Ausgabe 07 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Ruhige Töne

musik für die massen

Die Begriffe lärmige oder ruhige Musik sind zwar etwas ungenau – kann man doch Lärmiges auch leise hören –, aber solch semantischer Schlamperei zum Trotz, weiß man in der Regel, was mit dieser Umschreibung gemeint ist. Hier geht es also um Musik, die streßfrei, melodisch und eben – ruhig daherkommt.

Es ist nichts neues, daß isländische Musiker eine besondere Gabe für warme und doch aufregende Musikentwürfe der elektronischen Art besitzen. Múm heißt das Projekt von vier Isländern, die sowohl in Reykjavik als auch in Berlin zu Hause sind. Vor komplexen, aber immer melodischen Elektronika-Hintergründen schaffen sie mit Cello, Melodika oder Glockenspiel eine hypnotische Grundstimmung. Die Wärme, die Finally We Are No One (FatCat) ausstrahlt, geht zu einem großen Teil auf diese Mischung von analogen und digitalen Instrumenten zurück. Gesteigert wird dieses fast geschlossene Universum der Wunderlichkeiten durch die Stimmen der beiden Zwillingsschwestern Kristín Anna und Gyóa Valtysdóttir. Hier wäre noch Platz für wuchernde Umschreibungen der mystischen Art, wie so oft, wenn es um isländische Bands geht – doch für solche Plattitüden ist die Platte viel zu orginell und feingliedrig.

Schaut man sich das Cover von Nitrada an, so ist man hin und her gerissen. Auf einer diesigen Bergkuppe verliert sich ein Wanderer mit rotem Cape, umgeben von grauem Geröll und ein wenig bemoostem Grün. Sehnsucht, Einsamkeit, Landschaft, geschichtetes Gestein. Der Sound von Christophe Stoll bedient all diese Begrifflichkeiten. Dabei ist 0+ (2.nd Rec) weder melancholisch noch emotional überfrachtet. Trotz gelooptem Piano und Streichern bleibt alles unprätentiös – wohl auch, weil das elektronische Knistern und eine dezente Drumorientierung für einen unterkühlten Gegenwind sorgen. So staunt man auch noch beim fünften Durchhören über die Feinheit und Komplexität der acht, leider viel zu kurzen Tracks. Dafür wird auf der Website (www.nitrada.com) noch mal ordentlich nachgelegt: Visuals, zusätzliche Sounds und Filme, die von Künstlern zu jedem einzelnen Track kreiert wurden, spielen mit der Dichte der Kompositionen. Die 25 Minuten wirken wie ein Extrakt, das online, ohne an Intensität zu verlieren, zur großflächigen Entfaltung kommt.

Von Anfang an auf Cinemascope-Format bläst Frankman seine Soundflächen auf. Eigentlich ist Frankman Houseproduzent und DJ. Und tatsächlich beginnt Different Divides (Draft) mit straightem Deep House und entsprechend klaren Baßlinien. Doch immer deutlicher überschreiten die Tracks dann die Grenzen und bewegen sich in Richtung Dub, schwenken dann ein weiteres Mal, um sich mit Trance-Elementen aufzuladen um schließlich in soliden Vocal-House überzugehen. Wie mit einem 360-Grad-Kameraschwenk zeigt Frankman eine Landschaft, die sich zu jedem Zeitpunkt über den Horizont hinauszudehnen scheint. Und das passiert ohne hektische Bewegungen – in aller Ruhe eben.

Marcus Peter

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  Ausgabe 07 - 2002