Ausgabe 09 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Historie ohne Schnickschnack

Das Museum Mitte von Berlin versteckt sich. Touristenströme ergießen sich keine in das altehrwürdige Palais am Festungsgraben im Schatten der Museumsinsel. Gegenüber sieht der spektakuläre Erweiterungsbau des Deutschen Historischen Museums, mit dem sich Helmut Kohl ein Denkmal setzen wollte, seiner Fertigstellung entgegen. Ein historisches Museum ist das Museum Mitte auch. Man erreicht es über knarrende Parkettböden, vorbei an der Tadschikischen Teestube, letztes Relikt aus einer Reihe von „Nationalitätenrestaurants" der DDR. Ein Theater und die „Palais Immobilien" residieren in dem Gebäude ebenfalls. An einem verregneten Freitagnachmittag verirrt sich kaum jemand in die Räume des kleinen Museums.

„Leben am Potsdamer Platz", die Geschichte des Alexanderplatzes oder der Wiederaufbau sind Themen, die sich das kleine Museum in den letzten Jahren vorgenommen hat. Momentan ist eine Ausstellung zur Geschichte des Gendarmenmarktes zu sehen: informativ und ohne multimedialen Schnickschnack. Anhänger von effekthaschenden Museumsinszenierungen würden die Ausstellung wahrscheinlich textlastig nennen. Wenn man sich die Zeit zum Lesen aber nimmt, entsteht ein facettenreiches Bild von der Geschichte des Platzes, den größenwahnsinnige Lokalpatrioten für einen der schönsten Europas halten: Man erfährt von den Vorgängerbauten des Schauspielhauses, von der historischen Randbebauung, für deren Zerstörung es die Bomben des Zweiten Weltkriegs gar nicht mehr brauchte, vom NS-Aufmarschplatz, dem Grünflächen und Schiller-Denkmal weichen mußten. Hübsch nachzulesen auch die Geschichte des Denkmals, um dessen Errichtung mehr als zehn Jahre ein Schiller-Comité stritt, zu dem sich bald Goethe- und Lessing-Comités gesellten, um auch diese Geistesheroen auf dem Platz zu würdigen. All das wird illustriert mit einer Reihe von alten Ansichten und Plänen, Ausstellungsstücken wie einer Säbeltasche des Kürassierregiments Gens d'armes, dem der Platz, der zwischenzeitlich auch Schillerplatz und Platz der Akademie hieß, seinen Namen verdankt. Auch hat man liebevoll ein Tischchen mit Sektflasche inszeniert, auf dem E.T.A. Hoffmann bei Lutter & Wegner seiner Leberzirrhose entgegensoff. Überflüssig wirken die zeitgenössischen Platzansichten als Schmierbilder, welche die interessante Schau beschließen.

Eine Broschüre zur Gendarmenmarkt-Ausstellung konnte leider nicht realisiert werden. Was man im Palais am Festungsgraben demnächst zu sehen bekommen wird, weiß der Aufseher noch nicht zu sagen.

hb

„Fenster zum Gendarmenmarkt. Ansichten eines Berliner Platzes", noch bis zum 24. November im Museum Mitte im Palais am Festungsgraben, Am Festungsgraben 1, Mitte, Mi bis Fr von 13 bis 17, Sa von 13 bis 20 und So 11 bis 17 Uhr geöffnet

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