als im Alltag und der vorherrschenden Publizistik.

Ich finde sogenannte politisch engagierte Kunst schwierig. Allerdings gibt es kaum noch Agit-Prop-Theater, Kabaretts oder Lesebühnen usw., die explizit auf Tagespolitik eingehen. Auch der alternative Kulturbetrieb ist entpolitisiert bzw. entengagiert, weil nur mehr Bezug genommen wird auf individuelles Erleben und subjektives Empfinden. Für mich ist z.B. ein Film, der ein politisches Thema behandelt, sagen wir Terrorismus, nicht unbedingt ein politischer Film. Das ist vielleicht ein Film, der ein politisches Sujet benutzt. Viele dieser Kunstwerke kann man zurückführen auf allgemein-menschliche Probleme, einen Vater-Sohn-Konflikt oder so etwas Klassisches. Ein politisches Sujet macht noch keine politische Kunst. Das kann genauso an der Oberfläche bleiben wie eine Seifenoper, wenn es nicht an das Grundproblem der Gesellschaft geht, das heute kein anderes ist als vor 100 oder 1000 Jahren. Das Grundproblem ist immer noch das Privateigentum an Produktionsmitteln.

Wie genau man als Künstler dagegen angehen kann, muß jeder selbst herausfinden. Ich weiß wogegen ich bin, oft jedoch nicht, wofür, zumindest nicht im Detail. Diese Findung entsteht im künstlerischen und kommunikativen Prozeß. Manchmal ist die Kunst klüger als der Künstler, meistens jedoch umgekehrt altklüger.

Man merkt im repräsentativen Austausch mit Anderen, wie die Arbeit aufgenommen wird, was sie auslöst. Sich zurückzuziehen, zu konzentrieren und engagierte, emanzipatorische Arbeiten abzuliefern, reicht nicht ­ man muß sie auch kommunizieren können und wollen und sich mit Rezipienten, den Mittätern in spe, auseinandersetzen wollen. Es gibt kein Rezept für linksradikale Kultur, sie wird in jeder Ecke, meinetwegen in jeder Nische oder Szene, neu erfunden werden, und zwar jeden Tag.

Eine gesunde Opposition gegen den vorherrschenden Kulturbetrieb sollte man aber schon mitbringen, wenn man sich radikal engagieren will. Das hat natürlich formale Konsequenzen, man kann nicht die Sprache des Journalismus oder des bürgerlichen Romans verwenden. Man muß seine eigene Ausdrucksform finden und auch kommunizieren können. Ich bin für das Gegnerische, das Provozierende, Angreifende und Dagegensetzende. Die Gefahr des schlechten Geschmacks und Verständnisses schwingt bedrohlich mit.

Du hast ja mit Zeitschriftenprojekten einerseits, andererseits mit dem Kaffee Burger als Veranstaltungsort auch selbst Versuche unternommen, Öffentlichkeit herzustellen.

Das Zeitschriftenprojekt GEGNER, das vor acht Jahren als SKLAVEN angefangen hat, ist ein Versuch, dem offiziellen Kulturbetrieb etwas entgegenzusetzen. Wir sind nicht kräftig genug, diesen Apparat niederzuringen, aber wir können ihm etwas entgegensetzen. Der „SKLAVEN Markt", das öffentliche Forum der SKLAVEN, kämpfte ständig mit den Betreibern von Veranstaltungslokalen. 1999 wurde es notwendig, etwas eigenes auf die Beine zu stellen. Das war für mich der eine Impuls, das Kaffee Burger zu übernehmen, der andere Impuls war, eine drohende Abhängigkeit vom Literaturbetrieb zu vermeiden. Meine Spezialstrecke, schwere Lyrik und krause Essayistik, ist niederdotiert. Das Angewiesensein auf Honorare, Stipendien und Preise stand ins Haus. Meine ökonomische Basis wurde meine Arbeit fürs Kaffee Burger, die Organisation der Veranstaltungen. Diese beiden Dinge kamen zusammen, die Suche nach einer Plattform und der Wunsch, unabhängig vom Literaturbetrieb zu arbeiten.

Wie weit setzt du mit den Veranstaltungen im Burger deine inhaltlichen Vorstellungen um? Ich denke, was man so als Lesebühnen-Literatur bezeichnen kann, ist ja wohl kaum das, was du dir unter Literatur vorstellst. Das sind doch meist sehr angepaßte, leicht konsumierbare, vor allem auch unpolitische Sachen.

Meistens wird über irgendetwas erzählt, was gar nicht stattfindet: Heute Abend wollte ich eigentlich ausgehen und mich dermaßen besaufen... aber es kam was dazwischen, nämlich nichts. Ein Großteil dieser Geschichten läuft so ab. Phänomenologisch finde ich das interessant. Es gibt mir zu denken, daß junge Leute heute so viel über Sachen schreiben, die nicht stattfinden. Es macht mich jedoch nicht pessimistisch, irgendwann werden sie die Schnauze schon voll haben davon, irgendwann im Leben muß man dafür sorgen, daß etwas passiert. Dieses Schicksal ereilt alle. Irgendwann werden sie sich schon entscheiden müssen, ob sie so weitermachen wollen ­ ob sie auch formal so weitermachen wollen und inhaltlich.

Ich fand gut, daß sich kleine Gruppen zusammengefunden und ihre eigene Szene aufgebaut haben. Ich konnte das nachvollziehen. Das haben wir Ende der siebziger Jahre hier in Ost-Berlin auch gemacht. Auch unsere Szene damals war nicht homogen. Es gab schwierige Lyriker, es wurde aber auch biedere Prosa geschrieben.

Wie waren Deine Erfahrungen mit der literarischen Öffentlichkeit vor und nach '89?

Laß uns lieber über die Zeit nach der sogenannten Wende reden. Über das knackeharte Überleben im Stasi-durchsetzten Untergrund ist viel geschrieben worden. Das war eine andere Welt, man brauchte nicht so viel Geld und konnte sich relativ leicht unabhängig dem offiziellen Kulturbetrieb gegenüber behaupten. Gravierend anders wurde es erst Mitte der neunziger Jahre, als die Fördermaßnahmen, mit denen Ostkünstler noch eine Weile abgespeist wurden, wegfielen. Anfang der Neunziger war es für viele Leute noch möglich, sich von Stipendium zu Stipendium zu hangeln, von Aufträgen und Lesungen zu leben. Problematisch wurde es erst '94/'95, und das war auch die Zeit, in der die Zeitschrift SKLAVEN entstand. Die SKLAVEN waren zunächst ein Podium für versprengte widerständige Reste, gründend auf einer Grundskepsis dem System gegenüber. Über die Jahre haben viele Autoren für SKLAVEN, SKLAVEN Aufstand und GEGNER geschrieben, die in dem Sinne erfolgreich sind, daß sie zumindest ihr Auskommen haben. Das wird ja meist von unabhängigen Künstlern als Lebensziel genannt. Jeder angehende Rockmusiker sagt: „Ich möchte von dem, was ich mache, leben." Das ist manchen Leuten in dem Sinne gelungen. Ich bezweifle, daß es gelingt. Meiner Erfahrung nach entstehen Abhängigkeiten, die eine künstlerische Produktion kompromittieren. Andere wieder haben versucht, sich eine außerkünstlerische Existenz aufzubauen. Bei uns Suffköppen war das natürlich die erste Idee: Man macht eben eine Kneipe auf.

Ist Anarchie für dich das poetische Prinzip, im Sinne einer politischen Ästhetik?

Als Künstler ist man politischen und formalen Affronts ausgesetzt. Ich werde von Schrott zugeballert, der mich belästigt, dem muß ich etwas entgegensetzen. Dadurch entsteht ein Ausdruckszwang. Ich muß mich der Sache erwehren und kann es nicht mit denselben Stilmitteln tun, mit denen der Apparat arbeitet. Es gibt eine häretische Tradition. Wir, damit meine ich die GEGNER-Szene, berufen uns auf die Avantgarde. In dieser häretischen Tradition weiterzumachen, an die anarchischen Impulse der Avantgarde anzuknüpfen, ist für mich eine Ehrensache.

Widerstand muß man jeden Tag neu ergründen. Jeder Tag ist ein Aufstand. Wie korrupt man sein will, muß jeder Arsch jeden Tag neu herausfinden, außer meiner natürlich. Meine Literatur, ebenso der GEGNER, ist definitiv nicht Bestandteil eines marktorientierten Kulturbetriebs ­ das Kaffee Burger ist es unter den Umständen einer marktabhängigen Gast- und Tanzwirtschaft ­, sondern erwehrt sich dessen ziemlich erfolgreich. Kommerziell erfolglos und zuletzt lachend.

Interview: Florian Neuner

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