Ausgabe 09 - 2002 berliner stadtzeitung
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Geschichten für die Dreißigjährigen

Neues vom deutschen Mainstream-Kino

Manchmal beneidet der geschundene Filmjournalist seine Füße um ihre Eingeschlafenheit und muß Kollegen beipflichten, die noch beim Abspann vehement die Einführung der Prügelstrafe für Regisseure fordern. Besonders oft passiert das im Zusammenhang mit Produktionen einheimischer Provenienz.

In den deutschen Kinos erscheinen jetzt zwar mehr einheimische Produktionen als noch vor einigen Jahren. Bloß geht man fast immer auf Nummer sicher, denn der Großteil ist von Majors wie Buena Vista oder Columbia produziert. Nummer sicher sind immer Rückblicke, zum Beispiel auf die westdeutsche Kleinstadtjugend in den achtziger Jahren wie in Das Jahr der ersten Küsse. Ein bißchen Nostalgie für die sogenannte Generation Golf und ein bißchen Teeniefilm. Das Genre wird im nächsten Jahr mit Verschwende deine Jugend das Achtziger-Revival noch einmal in der jugendlichen New-Wave- Szene aufgekocht. Die Zielgruppe der um die Dreißigjährigen dürfte damit vollends erschlossen sein.

Oder Solino, der neue Film von Fatih Akin: die Geschichte der Familie, die die erste Pizzeria im Ruhrgebiet eröffnete. Ein bißchen Italien, ein bißchen Migrantentum und Liebe. Der Regisseur wollte Kunst machen, herausgekommen ist ein durchaus sehenswertes Stück Kommerzkino, das eben alles Genannte beinhaltet. Literaturverfilmungen sind da probater. Und wenn man dafür noch hervorragende Schauspieler wie Margit Carstensen oder Jürgen Vogel verpflichten kann, ist die halbe Miete schon bezahlt, wie bei Scherbentanz.

Alle diese Filme zeigen die Lust am Erzählen, sie haben aber nur wenig mit dem Hier und Jetzt zu tun. Das gibt es eher im Fernsehen, wenn auch meist als Krimi getarnt. Die Gründe liegen unter anderem bei den langen Produktionszeiten. Bis ein Drehbuch realisiert wird, können schon mal drei Jahre vergehen, zumal, wenn die staatliche Filmförderung ihre Hände im Spiel hat. Zu viele Instanzen sind zu überwinden, bis ein wenig Geld zusammenkommt. So bleiben viele aktuelle Stoffe auf der Strecke oder werden zu spät umgesetzt. Da ist das Fernsehen schneller oder aber Großproduzenten wie Senator. Nur muß dann auch die Kasse stimmen.

Als Gegenbeispiel sei hier Halbe Treppe genannt ­ ein Film, der mit einem winzigen Aufwand an Geld und viel Enthusiasmus hergestellt wurde. Zwar gab es eine Koproduktion mit dem ORB, doch trug der Regisseur das finanzielle Risiko ­ mit Bedacht. Er wollte die langen Vorlaufzeiten umgehen und niemanden, der ihm dreinredet. Der Erfolg gibt seiner Risikobereitschaft recht.

Mut zum Risiko zeigen auch einige andere neuere Low-Bugdet-Produktionen, wie zum Beispiel Klassenfahrt oder Bellaria. Im übrigen kommt man nicht um die Vermutung herum, daß jungen Filmemachern nichts mehr einfällt. Gerade die oft als per se innovativ deklarierten Kleinproduktionen tun sich eher durch nichtssagenden Formalismus hervor. So geht es in Jeans, dem ersten Spielfilm von Schauspielerin Nicolette Krebitz, eigentlich um nichts. Die Protagonisten tragen alle Jeans und machen so Sachen, die man in Mitte oder anderen hippen Berliner Stadtteilen macht. Sie sind Mitte bis Ende zwanzig und haben nichts weiter zu tun. Es gibt Jungs und Mädchen, die aus ihren Wohnungen fliegen, verprügelt werden, depressiv sind und so weiter. Eigentlich das pralle Leben. Aber außer ein paar hübschen Bildeinfällen und hübschen Menschen hat der Film nichts zu bieten.

Oder L´Amour von Philip Gröning, der zwei Randgestalten, einen ungelernten jugendlichen Arbeiter und seine Freundin, eine Prostituierte, als Hauptakteure zeigt. Es geht um Liebe, das Herumfahren, und die Hauptdarstellerin ist viel zu oft nackt. Wie das bei Nutten eben so ist. Eine spannende Geschichte ist das jedenfalls nicht. Kein Wunder, daß der Film zwei Jahre lang keinen Verleih gefunden hat.

Insgesamt ist die Ausbeute an deutschen Kinofilmen jedoch so gut wie schon lange nicht mehr. Neben Halbe Treppe sticht Dani Levys Väter heraus. Vielleicht werden die Entscheider jetzt mutiger. Die Anzeichen sind da, und Geschichten gäbe es genug. Ingrid Beerbaum

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