Ausgabe 08 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Kurzkultur

musikalischer abgrund

Als ein Ort für besondere Konzertveranstaltungen hat sich inzwischen die Volksbühne etabliert. Der bestuhlte Saal, der Aufblick auf die Bühne und die – im Vergleich zu anderen Konzerthallen – eher gediegene Atmosphäre lassen gerade Bands, die weniger Dancefloor-orientiert sind, zu einer besonderen Wirkmächtigkeit kommen. Nun sind Bohren & Der Club Of Gore nicht gerade die Band, die zum fröhlichen Tanz einlädt. Zwar handelt es sich um Jazz, doch ist dies Jazz der düsteren Art, der an Verlangsamung kaum noch zu schlagen ist. Hieß die letzte Scheibe noch Sunset Mission und ließ noch ein wenig Platz für Hoffnung, ist das neue Album schlicht BlackEarth betitelt und der abgebildete Totenkopf auf dem Cover symbolisiert markant das Ende jeglicher Zuversicht. Daß Bohren & Der Club Of Gore in der Volksbühne spielen, ist unter diesem Aspekt ein wahrer Glücksfall, denn ein festmontiertes Sitzmöbel dürfte einen angemessen Schutz vor dem Sog in den musikalischen Abgrund gewähren.

Bohren & Der Club Of Gore, am 13. Oktober in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte

idealisierter abgrund

Alle haben eine, aber niemand kann seine so trefflich ­ diffus und genau zugleich ­ benennen wie wir Deutschen: die Heimat. Das Literaturforum im Brecht-Haus widmet dem Thema derzeit eine eigene Reihe. An drei Abenden sollen mit Hilfe des Mediums Dokumentarfilm die Ambivalenzen des Heimatbegriffs untersucht werden. Am Mittwoch, dem 9. Oktober um 20 Uhr findet die zweite dokumentarische Untersuchung der Reihe „Heimat ­ deine Sterne?" unter dem Motto „Idealisierte Heimat" statt. Andreas Dresens selten gezeigter Dok-Film Jenseits von Klein Wanzleben (DDR 1989) und Gitta Nickels Zu Hause in Ostpreußen (BRD 2001) bilden das Material für die Diskussion. In Nickels Film feiert ein Dorf Geburtstag, Briensdorf/Borzynowo wird 666 Jahre alt. In dem kleinen Ort im ehemaligen Ostpreußen treffen Vertriebene und Bewohner, Deutsche und Polen, aufeinander und feiern erstmals gemeinsam. In Jenseits von Klein Wanzleben, 1989 in Simbabwe gedreht, führt Dresen skurril anmutende Interviews mit Mitgliedern einer Freundschaftsbrigade aus der DDR.

„Idealisierte Heimat", Dok-Film-Abend mit anschließendem Gespräch, am 9. Oktober, 20.30 Uhr im Brechthaus, Chausseestr. 125, Mitte

österreichischer abgrund

Sein erster Spielfilm ist vor kurzem in die Kinos gekommen und mußte für das reichsdeutsche Publikum untertitelt werden. Zwar könnte man die Vorstadtexistenzen, die Ulrich Seidls Protagonisten sind, auch in Neukölln oder in Bochum finden, dennoch leben seine Hundstage nicht zuletzt vom (sprachlichen) Lokalkolorit. In irritierendem Kontrast zur kleinbürgerlich-proletarischen Hölle steht die souveräne Ästhetik, mit der Seidl seine Bilder komponiert. In einer Seidl-Werkschau im Babylon werden nun auch dokumentarische Arbeiten des Österreichers gezeigt: Tierische Liebe etwa, ein Skandal-Film, der zeigt, wie weit die körperliche Zuneigung vieler Hundebesitzer zu ihren Kötern geht; oder Die letzten Männer, ein Film über Österreicher, die ihre thailändischen Ehefrauen im Katalog ausgesucht haben. Ein filmischer Blick auf gesellschaftliche Deformationen an der Grenze zum Zynismus.

„Obskuritätenkabinett am Rande der Gesellschaft. Werkschau Ulrich Seidl", vom 1. bis zum 7. Oktober im Filmkunsthaus Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30, Mitte

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