Ausgabe 10 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Was bewegt die Internet-Generation?

Aktuelle Ergebnisse der 14. Shell-Jugendstudie

Bereits seit Mitte der fünfziger Jahre untersucht ein Forscherteam mit Geldern der Shell-Ölproduzenten in einer repräsentativen Zeitreihenanalyse, was mit der deutschen Jugend los ist, wie sie lebt, welche Werte sie hochhält und welchen Platz in der Gesellschaft sie anstrebt – oder auch fürchtet. Seit August liegt die von Klaus Hurrelmann und Mathias Albert angeleitete Auswertung der diesjährigen Befragung von 2515 Zwölf- bis 25jährigen vor. Ungeheuer schnell, wenn man bedenkt, daß die empirischen Daten erst von März bis Mai zusammengetragen wurden.

Die Lebensphase „Jugend" verlängert sich durch die früher einsetzende Pubertät, weswegen erstmalig die Zwölf- bis 14jährigen einbezogen wurden. Ergänzung erfahren die Fragebogen-Ergebnisse durch qualitative Interviews mit 20 Jugendlichen im Alter von 16 bis 25, die das Internet für politisches Engagement verschiedenster Ausrichtung nutzen.

In Zeiten der Individualisierung gibt es keine einheitlich gültige Werteorientierung mehr. Stattdessen ein aktives selbstorganisiertes „Umweltmonitoring", das Chancen und Risiken der sozialen Umwelt erkennt. Hierbei ist die Mehrheit der Jugendlichen Trendsetter eines egotaktischen Wertekonzeptes, das mit Kreativität, Toleranz und Anerkennung demokratischer Grundwerte verbunden ist. Allerdings auch mit einer Ablehnung herkömmlicher Parteipolitik, die oft als „unpolitisch" mißverstanden wird, aber angesichts der Kohls, Möllemänner und Konsorten eher als kritische Verarbeitung traditioneller Politikmuster gelten sollte. Als überholt gilt den deutschen Jugendlichen, vor allem im Osten, auch die Religion: Nur wegen der ausländischen Jugendlichen kommt die Frömmigkeit noch bei 38 Prozent zu Ehren.

Die Studie konstatiert vier etwa gleichstarke Wertetypen. „Die pragmatischen Idealisten", überwiegend weiblich und aus bildungsbürgerlichem Milieu, verbinden das als vorrangig erachtete Engagement für ihre Ideale mit dem Bedürfnis nach materieller Sicherheit, während für die „selbstbewußten Macher" das durch Leistung errungene persönliche Wohlergehen stärker im Vordergrund steht. Auch sie haben aber das Gemeinwohl im Auge ­ anders als die „robusten Materialisten", meist männlichen Geschlechts, die oft gerade wegen erlebter Not vor allem in der Wohlstandskonkurrenz bestehen wollen, wenn es sein muß auch auf Kosten anderer. Irritiert dazwischen steht die Gruppe der „zögerlich Unauffälligen", denen es kaum gelingt, eigene Ziele zu definieren, geschweige denn sie engagiert umzusetzen.

Den pragmatischen, selbstbewußten Machern dieser Studie ist es gelungen, mittels fantasievoller Wortkombinationen die Jugendlichen unseres Landes in vier robusten Schubladen unterzubringen. Der scheinschlag hat übrigens die zögerlich Unauffälligen am liebsten.

Franz-Josef Paulus

Deutsche Shell (Hg.): Jugend 2002. Zwischen pragmatischem Idealismus und robustem Materialismus. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002. 12,90 Euro

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  Ausgabe 10 - 2002