Ausgabe 08 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Selbstbewußt dilettantische Täter

Die gesammelten Schriften der Glücklichen

Arbeitslosen als Buch

Seit 1996 gibt es die Glücklichen Arbeitslosen. Mit Aufrufen und Manifesten, Spaziergängen zum Arbeitsamt, Schriften wie dem „Kontemplationsblatt" müßiggangster und verschiedenen öffentlichkeitswirksamen Aktionen („Wir bleiben liegen!") verkündeten sie die – einer Häresie vom Glauben an die Arbeitsgesellschaft gleichkommende – Botschaft: Arbeit für alle wird es nie wieder geben, aber gerade dies sei eine historische Chance. Sie positionieren sich gegen das festgefahrene Verständnis eines Gemeinwesens, das sich nur über Arbeit definiert, und zielen auf die Umwertung der unhinterfragten (im kapitalistischen Wertekanon wohl auch unhinterfragbaren) Formeln Arbeit = Glück, Arbeitslosigkeit = Unglück. Gegen die herrschende Arbeitsmoral setzen sie die soziale Relevanz der Muße, die Produktivität des (wohlbeschäftigten) Arbeitslosen und fordern eine Apanage für diejenigen, die auf die Mangelware Arbeit freiwillig verzichten. Das alles natürlich „mit der gebührenden Langsamkeit und ruhigem Fanatismus".

Jetzt ist in der von Linkstrompeter Klaus Bittermann betreuten Edition Tiamat erstmals eine Sammlung der Pamphlete, Vorträge, Flugschriften und Berichte über Aktionen der Glücklichen Arbeitslosen erschienen. Schon im Vorwort zu Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche weist Herausgeber Guillaume Paoli (einer der Hauptakteure der Gruppe) auf die beiden Möglichkeiten hin, die im Buch zusammengefaßten Texte mißzuverstehen: Man solle keineswegs wissenschaftlich erarbeitete Alternativmodelle oder statistisch untermauerte Analysen erwarten – „ein solch betonierter Ernst fehlt" –, noch sei das Buch als ein weiteres Produkt der allzernichtenden Spaßkultur zu sehen.

Wenn auch manche ihrer Aktionen an Spaßguerilla gemahnen (während einem ihrer Spaziergänge wird nebenher die Eintrittskasse von Schlingensiefs Wahlkampf-Zirkus „Chance 2000" mitgenommen), ist es den Glücklichen Arbeitslosen mit ihrem Anliegen durchaus ernst. Nur eben nicht als theoretisierende, besserwisserische Sektierer, sondern als lustvolle Partisanen der Faulheit, die den Gegner beim Wort nehmen, seine Widersprüche nutzen, „mit dem Ziel, sein ideologisches Gleichgewicht zu brechen". Und ihren Kritikern halten sie nonchalant entgegen: „Wir haben keine Lösung, damit aber auch kein Problem."

Die absurdeste Bemerkung zu den Glücklichen Arbeitslosen machte im übrigen der sogenannte Vordenker der SPD, Peter Glotz, als er die Gruppe in eins setzte mit einem neuen „Bund der Kommunisten". Er sah zwar keine Gespenster in Europa umgehen, aber er warnte: „Die neue Ideologie greift um sich wie ein Ölfleck."

Am Ende des Buches findet sich ein Satz, der das Selbstverständnis der Glücklichen Arbeitslosen – ihres offensiven Umgangs mit der Arbeitslosigkeit wie auch ihres Bekenntnisses zur fröhlichen Unwissenschaftlichkeit – trefflicher nicht hätte ausdrücken können: „Wenn jemals eine Rettung kommen sollte, dann nicht von professionellen Opfern, sondern von dilettantischen Tätern."

Gertrude Schildbach

Guillaume Paoli (Hg.): Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche. Aufrufe,
Manifeste und Faulheitspapiere der Glücklichen Arbeitslosen. Edition Tiamat, Berlin 2002. 14 Euro

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