Ausgabe 07 - 2002 berliner stadtzeitung
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Die neue Mitte liegt links oben (VII)

Gegen Pfaffen und das Kapital

Wenn es darum geht, den niederen Klassen ihre vorgebliche oder tatsächliche Verschwendungssucht auszutreiben, greift die Herrschaft stets auf die bewährte Waffe der Moral zurück. Im Jahre 1869 meinte die katholische Kirche in Moabit, „das geradezu symbolisch geworden sei für Genußsucht, Haschen nach materiellem Erfolge, moderne, mit Dampfkraft arbeitende Industrie, die nur irdische Zwecke kenne und verfolge", ein Kloster gründen zu müssen. Damals war der Kleine Tiergarten die Gegend, wo sich das gemeine Volk vergnügte. Die Gründung des ersten Klosters im protestantischen Berlin seit dem 16. Jahrhundert machte Moabit um eine Attraktion reicher. Der vergnügungssüchtige Pöbel pilgerte alsbald dorthin, um es von außen in Augenschein zu nehmen – und stümte bereits am zweiten Wochenende nach der Eröffnung die neue moralische Instanz. Es folgte eine stundenlange Schlacht mit der Polizei, in deren Verlauf zwei Menschen starben. Der „Moabiter Klostersturm" trieb die frommen Brüder bald wieder in die Flucht: 1875 schloß man das Kloster wieder.

Das heute in der Oldenburger Straße stehende Kloster wurde erst nach Beendigung des Kulturkampfes errichtet und 1893 eröffnet ­ nachdem zuvor jemand die Glocken geklaut hatte. Richtig glücklich mit ihren Schäfchen mochten die Mönche denn auch in der Folgezeit nicht sein: „Zahlreiche Kinder sterben ohne die heilige Taufe dahin oder wachsen als Heiden auf, um die endlose Schar der Sozialdemokraten und Gottesleugner zu vermehren." Sozialdemokraten gab es hier einst tatsächlich richtig viele und wenn man der Internetseite der SPD-Sektion Moabit Nord glauben schenken kann, gibt es noch heute ein paar Restexemplare. Diese kann man sich auch anschauen, denn sie treffen sich, „wie es sich für gute Sozialdemokraten gehört, zum Bier am Stammtisch" und zwar in einer ganz passablen Pinte namens „Zum Stammtisch" in der Wiclef-, Ecke Bredowstraße.

Wenn man von dort die Wiclefstraße in Richtung Westen geht, spürt man schnell, daß hier inzwischen eher eine Hochburg der Grünen ist. Die Straßen sind verkehrsberuhigt, es gibt Kinderläden und alternative Cafés ­ alles sehr beschaulich. Mitte der neunziger Jahre war die SPD in Moabit, wo sie bereits seit dem Kaiserreich unter Wilhelm Liebknecht stets satte Zwei-Drittel-Mehrheiten eingefahren hatte, zur drittstärksten politischen Kraft hinabgesunken. Wenn man am Ende der Wiclefstraße die Beusselstraße überquert, bekommt man noch am ehesten eine Ahnung davon, warum hier eine der Hochburgen der Arbeiterbewegung war. Der Beusselkiez ist alles andere als beschaulich. Er war und ist eines der am dichtesten besiedelten Wohngebiete Berlins. Heute noch (oder wieder) sind 25 Prozent der Wohnungen überbelegt. Dadurch, daß auch in den Vorderhäusern die Buden eher klein sind, war er immer eines der homogensten Arbeiterviertel der Stadt, in direkter Nachbarschaft zum heute größten innerstädtischen Gewerbegebiet.

Deshalb und aufgrund der Nachbarschaft zu gewerkschaftlich besonders gut organisierten Großbetrieben war die Gegend vor allem eine Hochburg des militanten Flügels der Arbeiterbewegung. Im September 1910 bestreikten Kohlearbeiter die Firma Kupfer & Co. Gegenüber befand sich damals die Maschinenbau-Fabrik der Firma Löwe & Co., die als erste in Deutschland die Fließband-Produktion einführte. Am 26. September während der Mittagspause hielten die Löwe-Arbeiter einen Kohlenkutscher handgreiflich vom Streikbruch ab, woraufhin die Polizei den Fabrikhof stürmte und die „Moabiter Unruhen", die heftigsten Tumulte in der spätwilhelminischen Zeit, ihren Anfang nahmen. In den Abendstunden war der ganze Kiez auf den Beinen und verhöhnte die Polizei. Diese räumte die Kreuzungen mit blankem Säbel, wobei ein Mensch starb. Es folgten Hetzjagden auf einzelne Polizisten, in deren Verlauf man zwei Kneipen, in denen Flüchtige vermutet wurden, stürmte und plünderte, was die Bewohner der umliegenden Vorderhäuser mit Wurfgeschossen unterstützten. Nach ein paar Tagen hatte der Spuk dann wieder ein Ende.

Der Arbeitskampf ging verloren. Trotzdem wurde Moabit in der Folgezeit zum Inbegriff der revolutionären Gefahr, die von der Sozialdemokratie ausginge. Die SPD allerdings distanzierte sich von derartigem Pöbel, dem sogenannten „Janhagel", von dem der berüchtigte Berliner Volksmund sagte, „er hat Arbeet, er muß die Schwäne uff'n Kopp spucken", und biederte sich bereits damals als alternative Ordnungsmacht an: Nur sie könne in Zusammenarbeit mit der Polizei derartige Aufstände auf friedliche Art und Weise beenden. Die Sozialdemokratie hat die Rechnung bekommen und ist mindestens als Kultur vom Aussterben bedroht, der damalige Polizeipräsident Traugott von Jagow scheint dagegen unsterblich: Widerwärtigerweise ist ganz in der Nähe eine Straße nach ihm benannt.

Dirk Rudolph

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