Ausgabe 07 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis

Impressum


Zur Homepage

The Capital´s Future?

Leben am Potsdamer Platz

„Sophisticated Living in the new, pulsating heart of the metropolis – where the capital´s future has already begun." Mit diesem Aufmacher beginnt die Informationsbroschüre der ARWOBAU, der Debis-Vermieterin am Potsdamer Platz. Gesucht wird eine Art New Yorker Urbanität, aber auch die Berliner Kiezgemütlichkeit. Aber auf diesen Plätzen wird es nie eine heterogene Öffentlichkeit geben. Seit 1991 ist der Boden um den Potsdamer Platz privat. Damals verkaufte der Senat das Areal an Investoren. Aber es ging nicht so ganz mit rechten Dingen zu – das Land Berlin verkaufte die Grundstücke so billig, daß schließlich eine EU-Kommission wegen verdeckter Subventionen ermittelte. So wurde Daimler-Benz im Sommer 1990 mit einem Quadratmeterpreis von 1505 Mark an den Potsdamer Platz gelockt, nachdem das Unternehmen kurz vorher für das sogenannte Bellevue-Grundstück schlappe 13600 Mark pro m2 gezahlt hatte – an einen privaten Verkäufer. Im nachhinein ermittelte der Gutachterausschuß der EU, daß allein das Daimler-Benz-Grundstück zum Zeitpunkt des Verkaufs 179,7 Millionen Mark wert war – also 86,8 Millionen mehr, als im Kaufvertrag stand. Beim Sony-Areal verzichtete der Senat dem Gutachten zufolge sogar auf Mehreinnahmen von 160 Millionen. Die Nachzahlungen, die von der Kommission durchgesetzt wurden, glichen diese Verluste nicht einmal zur Hälfte aus. Es ist ein privilegierter Stadtteil entstanden, mit Mietpreisen, die eine wohlhabende Mieterschaft garantieren, und Dienstleistern, die für eine einzigartige Sauberkeit und Sicherheit sorgen.

Was wohnen hier für Menschen? Zunächst einmal fällt der hohe Ausländeranteil auf: Die Namen an den Klingelschildern verraten eine breitgefächerte internationale Präsenz am Potsdamer Platz. Kinder sind keine zu sehen; die Sandkiste im Innenhof des Hauses Marlene-Dietrich-Platz 3 bleibt immer leer. Ein weiteres Merkmal ist die hohe Fluktuation ­ vor allem auf Grund der Lebensplanung und beruflichen Situation der BewohnerInnen, aber auch wegen der touristischen Nutzung des Gebietes und der unbefriedigenden Hausverwaltung, dem Debis-Gebäudemanagement: Viele Beschwerden wegen der schlechten Bauausführung werden zu spät oder unbefriedigend bearbeitet. So gab es wiederholt Wasserschäden in den Kellerräumen, die Jalousien waren defekt, der Fahrstuhl setzte mehr als einmal im Monat aus.

Die meisten der Bewohner kommen von weit her und bleiben nur kurz – aber das ist am Potsdamer Platz kein Problem. Daß ethnische Konflikte nicht eine Frage des hohen Ausländeranteils, sondern der finanziellen Ressourcen sind, zeigt ein Kommentar einer Befragten aus Borneo: „Potsdamer Platz is clean, pleasant and secure to live in. Most people greet you rather than look down upon foreigners." Der hohe Ausländeranteil und die hohe Fluktuation geben am Potsdamer Platz – im Gegensatz zu Bezirken wie Kreuzberg oder Neukölln – keinen Anlaß zur Besorgnis, sondern dienen als Beweis für Weltoffenheit und Mobilität. Offenbar walten hier besondere Gesetze. Dieser Stadtteil gilt nicht als gut, weil die EinwohnerInnen zufrieden sind, sondern weil vermeintlich vorbildliche soziale Gruppen die Mehrheit stellen – vorbildlich deshalb, weil sie sich mühelos in das Weichbild des Masterplans eingepaßt haben.

Herr S.

Nicht ganz so mühelos war es für Herrn S., einem leitenden Angestellten bei Sony. Geboren in Hamburg und in Frankfurt lebend, kommt er aus betrieblichen Gründen im Sommer 2000 aus Frankfurt/Main nach Berlin. Sein Anspruch an seinen Kiez ist widersprüchlich: Herr S. wünscht sich mehr „Authentizität", mehr gewachsenes Leben in seinem Umfeld, obwohl er wegen seines langen Arbeitstages gar nicht daran teilnehmen könnte. „Ich würde hier definitiv nicht wohnen, wenn ich hier nicht meine Arbeit hätte. Das ist keine Dauerlösung. Für die Touristen ist das ein geiler Spielplatz vielleicht, aber für Leute, die hier wohnen ... Vielleicht kapiert das ja einer von denen da oben, von den Stadtplanern."

Frau P.

Frau P. dagegen ist hellauf begeistert. Sie steht noch am Anfang ihrer Karriere und ist eher an Berlin als an der Arbeit interessiert. Die 20jährige hat im Sommer ihre Ausbildung zur Bankkauffrau beendet. In Folge des Regierungsumzugs wurde ihre Mutter aus Bonn nach Berlin versetzt und Frau P. entschloß sich, mitzuziehen. Der Vater ist in Bonn geblieben, aber bald wird er mit seiner Frau nach Lichtenrade ziehen. Die Tochter will nach Kreuzberg. Am Potsdamer Platz schätzt sie die kurzen Wege: Nachtleben, Gesundheitsversorgung und Shoppen gleich um die Ecke ­ „eigentlich wirklich alles, was man braucht."

Herr M.

Gleich neben Frau P. wohnt Herr M., seit Januar 2001, in einer Ein-Zimmer-Wohnung mit Blick auf die Spielbank und das Musicaltheater. Der studierte Informatiker aus Großbritannien arbeitet seit August 2000 bei einer Berliner Start-Up-Firma, die im Bereich Spracherkennung Programme entwickelt. Der Potsdamer Platz ist für ihn vor allem wegen seiner guten Anbindung zur Arbeit vorteilhaft ­ Herr M. fährt meistens mit dem Fahrrad durch den Tiergarten nach Moabit. Außerdem schätzt er die zentrale Lage innerhalb Berlins. Die Kultureinrichtungen vor Ort nutzt er allerdings kaum, mit Ausnahme des Cinemaxx. Zu mehr fehlt die Zeit: „Die Woche arbeite ich ungefähr 13 Stunden pro Tag und nochmal zehn Stunden am Wochenende." Der Trubel der Touristenströme und Straßenfeste stört ihn nicht, lediglich in den Arkaden nerven ihn die Massen, wenn er seinen samstäglichen Einkauf erledigt. Auch sonst ist er lärmunempfindlich, jedoch mit Ausnahmen: „Zwei Sachen: Es gibt ab und zu einen Betrunkenen, der vorbeikommt, so um vier Uhr morgens fängt er an zu singen, sehr sehr laut. Das ist oft passiert. Das überrascht mich, daß keiner was sagt, vor allem beim Hyatt Hotel. Das zweite Problem haben wir mit Vögeln hier. In diese Bäume kommen sie am Abend, diese Vögel, und sie machen Riesenkrach, um fünf oder sechs Uhr abends. Ich finde die Vögel ganz gut, sie fliegen am Abend hier rum, es ist ganz spektakulär, aber es kann manchmal etwas nervig sein."

Herr C.

Solche Probleme hat Herr C. nicht, seine Wohnung geht zum Innenhof raus. Im Juli 1975 in Charlottenburg geboren, zieht er in früher Kindheit mit Vater und Schwester nach Westdeutschland. Nach mehreren Wohnortwechseln landet er schließlich wieder in Charlottenburg. Im Oktober 1998 ist Herr C. bei der Eröffnungsfeier des Debis-Areals dabei und erkundigt sich am Infostand der ARWOBAU nach den Mietpreisen, die ihm relativ gering erscheinen – 18 Mark pro m2 plus Nebenkosten zwischen 6,31 bis 6,88 Mark pro m2. Da nur Staffelmietverträge mit jährlichen Mietsteigerungen von 10 Prozent vergeben werden, ist die Kaltmiete inzwischen bei 22 Mark angekommen. Herr C. bewohnt eine der kleinsten Wohneinheiten des Hauses: Nur 39 m2, aber dafür mit Parkett, Einbauküche, Mikrowelle, Spülmaschine. Aber es ging ihm nicht nur um die luxuriöse Wohnungsausstattung: „Wenn man sich überlegt, Marlene-Dietrich-Platz: Das ist eine geile Adresse, gegenüber vom Hyatt und Spielbank und Musicaltheater, mitten in der Stadt, von der Lage her optimal. Das ist, als ob ich in den Hackeschen Höfen wohne." So ganz zufrieden ist er aber nicht. Am meisten stört ihn, daß die Wohnung zu klein und für die gleiche Miete woanders ein Altbau zu haben ist, „mit hoher Decke", wie er präzisiert.

Anfangs wohnte Herr C. auf einer Baustelle, aber das brachte auch Vorteile mit sich. So wurde ihm die Post persönlich überbracht, die Handwerker grüßten freundlich. Er kannte auch die anderen ersten Mieter und die Barangestellten, die alle das Gefühl verband: „Wir sind die Pioniere." In vielen Lokalen erhielt er Freundschaftspreise. Nach eigenem Bekunden ist er der erste private Mieter am Potsdamer Platz: „Vor zwei Jahren sah ich eine Dokumentation, wo sich eine Frau als die erste Mieterin vorgestellt hat. Und sie ist definitiv nach mir eingezogen, ich kenne sie." Augenzwinkernd fügt er hinzu: „Ich erwarte, daß ich interviewt werde, als der erste ... Aber das haben sie nie gemacht."

Herr E.

1999 wurde Herr C. auf eine Einweihungsparty eingeladen: Herr E. war gerade eingezogen. Der 64jährige Rentner stammt aus Kolumbien und kam 1971 über New York und Frankfurt/Main nach Berlin. Über Kreuzberg 36 und Mariendorf findet Herr E. schließlich seinen Weg an den Potsdamer Platz. Kurzentschlossen zieht er im Februar 1999 in einen Neubau am Marlene-Dietrich-Platz ein: „Ich habe die Wohnung nicht gesehen, ich wollte grad nach Südamerika. Nach der Reise kam ich hierher, und sie war fertig. Und es hat mir gut gefallen, denn es ist mitten im Leben. Ich bin pensioniert, ich möchte nicht alleine in einer verlorenen Wohnung sterben." Herr C. lacht. „Ich habe hier alles, was ich brauche: eine Bibliothek in spanischer Sprache, die Iberoamerikanistik, ich gehe jeden Tag dorthin, um meine Zeitung zu lesen. Mein Hobby ist Musik, ich habe den Konzertsaal hier und die Philharmonie. Dann der ganze historische Teil in der Umgebung ... Und im Frühling und Sommer gehe ich in den Tiergarten." Auch die Arkaden mit ihren unterirdischen Zugängen zum Wohnhaus haben es ihm angetan: „Das ist eine wunderbare Sache. Ich kann den Einkaufswagen vollmachen, brauche nichts zu tragen, sondern rolle von dort bis in die Küche rein." Danach wird der Wagen zu einem Abstellplatz in die Tiefgarage gebracht.

Auf die Frage, ob es Nachbarschaftstreffen gebe, etwa, wenn der Vermieter Probleme macht, antwortet Herr E.: „Nein, das ist nicht notwendig hier. Die haben ein System, mit uns direkt Kontakt zu haben. Denn jeder hat seine Besonderheiten." Veranstaltungen ­ zu deren Duldung die Mieter vertraglich verpflichtet sind ­ werden brieflich angekündigt. Außerdem bekommt jeder Mieter eine Übersicht der Stellen, bei denen er sich bei Lärmbelästigung beschweren kann: Je nach Art der Belästigung muß der Mieter sich an das Bezirksamt Mitte wenden, an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bzw. für Bauentwicklung, an das ECE Projektmanagement der Arkaden, oder ­ bei Lärmbelästigung durch Straßenkünstler ­ an die Arealstreife. Der Potsdamer Platz ist gut organisiert.

Alexandra von Barsewisch / Blanka Koffer

© scheinschlag 2002
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 07 - 2002