Ausgabe 09 - 2002 berliner stadtzeitung
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Auswege aus der Hochofenstraße

Zum Beispiel Dortmund

Frank Castorf hat die Zeichen der Zeit erkannt: Zwar hat er die Volksbühne noch nicht verlassen, seine Amtsmüdigkeit aber doch deutlich zu erkennen gegeben – und jetzt schon mal die Intendanz der Ruhrfestspiele in Recklinghausen übernommen. Das traditionsreiche Festival, Blüte des BRD-Wirtschaftswunders („Kunst für Kohle, Kohle für Kunst") sieht im Schlepptau der neugegründeten Ruhrtriennale einer neuen Ära entgegen. Soeben ist die erste „Herbstsaison" der Triennale, inszeniert von Gérard Mortier, zu Ende gegangen. Theaterleute wie Christoph Marthaler und Peter Sellars haben sich der Orte angenommen, die der große Trumpf der Region sind: der Industriebrachen und leerstehenden Hallen, die durch die Internationale Bauausstellung Emscher Park endgültig zur „Industriekultur" geadelt wurden; die Zeche Zollverein in Essen darf sich seit kurzem sogar Weltkulturerbe nennen. Marthaler bespielte mit seiner Schönen Müllerin das erst vor kurzem endgültig stillgelegte Hüttenwerk Phönix West in Dortmund.

Während es in Berlin Freiräume wohl bald nur noch in Köpenick oder Neukölln geben wird, kreative und experimentelle Zwischennutzung aus den Innenstadtbezirken weitgehend getilgt ist, verfügt „Deutschlands größte Stadt", wie die FAZ das Ruhrgebiet nennt, im Überfluß über solche Räume. Zudem treten sich Künstler und die, die sich dafür halten, nicht derart gegenseitig auf die Füße wie in der Hauptstadt. Wann wird der Troß nach Westen aufbrechen?

Von 1852 an war Dortmund-Hörde für 150 Jahre Stahlstandort. Die Fachhochschule Dortmund zeigte in dem verlassenen Gelände jetzt „Kunst in der Zwischenzeit", die übliche junge Spaßkunst, die sich aber immerhin auf den Ort einließ ­ und diskutierte auf mehreren Podien die Zukunft des Phönix-Areals. Das Konzept eines „Science Parks" geisterte dabei ebenso herum wie die Idee, Raum für zeitgenössisches Musiktheater zu schaffen. Das wird sich aber kaum finanzieren lassen. Die Stadt hat kein Geld; auf dem Gelände, auf dem die Hochofenanlage sowie mehrere Hallen denkmalgeschützt sind, muß ein „wirtschaftlich zumutbarer Betrieb" établiert werden. Die Behörden wollen Softwarefirmen nach Hörde holen; Strukturwandel nennt man das. Die Hochofenkulisse sorgt für ein unverwechselbares Ambiente, und Technologiefirmen fahren angeblich auf sowas ab. Indes könnte man mit Billigung der Hörder Bevölkerung das Stahlwerk gleich ganz abreißen. Warum der Ort, den man als Dreckschleuder erlebt hat und dessen harte Arbeitsbedingungen noch gut in Erinnerung sind, erhaltenswert sein soll, ist nur schwer vermittelbar; sogar eine Umbenennung der Hochofenstraße wurde schon ventiliert. Diesen Stimmen aus der Bevölkerung wird gerne mangelndes Geschichtsbewußtsein vorgeworfen. Wenigstens nach dem Ende der industriellen Epoche in Dortmund sollte eine Auseinandersetzung stattfinden, Phönix West könnte so ein „Pfahl im Fleisch" der Stadt bleiben. Wenn es momentan kein tragfähiges Nutzungskonzept gebe, so eine besonnene Stimme auf einem Podium im Oktober, dann könne das Gelände ja als Ort der Stille, als eine „unaufgeräumte Ecke" fortbestehen. Und wenn Phönix West so erst mal zu einer Art Abenteuerspielplatz mutiere, sei das auch nicht das schlechteste.

Abenteuerspielplätze waren auch die Trümmergrundstücke nach dem Krieg. Auf ihnen wuchs das neue, autogerechte Dortmund, das einige herausragende Bauten der Nachkriegsmoderne aufzuweisen hatte. Eine Ausstellung im Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Dortmund dokumentiert derzeit diese Epoche des Wiederaufbaus und ästhetischen Neubeginns. Einer der zentralen Bauten des neuen Dortmund freilich, das Haus der Bibliotheken gegenüber dem Hauptbahnhof, kann man nur noch auf Fotografien bewundern; dem Haus der Gesundheit droht ein ähnliches Schicksal. Der Kampf gegen die Moderne tobt auch in Westdeutschland; das Feindbild einer DDR-Moderne, die in Berlin möglichst ganz aus dem Stadtbild ausgemerzt werden soll, braucht es dazu anscheinend gar nicht. Die Sprengung des Dortmunder Bibliotheksbaus ist eine stadtplanerische Groteske geradezu berlinischen Zuschnitts: Erst 1986 renoviert, wurde das denkmalgeschützte Gebäude mit der markanten Fliesenfassade 1995 zum Abriß freigegeben, um das Grundstück verhökern zu können. Der Investor indes überlegte es sich dann doch noch mal anders und verzichtete dankend auf das freigesprengte Grundstück.

In unmittelbarer Nachbarschaft hat die Stadt mittlerweile ein neues Bibliotheksgebäude errichtet ­ einen prestigeträchtigen Bau des Stararchitekten Mario Botta. Eine durchdachte Stadtplanung findet auch in Dortmund nicht mehr statt. Als Alibi dienen derweil Highlights, die wie Solitäre in die Stadt gesetzt werden, deren Planung und Gestaltung man mittlerweile aufgegeben hat. Neben der Bibliothek ist die „Philharmonie für Westfalen" ­ das gerade eröffnete Konzerthaus im innerstädtischen, als Problemzone geltenden Brückstraßenviertel ­ so ein Fall. Mit den Konzertbesuchern soll eine neue Klientel in das abgeranzte alte Rotlichtviertel kommen. In der Tiefgarage des schicken Baus, der zumindest für seine Akustik einhellig gelobt wird, sollen allerdings bereits Prostituierte gesichtet worden sein.

Wie es weitergehen mag? In einer „Kursbestimmung 2010" heißt es: „Das neue Dortmund ist das schnelle Dortmund." Der Metrorapid läßt grüßen. Ein Sportkaufhaus plakatiert in der ganzen Stadt „Sportmund", auf die olympischen Spiele 2012 hofft man in der Region auch.

Florian Neuner

Die Ausstellung „Das neue Dortmund. Planen, Bauen, Wohnen in den fünfziger Jahren" ist noch bis zum 8. Dezember im Museum für Kunst und Kulturgeschichte in der Hansastraße 3 in Dortmund zu sehen.

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