Ausgabe 10 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Voll im Trend

Wenn man bis Mitte der neunziger Jahre unvorsichtigerweise erzählte, man wohne in Friedrichshain, gehörte in der hippen Szene von Mitte oder Prenzlauer Berg ein mitleidiges Lächeln noch zu den freundlicheren Reaktionen, meist verbunden mit der Frage, wann man denn wegzuziehen gedenke. Bald wurden es dort zu viele, die dem Bild eines lebendigen und subversiven Kiezes nur beiwohnen wollten. Die Akteure gerieten in die Minderheit, und die Zuschauer konnten sich in ihren Straßencafés nur noch gegenseitig anschauen. Das soziale Leben war steril geworden. So geriet Friedrichshain ins Blickfeld emsiger Trendsetter, denn hier gab es sie noch, die illegalen Kellerbars – mit Besetzerflair und garantiert ohne Yuppies.

Inzwischen hat sich die öffentliche Wahrnehmung von Friedrichshain geändert. Für Neuankömmlinge aus der Provinz ist eine Bleibe hier keine bloße Verlegenheitslösung mehr. Die Kellerbars gibt es immer noch ­ wer aber langweiligen Menschen beim Milchkaffeetrinken zusehen möchte, braucht nicht mehr zum Kollwitzplatz zu fahren, sondern kann dies in der Simon-Dach-Straße oder am Ostkreuz tun. Schon wird gefolgert, Friedrichshain stünde ­ quasi gottgegeben ­ die gleiche Entwicklung bevor, die der Prenzlauer Berg schon hinter sich hat. Yuppies würden scharenweise über den Kiez herfallen und die angestammte Bevölkerung vertreiben.

Angesichts solcher Horrorszenarien muß man sich doch zumindest die Frage stellen, woher die Yuppies eigentlich alle kommen sollen. Die Sozialdaten Berlins verweisen nicht gerade auf ausufernden Reichtum. Bilder, wie das vom Yuppie als gesellschaftlichem Leitbild, das sich in Form von Straßencafés ins Stadtbild schreibt, dienen eher der Aufrechterhaltung einer Hoffnung auf ein schönes, sorgenfreies Leben, in dem man seinen Milchkaffee genießend in die Sonne blinzeln kann, nachdem man einen angenehmen Arbeitstag damit verbracht hat, seine schöpferische Kraft auszuleben ­ eine Internet-Seite zu entwickeln oder einen Werbespot gegen Hundekot. Man bräuchte einfach nur selbst einer dieser Lachleute und Nettmenschen zu werden, und alles würde gut.

Nicht ganz zufällig fand der Siegeszug des Milchkaffees zeitgleich mit dem der New Economy statt ­ er war deren kultureller Ausdruck. Mit dem Zusammenbruch des „Neuen Marktes" ist aber offenbar geworden, daß der größte Teil nur Blendwerk war, auch das Bild des erfolgreichen Yuppies selbst. Zwar wird den Beschäftigten der neuen Arbeitswelt eine zentrale gesellschaftliche Rolle zugewiesen, reich sind sie deshalb aber nicht. Inzwischen hat die „Neue Mitte" ihre beste Zeit längst wieder hinter sich, und eigentlich müßten jetzt auch die Straßencafés mit ihr verschwinden. Bevor das passiert, würden diese aber wahrscheinlich als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen weiterbetrieben, um den Schein zu wahren. Die Stellen als Kaffeeschlürfer wären sicher sehr begehrt.

Läßt man sich von der Inszenierung nicht beeindrucken, geraten ganz andere Ausschnitte Friedrichshains in den Blick: das proletarische Friedrichshain zum Beispiel, das längst nicht aus dem Stadtbild verschwunden ist, das linksradikale Milieu, das hier über das Wohlergehen der Direktkandidaten entscheidet oder die abgestürzten Einkaufsmeilen Warschauer Straße und Frankfurter Allee, die den Stadtbezirk in vier Teile zerschneiden. Wer sich die Mühe macht, auf der Straße etwas genauer hinzuhören und seinen Ohren traut, könnte noch ein ganz anderes Bild von Friedrichshain zeichnen: das eines osteuropäischen Einwandererkiezes zum Beispiel. Es mag schon sein, das Friedrichshain inzwischen im Trend liegt, doch wohin weist der eigentlich?

Dirk Rudolph

Mehr über den Friedrichshain im Special

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