Ausgabe 08 - 2002 berliner stadtzeitung
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Von Beziehungsweisen und Gebrauchsanleitungen

Zum 18. Lesben Film Festival

Die meisten Filme, die vom 8. bis zum 13. Oktober beim Lesben Film Festival gezeigt werden, stammen aus Nordamerika oder EU-Staaten. Die Veranstalter begründen das mit dem schlichten Argument, daß dort schließlich die größte Filmindustrie beheimatet sei. Doch auch aus Japan, China, Korea und Weißrußland ist jeweils ein Film im Programm. Die nicht deutsch- oder englischsprachigen Filme, zwischen zwei Stunden und zwei Minuten lang, werden in der Regel mit englischen Untertiteln gezeigt.

Die wahren Perlen dieses Festivals finden sich bei den Kurzfilmen. Neben einer schrägen koreanischen Gebrauchsanweisung für die Verwendung von Tampons beim Sex (The Tampon Manual) besticht besonders der US-amerikanische Kurzfilm über den gelungenen Ausbruch aus einer 45jährigen Beziehung (Stuck). Durch ein pointiert ­ mit wenigen Worten und Bildern ­ eingeführtes Setting und eine fast apokalyptische Landschaft baut der Film in gerade mal acht Minuten eine überwältigend dichte Atmosphäre auf, die in den Köpfen der Zuschauer länger nachhält als manch abendfüllender Spielfilm. Der knapp halbstündige niederländische Film You 2 über den Coming-Out-Versuch eines surinamischen Mädchens zeigt in souverän fotografierten Bildern, daß die Anerkennung ihrer Lebensweise durch ihre Mutter nicht unbedingt über ein explizites, problemorientiertes Gespräch laufen muß. Am Ende sind es nur wenige Gesten, die die ersehnte Akzeptanz vervollständigen.

Der Eröffnungsfilm A Family Affair unterscheidet sich aber leider kaum von altbekannten romantischen Komödien aus Hollywood, außer daß selbstironische Kommentare über die Lesbenszene mit einfließen. Nach einigen mehr oder weniger komischen und leicht vorhersehbaren Verwicklungen wird im Schoße der Familie geheiratet, als wäre das stets das Ziel des Kampfes um Anerkennung der Lesben und Schwulen gewesen.

Daß auch Lesben schlechte Filme drehen können, mag eine Binsenwahrheit sein. Doch ist zudem zu befürchten, daß durch die Konzentration auf Nordamerika und Westeuropa ein lesbisches Filmfestival zu einer sich selbstvergewissernden Veranstaltung wird. In diesen Ländern wird im Zuge der postmodernen Identitätsflexibilisierungen jeder von der bisherigen Norm abweichende Lebensstil gefeiert und hat längst seine subversive Kraft verloren. Homophobie thematisierende Problemfilme muten nun schon seit zwei Jahrzehnten altbekannt an, dennoch scheint es wiederum zu einfach, die herkömmlichen heterobezogenen Genrefilme mit homosexuellen Protagonisten nachzudrehen. Damit wäre die progressive Kraft einer Politisierung abweichender Sexualitäten, selbstverständlich auch für Heteros, verschenkt. Daß ich dennoch jedem empfehlen möchte, dieses Festival zu besuchen, liegt daran, daß es uns die Möglichkeit bietet, unabhängig produzierte Filme zu sehen, die wohl selten kommerzielle Leinwände erreichen werden. In Zeiten, in denen uns von sogenannten Kritikern weißgemacht wird, daß auch traditionelle Hollywoodproduktionen künstlerischen und politischen Wert hätten, kann man sich nicht genug bemühen, seine Sehgewohnheiten irritieren zu lassen.

Susann Sax

Das Lesben Film Festival findet vom 8. bis zum 13. Oktober 2002 im Kellerkino Arsenal am Potsdamer Platz statt. Die Festival-Party startet am Samstag, dem 12. Oktober um 22 Uhr im SO 36. Am Sonntag, dem 13. Oktober, wird im Anschluß an die Vorstellung des Abschlußfilmes By Hook or By Crook um 20 Uhr der Publikumspreis für den besten Kurzfilm verliehen. Karten für alle Veranstaltungen sind im Vorverkauf vom 1. bis zum 7. Oktober jeweils von 18 bis 22 Uhr im Schoko-Café, Mariannenstr. 6, in Kreuzberg oder ab dem 8. Oktober an der Tageskasse des Arsenals, jeweils eine Stunde vor dem ersten Vorstellungsbeginn erhältlich.

www.lesbenfilmfestival.de

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