Ausgabe 09 - 2002 berliner stadtzeitung
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Die Finanzmisere als Chance?

Kulturpolitik in Mitte: Ein Gespräch mit Dagmar Hänisch (SPD), der Stadträtin für Bildung und Kultur

Der neue Großbezirk Mitte besteht aus Teilen, die auch – gerade was ihre kulturelle Infrastruktur betrifft – grob unterschiedlich sind. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit diesem heterogenen Gebilde?

Ich betrachte das eigentlich als große Chance, voneinander zu lernen und sich aufeinander einzulassen. Mein Wunsch wäre es, jetzt eine Bestandsaufnahme zu machen und den neuen Bezirk Mitte zu definieren. Was ist es, was wir an kulturellen Angeboten brauchen? Wo sollten wir was anbieten? Diese Fragen, denke ich, sind noch ungeklärt. Sie sind in den letzten eindreiviertel Jahren nicht in der Ausführlichkeit behandelt worden, in der ich mir das gewünscht hätte. Das sollten wir jetzt relativ zügig nachholen, damit wir mittelfristige Planungssicherheit und Klarheit haben, was wir als öffentliche Hand selbst gestalten wollen und wie wir andere unterstützen wollen.

Müssen Sie jetzt eigentlich eine Kulturpolitik für drei Bezirke machen?

Wir sollten schon Kulturpolitik für den Bezirk Mitte machen, wobei ich es als selbstverständlich erachte, daß die
vielen unterschiedlichen Kieze unterschiedliche Bedürfnisse haben; und dabei kann man eben nicht nur die Altbezirke als regionale Zusammenhänge sehen, sondern muß die Stadtteile noch kleinteiliger sehen. Aber das muß alles zusammengeführt werden in eine gemeinsame Gesamtkonzeption.

Sehen Sie in diesem Zusammenhang auch so etwas wie eine Ost-West-Problematik?

Dieses Wort mag ich nicht so sehr. Wir müssen viel stärker dazu kommen, die Chancen zu sehen in einem Bezirk, der sich aus Ost- und Westteilen zusammensetzt. Es gibt Unterschiede, die muß man auch sehen, die sollte man aber akzeptieren und auch schätzen. Es ist aus meiner Sicht eine wichtige Aufgabe, die Gemeinsamkeiten zu definieren und auf das Verbindende hinzuarbeiten. Da sehe ich gerade im Bereich Kultur eine große Aufgabe. Sie könnte einen wichtigen Beitrag leisten.

Wie groß ist der Gestaltungsspielraum bei der gegenwärtigen Finanzmisere? Was kann man über Konkursverwaltung hinaus überhaupt machen?

Die Situation ist sicherlich schwierig. Es gibt allerdings auch die Erfahrung, daß gerade Krisensituationen dazu beitragen, besonders innovativ und originell zu sein. Man muß sehr viel sorgfältiger überlegen, was man sich noch leisten kann und wo man Schwerpunkte setzen soll. Ich glaube, dies sollten wir jetzt tun. Man kann in jeder Situation Vor- und Nachteile sehen. Meine Wahrnehmung ist, daß in den letzten Monaten und Jahren seit der Fusion vor allem auf die Unterschiede und Nachteile hingewiesen worden ist. Ich würde mir wünschen, daß man jetzt gemeinsam nach vorne schaut, auch das Gemeinsame identifiziert und darauf aufbauend Strategien entwickelt. Und dann kann man die Situation vielleicht als Chance sehen.

Man muß in Zukunft verstärkt mit den unterschiedlichsten Partnern zusammenarbeiten und die Rolle der öffentlichen Hand anders definieren, indem man mehr unterstützend und beratend wirkt.

Sehen Sie da auch alternative Modelle, etwa die Zusammenarbeit mit freien Trägern? Ein Modell könnte ja vielleicht das Theaterhaus Mitte sein, dessen Betrieb durch Förderband ermöglicht wird.

Richtig ist, daß das Vorhalten von Kulturangeboten nicht allein Aufgabe der öffentlichen Hand sein kann, sondern daß es einen Angebotsmix geben muß. Ich halte sehr viel von Kooperationen. Kooperationsmodelle zwischen freien Trägern und der öffentlichen Hand gibt es ja in vielen Bereichen. Die sind in der Regel sehr fruchtbar. Ob wir die ausbauen müssen, müssen wir mal sehen. Ich würde mir erst mal die Stabilisierung vorhandener Kooperationen wünschen. Es gibt auch noch andere Beispiele. Der Kunstraum im Wedding wird von einem Förderverein getragen und hat einen Sponsor, die Schering AG, die eine Grundfinanzierung beisteuert. Das sind Kooperationsmodelle, von denen ich denke, daß wir sie ausbauen müssen.

Als Folgen des Sparzwangs sind bereits die ersten Schließungen von Institutionen beschlossen worden, etwa der Heinrich-Heine-Bibliothek und der Galerie Mitte. Was kommt da noch alles auf uns zu? Wie viel Geld muß eigentlich noch eingespart werden?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Man kann auch keine genaue Zahl nennen, die jetzt noch erreicht werden muß. So konkret ist das nicht bezifferbar. Das ist eine Frage der politischen Gewichtung zwischen den verschiedenen Handlungsfeldern, die noch vorzunehmen ist. Hier muß die Politik im Bezirk Mitte relativ zügig für einen Zeithorizont bis 2006 formulieren, welche Schwerpunkte sie setzen will. Angesichts eines solchen Gesamtkonzeptes wäre dann absehbar, was im Bereich Kultur vielleicht getan werden muß. Voraussetzung für weitere Entscheidungen aber ist es, daß man sich auf ein gemeinsames Grundverständnis, was Kultur hier im Bezirk an Aufgaben wahrnehmen soll, geeinigt hat. Alles andere würde sich als Willkürentscheidung darstellen. Wir brauchen einen Konsens.

Deswegen auch meine Entscheidung, einen Runden Tisch Kultur zu berufen, der sich erst mal dem engeren Bereich der Kultur widmen soll. Ausgeblendet sind Bibliotheken, Volkshochschule und Musikschule. Im engeren Bereich der Kultur ist aber der größere Diskussions- und Entscheidungsbedarf. Dieser soll in sechs Sitzungen bis zum Frühjahr nächsten Jahres Leitlinien für die bezirkliche Kulturarbeit formulieren, eben die Frage wälzen: Was wollen wir für wen auf welche Art und Weise anbieten? Diese Grundausrichtung soll am Runden Tisch eben zwischen der Politik auf der einen Seite, zwischen Kulturschaffenden auf der anderen Seite und der Verwaltung als drittem Partner gemeinsam formuliert werden. Das ist ein ergebnisoffener Prozeß.

Mein Wunsch ist es, daß dieser Runde Tisch nicht nur für sich selbst arbeitet, sondern daß die Politik parallel im Ausschuß Bildung-Kultur im Bezirk Mitte ihren eigenen Diskussionsprozeß fortsetzt und die Vertreter der Politik am Runden Tisch auch mit ihren eigenen Meinungen auf den Weg schickt. Ich würde mir auch wünschen, daß die sechs Kulturschaffenden, die vom Beirat für dezentrale Kulturarbeit für den Runden Tisch benannt wurden, in dem Beirat den Meinungsbildungsprozeß fortsetzen. Zu überlegen ist auch, ob man eine größere öffentliche Veranstaltung macht, auf der man den Zwischenarbeitsstand vorstellt.

Foto: Knut Hildebrandt

Rechnen Sie damit, daß Sie nächstes Jahr weitere Schließungen von Institutionen bekanntgeben müssen?

Das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar.

Bei den Schließungsplänen, die jetzt bekannt sind, wurde kritisiert, daß im Vorfeld zu wenig darüber diskutiert wurde.

Ich kann diese Position verstehen. Wenn wir schon in diesem Frühjahr Leitlinien gehabt hätten, hätten wir uns daran orientieren können, und die Entscheidungen wären nachvollziehbarer gewesen. Trotzdem glaube ich, daß diese Entscheidungen auch nach der Erarbeitung von Leitlinien davon gedeckt sein werden.

Welchen Stellenwert hat für Sie die dezentrale Kulturarbeit?

Der Bezirk ist flächenmäßig sehr groß. Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß wir ein gewisses dezentrales Angebot machen müssen. Gewisse Angebote aber, wie z.B. das Theater-Probenhaus, wird es sicher nicht in verschiedenen Ortsteilen geben können.

Kultur lebt sehr stark davon, daß es sehr kleinteilige, ortsgebundene Angebote gibt, auch die Möglichkeit, dort Eigeninitiativen zu stützen. Es wird andererseits öffentliche Einrichtungen geben müssen, die eine gesamtbezirkliche Funktion wahrnehmen. Ich denke, daß die richtige Mischung die richtige Antwort wäre.

In letzter Zeit hat es Projekte wie die Zentrale Moabit und die Kolonie Wedding gegeben, also eine kreative Zwischennutzung leerstehender Räume durch Künstler. Wird es für solche Projekte auch weiterhin Raum und Förderung geben?

Die Zentrale Moabit ist ja vom Quartiersmanagement gefördert worden. Auch hier sehe ich für uns den Wunsch, stärker mit solchen Partnern ins Gespräch zu kommen, um uns besser vernetzen und aufeinander abstimmen zu können. Gerade Quartiersmanagementgebiete können einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie selbst als Fördermittelgeber auftreten. Sie kennen die Potentiale und Bedürfnisse vor Ort. Das halte ich für sehr wichtig. Ich habe mir das selbst angeguckt. Das ist die Chance, im öffentlichen Raum wahrnehmbarer Kunst zu machen. Das ist ein Modell, das mittlerweile schon Schule macht.

Im alten Bezirk Mitte schwinden die Freiräume, die es dort vor fünf bis zehn Jahren noch gegeben hat. Im Wedding und in Tiergarten gibt es solche Räume noch. Ist das Dach des gemeinsamen Bezirks nicht vielleicht eine Chance, hier Angebote zu machen, Ausweichmöglichkeiten anzubieten?

Ich glaube, daß man sehr stark auf die Entwicklung in den einzelnen Kiezen achten sollte. Die Spandauer Vorstadt hat in den letzten zehn Jahren eine besondere Entwicklung vollzogen. Es wird darauf ankommen, auch dort gewisse Freiräume zu erhalten und verstärkt dafür Sorge zu tragen, daß es weiterhin eine Angebotsstruktur gibt. Ich denke aber, solche Entwicklungen sind sehr stark an ihre Kieze gebunden und nicht eins zu eins übertragbar. Daß solche Angebote dann für eine ganz andere Wohnbevölkerung auch attraktiv sind, glaube ich nicht.

Interview: Florian Neuner

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