Ausgabe 08 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Bibliothek auf der Abschußliste

Wo sich Köpenicker und Heinrich-Heine-Sraße kreuzen – an der Schnittstelle zwischen albern überschminkter sozialistischer Hochhausklotzigkeit und rottenden, aufgehübschten, für den letzten Imbiß tauglich gemachten Altbauten – hat die Heinrich-Heine-Bibliothek ihr Domizil: im Parterre eines Elfgeschossers aus den achtziger Jahren, gegenüber dem Ausgang des U-Bahnhofs Heinrich-Heine-Straße.

Es ist keine große Bibliothek: keine weiten, hohen Räume, in denen durch aufgestellte Regale ein Labyrinth hergestellt werden müßte; der Grundriß ist Labyrinth genug. Die Decke ist mit einem lässigen Hüpfer und ausgestrecktem Arm zu erreichen: eine Stadtteilbibliothek eben. Sie ist modern eingerichtet, zweckbestimmt gebaut, besitzt behindertengerechte Eingänge und Verkehrsflächen, nicht unerheblich bei dem hohen Anteil von älteren Bürgern im Kiez (über 65 Prozent sind älter als 60 Jahre). In den letzten Jahren wurde die Einrichtung allmählich hochgerüstet: Einbau einer Sicherungsanlage, Anschluß an den VÖBB und das Internet. Nebenan gibt es die Kinderbibliothek, mit Multimedia-PC samt Computerspielen und einer Spielecke.

Insgesamt verfügt die Bücherei über etwa 40000 Medieneinheiten (Bücher, Zeitschriften, Videos, CDs, Kassetten usw.), ein Angebot, das von den Anwohnern gern genutzt wird: 33000 Besucher zählt die Erwachsenenbibliothek im Jahr, 17000 die Kinderbibliothek. Das ist wohl nicht genug, denn das Bezirksamt plant ­ neben fünf anderen Kultureinrichtungen im Großbezirk ­ ihre Schließung zum Jahresende.

Das Bezirksamt begründet sein Vorhaben mit den ihm auferlegten Sparzwängen, in Anbetracht dieser Situation seien die jährlichen Mietkosten, die die Bibliothek verursacht, einfach zu hoch. Nun sind knapp 70000 Euro Jahresmiete sicherlich nicht wenig, aber das Bezirksamt sah sich bisher auch nicht in der Lage, mit dem Eigentümer der Räume wenigstens über den Mietpreis zu verhandeln. An einem Leerstand kann der ja wohl kaum interessiert sein. Zudem wurde die Bibliothek neu ausgerüstet und „zukunftstauglich" gemacht ­ der Anschluß ans Internet erfolgte erst im Juli 2002 (!). Eingedenk dieser Tatsache braucht man gar nicht die „Bildungsmisere" oder ähnliches herbeizuzitieren, um das Ansinnen des Bezirksamtes einigermaßen widersinnig zu finden. Es ist, als würde man sich ein teures Buch kaufen, um es ­ ungelesen ­ wegzuwerfen. Sollte es dabei bleiben, ist der Eindruck naheliegend, daß das Bezirksamt wie der Senat agiert: als Geldvernichtungsmaschine.

gs

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