Ausgabe 07 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Stiefopa muß sterben: der Coup mit den Coupons

Die Post offeriert Vorteile, Rabatte und Preisknüller

Berliner Telefonbücher sind äußerst nützlich: Sie stabilisieren Bett oder Schrank, wenn das vierte Bein fehlt; man kann damit abgelöste Briefmarken oder Weinflaschenetiketten platt pressen, auf Parties mutieren sie zum Sitzmöbel und lassen einen obendrein ruhigen Gewissens behaupten, man besäße ein mehrbändiges Werk, in dem man hin und wieder gewinnbringend schmökere; sie beeindrucken den Besuch aus der Provinz, den Anzahl und Dicke ahnen läßt, was Großstadt wirklich bedeutet; manchmal verraten sie sogar die Telefonnummer, nach der man gesucht hat, und nicht zuletzt ließen sich wahrscheinlich auch Einbrecher damit in die Flucht schlagen. Ich persönlich bevorzuge ja die Gelben Seiten. Kaum ein Monat vergeht, ohne daß ich sie mehrmals konsultiere, und sei es auch nur, um festzustellen, daß es irgendein Spezialgeschäft, dessen ich dringend bedürfte, trotz kapitalistischer Marktvielfalt nicht gibt, denn wo sonst, wenn nicht in den Gelben Seiten, sollte es zu finden sein? Einmal im Jahr, wenn die Post ihre Telefonbuchumtauschaktion auflegt, ist Kraftsport angesagt – alte Bücher in die blaue Tonne, neue nach Hause buckeln –, aber gerade bei den Gelben Seiten ist Aktualität natürlich ein Muß, denn huppsdischwuppshasdunichgesehn hat der Markt wieder irgendwo was weg-, dafür an anderer Stelle zureguliert.

Dieses Mal wartete die Post jedoch mit einer Überraschung auf. Neben den Gelben Seiten – auch in einem Band nicht handlicher geworden – gab es nämlich zusätzlich die Gelbe Seiten- Coupons. Das sind „Vorteile, Rabatte, Preisknüller", markant bekräftigt durch je ein Ausrufezeichen, macht insgesamt drei!!! Und wer sollte sich da nicht angesprochen fühlen, wer ist nicht ständig auf Vorteile bedacht, wer freut sich nicht über das neue Rabattgesetz und wer kauft nicht gern nutzlose Dinge ein, solange es Preisknüller sind? Na also. Neugierig machte ich mich an die Lektüre all dieser versprochenen Glückseligkeiten. Schon der erste Coupon ließ mein Herz höher schlagen. Ein Malermeisterbetrieb verspricht mir: „Bei Vorlage dieses Coupons und einer schriftlichen Auftragserteilung über ein Auftragsvolumen von mindestens 760 Euro (netto) erhalten sie 1 UCI Kinogutschein nach Auftragsausführung und Rechnungsbegleichung." Na, wenn das kein Angebot ist! Während ich mir nach diesem Deal wahrscheinlich gar nichts mehr leisten kann, ermögliche ich es aber vielleicht dem Malermeister, endlich den lang ersehnten Kurs einer renommierten Privatschule „Gezielt werben durch richtige Wortwahl – auch Sie können das lernen" zu besuchen. Leider besteht bei mir kein erhöhter Malereibedarf, und so muß ich weiter suchen. Mal wird mir ein „Gutschein für einen Möbelstellplan" versprochen, mal „15% Rabatt für eine Ballonfahrt", mal „1 Liter Pflegemittel kostenfrei" (wenn ich eine Parkettschleifmaschine anmiete, irgendwelches Material kaufe und außerdem noch diesen Coupon vorlege), mal „10% Rabatt auf unsere Leistungen" (Einrahmungen, Vergoldungen, Restaurierungen, Galerieschienen), mal „1 kostenloser Probemonat", um Karate oder Judo zu trainieren. Irgendwie alles nicht das richtige. Endlich entdecke ich einen Coupon, der besser zu meinen Alltagsbedürfnissen zu passen scheint, ein Fahrradladen bietet an: „Kostenlos – bei Abgabe dieses Coupons ermitteln wir per Computer die richtige Sitzhaltung auf Ihrem Fahrrad". Zugegeben, das ist ein echter Knüller. Mein beschränkter Horizont assoziierte mit Fahrradladen nur Achter, kaputtes Licht, Platten und ähnlich banale Dinge, dabei habe ich die wirklich wichtigen Aspekte bisher völlig übersehen, denn, heißt es weiter: „Fahrrad von der Stange – das muß nicht sein. Jedes Fahrrad kann individuell angepaßt werden!" Dies in goldgelb vor schwarzem Hintergrund, schräg rot in Großbuchstaben dazwischengeschoben: „Bodyscanning", zum Farbenpatriotismus bildet dieser Anglizismus auf jeden Fall einen sehr hübschen Kontrast. Aber auch dieses Angebot muß ich wohl ausschlagen, mein Fahrrad ist nämlich gar nicht von der Stange, es ist eine Mischung aus Sperrmüllabfall und Neuteilen, vor vielen Jahren liebevoll von meinem Freund zu einem Ganzen zusammengefügt.

Beim Weiterblättern entdecke ich jedoch noch zwei Fahrradläden, die mit 5 bzw. 10 Prozent Rabatt werben, auch der Gratiseintritt für die zweite Person beim Thermalbadbesuch ist nicht ganz schlecht. Über das Angebot, bei Kauf eines Wasserbettes noch Bettwäsche im Wert von 150 Euro abzustauben, läßt sich sicher streiten, hingegen sind die 10 Prozent der Opelwerkstatt wirklich nützlich. Ich werde den Coupon meinem Freund schenken, sozusagen als späten Ausgleich fürs Fahrrad, denn sein Corsa hat seit frühester Jugend eine innige Beziehung zu seiner Werkstatt und pflegt diese durch häufige Besuche.

Am besten wäre es natürlich, die einzelnen Rabatte und Preisknüller zu verbinden, um einen einzigen, großen Vorteil zu erreichen. So könnte ich z. B. zuerst meinen reichen, aber knauserigen Stiefopa zu einem Schnuppertauchkurs schleppen, bei dem er wegen seines schwachen Herzens abschmiert (falls es beim ersten Mal nicht klappt: macht nichts, es gibt davon mehrere Coupons). Dann könnte ich mit den Coupons für die günstigen Umzugskartons („buy five get one free" oder auch „nimm 12 zahl 10") die Antiquitäten aus seiner Wohnung in meine schaffen, während ich für den wertlosen Plunder den „Gutschein für kurzfristigen Hausbesuch und Räumung innerhalb von zwei Tagen oder wahlweise 10 Prozent Rabatt" zwecks Wohnungsauflösung verwenden könnte. Um den alten Knacker unter die Erde zu bringen, würde ich das Sonderangebot „Bestattungen schon ab Euro 683,70 zzgl. Friedhofs- und Krematoriumsgebühren" in Anspruch nehmen. Als Alleinerbin würde ich dann die restlichen Gelben Seiten-Coupons der Heilsarmee zukommen lassen. Mein Leben könnte schön sein.

Sollte ich wider Erwarten den ganzen Coup psychisch nicht verkraften und versuchen, mein Elend im Schnaps zu ertränken, gibt's da auch noch einen Coupon, der mich „berechtigt zu einem kostenlosen persönlichen Beratungsgespräch durch einen Facharzt bei Alkoholproblemen und Depressionen in einer staatl. anerk. Privatklinik". Den werde ich also vorsichtshalber lieber behalten, obwohl wer weiß – vielleicht könnten sie grade den bei der Heilsarmee auch ganz gut gebrauchen?

cak

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