Ausgabe 07 - 2002 berliner stadtzeitung
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Keine Bewegung oder du wirst weggepustet

Kunst&Politik (VII): Eine Auseinandersetzung mit einer Kasseler Aktivistin, die anonym bleiben will, per Elektropost

Die documenta gibt sich diesmal politisch. Es gibt viel Geld und Raum für politische Themen, von denen ich allerdings den Eindruck habe, daß sie weit weg sein müssen, damit sie hochkulturkompatibel sind und niemanden weh tun. Man kann sich in den heiligen Hallen der Kunst über den Nahost-Konflikt informieren und über die Ausbeutung des sogenannten „maritimen Proletariats" in aller Welt. Hast du den Eindruck, daß hier Räume für politische Anliegen klug genutzt werden oder eher, daß hier Themen entsorgt werden?

Keine Ahnung, ich war bis jetzt nur für zwei Stunden dort. Allerdings gefällt mir die Metapher, die Ausstellungräume mit großen, gelben Müllsäcken zum Recycling von Abfall zu vergleichen, weniger um den ausstellenden KünstlerInnen Respektlosigkeit entgegenzubringen, sondern um die als die „richtig" proklamierte Qualität, die immer zentral-elitär ausgesucht wird, zu kontrastieren.

Die documenta GmbH hat ihr Label, was sie sich teuer bezahlen läßt und an dem nur wenige partizipieren dürfen. Wenn auf dem Ortseingangsschild von Kassel „documenta-Stadt" steht, dann ist das die Verquickung von staatlicher Politik mit Kultur, indem diese ideologisch instrumentalisiert wird.

„Kassel" braucht die documenta, jetzt erst recht, wo sie doch 2010 Kulturhauptstadt werden möchte. Daß es keine freien Galerien gibt, der Drogenproblematik trotz aller repressiven Präventionsmaßnahmen nicht entgegengewirkt werden kann, daß ein Fünftel der Kasseler Häuser leersteht, scheint nicht zu genügen, um diese Fakten als kulturelle und systemkritische Fragestellung zu behandeln. Von diesem Standpunkt aus läßt sich der Blick nur allzuleicht in die Ferne richten, wo „alles ja noch viel schlimmer ist".

Außerdem werden solche Ausstellungen nach öffentlichkeitswirksamen Kriterien konzipiert bzw. erlaubt. Und gerade für westliche Erlebnisgesellschaften kann es kaum etwas besseres für die Erhaltung des Staates geben als ein Gewissen anregendes und angeekeltes Nach-„draußen"-Zeigen, das gleichzeitig als Rechtfertigung für die eigene Identität gilt und sie auch mitkonstruiert.

Gleichzeitig gibt es ­ übrigens bereits seit zehn Jahren ­ einen Paradigmenwechsel. „Die" Kunst zieht schon seit langem ihren Reiz aus dem Ungeklärten und Marginalisierten. Der reine Kunstkontext wurde bei so manchem als eine Sackgasse erkannt, was aber nicht dazu führte, aus dem ewigen Involviertsein in den Kunstkontext auszubrechen. Heute wird Kreativität aus den „Rand"erscheinungen des Kapitalismus geschöpft. Die „KünstlerInnen" der westlichen „Zivilisationen" beschäftigen sich neuerdings mit den Phänomenen von sozialen Peripherien der Gesellschaft. Ich nenne das den „adventure-playground für KünstlerInnen".

Viele von ihnen gehen als KunstvermittlerInnen wie PredigerInnen in solche „Randgebiete", verkünden das große Wort der Kunst, lachen insgeheim über die anwesenden Personen und arbeiten mit deren Unwissenheit.

Was den Begriff der Hochkultur angeht: Sicherlich, es handelt sich hier nicht um Populärkultur. Das merkt man schon am durchschnittlichen Status der BesucherInnen: fast alles im Kunstbereich Tätige.

Ja, „Themen entsorgt", ist schon der richtige Ausdruck: Jede/r kann sich beruhigt zurücklehnen, sobald das Müllauto „d11" da war: der Staat, weil er eine solche Ausstellung zuläßt und sie damit als Bestätigung für seine demokratische Haltung mißbraucht; die KünstlerInnen und KuratorInnen etc., die ja alles in ihrer ästhetischen Macht tun für „die anderen" ­ alles schön eingetütet in gelbe Säcke. Dabei handelt es sich beständig um die eigene teils elitäre, teils banale Selbstbestätigung.

Sind „die Kunst" und die damit verbundenen Diskurse das letzte Reservat, in dem noch ernsthaft über Politik gehandelt werden kann? Was bedeutet das?

Im zweiten Jahr meines Kunststudiums mußte ich feststellen, daß der Begriff der Freiheit hier allein in der traditionellen Linie einer Kunst – von der nur einige wenige wissen, was sie ist – definiert und beständig durchdekliniert wurde: Im Atelier herrschte eine bedrückende Atmosphäre, die sich festmachte an Konkurrenzkämpfen, chauvinistischen Sprüchen hinterm Rücken der Kunststudentinnen, unterschwelliger Angst, stillschweigender Hinnahme willkürlich gesetzten Entscheidungen von Seiten der ProfessorInnenschaft (die bis zu Sprechverboten reichten), den ausschließlich von Form- und Präsentationsfragen handelnden, einseitigen Klassenkorrekturen und den rigorosen Versuchen, alle auftauchenden Widersprüchlichkeiten des Studiums zu unterdrücken oder repressiv zu kanalisieren.

Das Ganze gipfelte bei einer studentischen Ausstellung der Kassler Kunsthochschule vor zwei Jahren in einer Aktion der damals neuen und gerade betrunkenen Rektorin und des damaligen Filmprofessors, bei der diese Personen die fotograÞsch-illustrativen Arbeiten eines Studenten ohne den Versuch eines Gespräches mit weißer Wandfarbe übermalten. Auf Fragen bezüglich der vorhandenen Ideologie kamen nur abwehrende Ausreden. Alles in allem eine erstaunliche Blindheit für so viel Anspruch auf „freie" Wahrnehmung.

Dieses Phänomen läßt sich bei sämtlichen Bildungsinstitutionen beobachten und ist nicht allein für den Kunstkontext typisch: Die Unfähigkeit, den eigenen Status zu dekonstruieren, resultiert aus dem subjektivierten Verlorensein und der Angst vor der Verwertungsmaschinerie des (Kunst)Marktes. „Keine falsche Bewegung oder du wirst weggepustet."

„Die" Kunst, von der du den bestimmten Artikel zu recht in Anführungsstriche setzt, ist sicherlich nicht das hoffnungsbesetzte Reservat, weil über genau diesen bestimmten Begriff eine corporate identity vorgetäuscht und inszeniert wird, die es selbst im bestehenden System nicht gibt. Aber ich glaube an viele, viele Avantgarden, die sich politisch positionieren ­ und das ist nicht nur im positiven Sinne gemeint. Aber lieber als die KünstlerInnenströmungen, die in ihren individualisierten Visualisierungs-Flashs gefangen sind, so daß sie die Absicht darüber hinaus verloren haben, ist mir das allemal; wobei ich dann auch nur die Leute in ihrer angeblich politischen Absicht ernst nehmen kann, die vor der Staatsgewalt ihren Mund aufmachen.

Nein, nicht „die Kunst" ist das letzte Reservat; du kannst als KünstlerIn genauso dumm bleiben, wie überall sonst. Das kritische Denken hängt von den Individuen ab und das wird nur sehr beschränkt in den Bildungsstätten der Kunst zugelassen, geschweige denn gelehrt.

Wie positionierst du dich selbst innerhalb des Kunstfeldes? Machst du künstlerische Arbeit? Warum?

Kunst muß doch heute vor allem Kunst sein, um verwertet werden zu können. Der Kunstbegriff war immer ideologisch oder mythisch aufgeladen; und heute wird er eben vor allem mit dem Markt verbunden. Ich bin deshalb vom Ziel, materiell zu produzieren, weggekommen, weil ich alltäglich sehe, was ich sowieso produzieren würde: staatsinkompatible Fakten. Wenn ich auf der Straße vor meiner Tür Bierflaschen, Zigarettenkippen und ein altes, verrostetes Motorrad, an dem ein Verweisungsschild der Stadtwerke angeklebt ist, erblicke, so ist das eine bessere Installation, als ich in irgendeinem Museum sehen kann.

Der Blick in eben diesen Kunsträumlichkeiten ist nämlich genauso mit Blindheit beschlagen, wie der der sogenannten „Masse" im alltäglichen Leben. Fragen von Ausstellungsbesuchern vor Feuerlöschern wie: „Ist das Kunst?" bedeuten das Abstellgleis, auf das jedes außergewöhnliche Phänomen beschränkt wird. Zu viel „Kunst" schimmelt in Museen und Galerien und deren Kellern.

Außerdem lassen sich Virtualität oder Immaterialität in gewissen Bezügen schlechter vermarkten. Ich möchte damit der Verwertungsmaschinerie entkommen, was natürlich ein ganz sinnloses Unterfangen ist, weil auch mir in diesem System wahrscheinlich nichts anderes übrigbleibt, als mich da hineinzubegeben, ob freiwillig oder nicht.

Warum wohl haben so viele Avantgarden (seit den Anfängen der Proklamierung des Endes der Kunst) an Aufhebung und Dekonstruktion ihres eigenen Status' versucht zu arbeiten? Und warum sind alle so kläglich gescheitert? Das ist nicht nur eine Frage nach der Ideologie, sondern auch eine der ökonomischen Zwangsabhängigkeit vom kapitalistischen System.

Wenn du mich also bittest, mich zu positionieren, dann beinhaltet das unterschiedliche Ansprüche an mich: Erstens soll ich mich (re)präsentieren durch die „eine" Meinung; das läßt mich als Person klarer erscheinen, obwohl das im Alltäglichen ja gar nicht so auftauchen kann. Dann geht es zweitens darum, etwas „eigenes" darzustellen, was mich als individuelles Subjekt sichtbar, erkennbar macht, was notwendig ist, um einen Zeitungsartikel daraus zu machen. Und drittens ist ein weiterer Anspruch, nicht willkürlich zu erscheinen, sicherlich gerechtfertigt, was sich aber durch die Kürze des Textes sowieso nicht verhindern läßt und damit auch eine Willkürlichkeit in meinen Antworten nach sich zieht.

Das sind die Zusammenhänge, in denen ich mich positioniere.

Interview: Florian Neuner

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