Ausgabe 08 - 2002 berliner stadtzeitung
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Warten auf das Ende der Nacht

Immer mehr Taxen schlagen sich um immer weniger Fahrgäste

Friseure und Taxifahrer merken als erste, wenn dem Normalverbraucher weniger Geld zur Verfügung steht, sagte mein Chef immer. Wenn die Leute alle fünf statt vier Wochen zum Friseur gehen, ist das immerhin ein Umsatzrückgang von 20 Prozent. Wenn die Leute immer häufiger auf das Taxi verzichten, sind die Auswirkungen auf das Taxigewerbe noch gravierender. Schließlich hat ein Fahrer keine geregelte Arbeitszeit, sondern muß bei einem schlechteren Stundenlohn halt etwas länger und häufiger fahren. Es gilt also das teuflische Prinzip: Je weniger Menschen die Taxen benötigen, desto mehr Taxen sind unterwegs. Seit der Einführung des Euros stapeln sich die Taxen an den Halten, daß so mancher Fahrer mit weniger Geld als zu Schichtanfang nach Hause gehen muß, weil ihm das unerlaubte Warten in zweiter Reihe ein Bußgeld einbringt.

Die Kosten und Abgaben für die Taxen haben sich in den letzten Jahrzehnten versechsfacht, die Tarife nur verdreifacht. Die Menschen, die das Taxifahren im Blut haben, wie sie sich ausdrücken, und ein Unternehmen mit nur einer Taxe betreiben – das sind mehr als die Hälfte aller Betriebe – führen ein armseliges Leben. Bei einer 70-Stunden-Woche müssen sie noch für die Vollkasko- und Krankenversicherung und für die Altersvorsorge sparen, um über die Runden zu kommen. Mein Chef machte mit seinen letzten beiden Taxen weniger Umsatz, als seine Frau als Apothekenangestellte verdiente. Die Kosten für den Betrieb ließen sich damit nicht decken. Er gab auf. Jetzt ist er mein Kollege in einem anderen Betrieb. Sich darüber zu beschweren, daß bei dieser Erwerbslage auch an Steuern gespart wird, mutet zynisch an.

Zynisch ist auch die Haltung der Senatsverkehrsverwaltung, die sich hartnäckig weigert, einen Konzessionsstop durchzusetzen. Man könne gesetzlich nur eingreifen, wenn das Gewerbe zugrundezugehen drohe. Ein paar hundert Neuanträge gelten ihr als Beweis, daß einige Unternehmen immer noch Marktchancen sehen. Vielleicht wollen sich die Bewerber aber auch nur den demütigenden Gang zum Sozialamt ersparen, bei dessen Arbeitsdiensten man schließlich auch nicht viel mehr verdient.

1998 verfügte der damalige Verkehrssenator einen Konzessionsstop. Die Zahl der zugelassenen Taxen wurde auf dem ­ immer noch viel zu hohen ­ Stand von 6700 eingefroren. Eine neue Konzession wurde nur vergeben, wenn eine alte zurückgegeben wurde. Einer der 600 Wartenden klagte vor dem Verwaltungsgericht auf den Artikel 12 des Grundgesetzes, der jedem Bürger freie Berufswahl zusichert. Das Gericht gab ihm recht, da das Land nicht ausreichend darlegen konnte, daß die Funktionsfähigkeit des Gewerbes beeinträchtigt ist. Auf einen neuen Versuch verzichtet das Land wohl aus Angst vor Schadensersatzklagen.

Doch wer jetzt befürchtet oder auch hofft, daß die fast 10000 Taxifahrer in Berlin aus Protest die Stadt lahmlegen ­ was augenscheinlich ein Leichtes wäre ­ verkennt die Mentalitäten dieser Leute. Die Zeiten wirksamer Protestaktionen sind offenbar vorbei. 1997, als die Flughafen-Holding das erste Mal den Versuch startete, die Fahrer für die Kosten der Taxihalte des Flughafens Tegel zur Kasse zu bitten, weigerten sich die Taxifahrer im Gegenzug, ihre Fahrgäste auf das Gelände zu befördern. Den letzten Kilometer von der Einfahrt mußten diese ihr Gepäck eigenhändig zum Flugsteig schleppen. Bereits nach ein paar Stunden verschwand der Gebührenvorschlag in der Schublade. Dieses Jahr konnte bei einem erneuten Versuch, eine Flughafengebühr für die Taxen einzurichten, nur eine einstweilige Verfügung des Landgerichts gegen die Flughafen-Holding erzwungen werden. In den paar Wochen, als eine Schranke den Taxen die kostenlose Benutzung des Parkplatzes verwehrte, war von Solidarität nichts zu spüren. Die zahlungswilligen Fahrer freuten sich schlicht über die verkürzten Wartezeiten. Überhaupt zeichnet sich das Gewerbe in Zeiten wirtschaftlicher Not durch besondere Uneinigkeit aus. Die Interessenverbände streiten darüber, ob eine Tariferhöhung oder doch eher eine Preissenkung die Lösung bringen könnte. Von einigen wird die Ökosteuer für die Misere verantwortlich gemacht, die zwar nicht für den öffentlichen Nahverkehr, wohl aber für das Taxigewerbe gilt. Andere fordern ein verschärftes Vorgehen gegen Schwarzarbeiter. Oder striktere Zugangsbedingungen für den Taxischein. Schließlich könne es nicht sein, daß die vielen ausländischen Bewerber zwar eine Auswahl aus 15000 Routen aufsagen, sich aber der Zentrale nicht akzentfrei verständlich machen können. Der Taxi-Ruf „Berliner Kutscher" witterte vor zwei Jahren diesbezüglich sogleich eine Marktlücke und schickt nur langjährig-erfahrene Alleinfahrer vorbei. Das Werbeflugblatt verspricht: „Endlich mal wieder ein deutscher Fahrer ... Wer einen echten Berliner Kutscher haben will, soll keinen aus Ankara oder Beirut bekommen."

Auch auf den Straßen wird der Konkurrenzkampf härter. Kollegen machen falsche Angaben darüber, wo angeblich Taxen benötigt werden, damit sich vor ihnen die Halten leeren oder erzählen stolz, mit welchen gewitzten Methoden sie anderen die Fahrgäste wegschnappen. So kommt es immer häufiger vor, daß man irgendwo hinbestellt wird und vergeblich vor der Tür wartet, weil ein anderes, nicht bestelltes Taxi bereits geladen hat. Daß die Autos aus Geldmangel immer älter und kaputter werden, hebt auch nicht gerade die Laune, zumal gleichzeitig die Kundschaft immer feiner wird: Es kam schon mal vor, daß eine pelzbekleidete Dame am Adlon meine Dienste ablehnte, weil ihr mein verbeulter Mercedes mit einer halben Million Kilometer auf dem Bukkel nicht zusagte.

Sollten die Taxiunternehmer und -fahrer auch in Zukunft ihre Interessen nicht gemeinsam vertreten können, wird sich das Gewerbe wohl auf einem niedrigen Stundenlohn mit hohem Anteil an Schwarzarbeit einpendeln. Immerhin ist mein Job sicher. Je weniger Geld eingefahren wird, umso mehr Fahrer werden benötigt, um die Taxen möglichst 24 Stunden auszulasten. So werde ich auch weiterhin durchschnittlich eine Stunde wartend an einer Taxihalte verbringen. Vielleicht wird mir der Philip-Morris-Konzern ja noch einmal – wie im letzten Sommer – die Wartezeit versüßen. Damals starrte ich fast zwei Stunden auf ein Werbeplakat an einer Halte: „Marlboro Summer Jobbing! Sechs Wochen Taxi-Fahren in New York! Jetzt bewerben!"

Susann Sax

Die Autorin fährt seit 6 Jahren nebenberuflich Taxi in Berlin.

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