Ausgabe 07 - 2002 berliner stadtzeitung
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Das Schloß kommt

­ aber vorher kommt noch was

In Berlins Mitte wird ein Schloß gebaut. So hat es am 4. Juli der Bundestag beschlossen. Eine ausführliche Debatte war der Entscheidung vorausgegangen, in der mit großen Worten und kleinen Argumenten nicht gespart wurde. Am Ende entschieden die Abgeordneten aus dem Bauch: Sie sehnen sich nach der der guten alten Zeit, als Repräsentationsarchitektur noch etwas hübsches war. Und sie sind müde von der langen Diskussion um Symbole und Moderne, die ihnen am Ende einfach zu hoch wurde. So liefen sie in Scharen zu den Residenzstadt-Nostalgikern über und wollten schließlich nur noch eins: endlich fertig werden! Der Berliner Stadtentwicklungssenator Strieder brachte es nach der Debatte in verblüffender Offenherzigkeit auf den Punkt: „Die Frage, ob es schnell geht, ist sehr viel wichtiger als die, wie es aussieht."

Die Asbestsanierung des Palastes der Republik wird Ende des Jahres abgeschlossen sein; der Baubeginn für das Schloß könnte aber noch zwei bis vier Jahre auf sich warten lassen. Was in der Zwischenzeit geschieht, ist weder Strieder noch den Abgeordneten einen Gedanken wert. Sie wenden sich anderen Themen zu; der Schloßplatz hat eine Atempause ­ und mit ihm die Ruine des Palastes. In dieser vergleichsweise stabilen Situation könnte die Idee einer kulturellen Zwischennutzung wieder Auftrieb erhalten. Viele Politiker sind dafür, die Stadträtin von Mitte, Dorothee Dubrau, ebenso wie die ehemalige Kultursenatorin Adrienne Goehler und ihr Nachfolger Thomas Flierl, um nur einige zu nennen. Aber auch Bundesbauminister Bodewig hat seine Zustimmung signalisiert, wenn es denn nur kein Geld kostet. Strieder, der sich vor einer Zwischennutzung fürchtet ­ er weiß, wie zählebig Berliner Provisorien sind ­, schlug sofort in die Kerbe: 15 Millionen Euro würde es kosten, die Palastruine für eine Zwischennutzung herzurichten.

Eine Fantasiezahl, meint Prof. Philipp Oswalt, Projektleiter eines EU-finanzierten Forschungsprojekts, die sich unter dem Namen „Urban Catalyst" oder „Studio UC" interdisziplinär und international mit den Potentialen städtischer Brachen beschäftigt. Bisher wurden vor allem städtebauliche Analysen fabriziert, aber es geht auch um konkrete Projekte: Der behutsame städtebauliche Entwurf zur Entwicklung des RAW-Geländes etwa stammt vom Projektdirektor von Studio UC, dem TU-Professor Kees Christiaanse. Zur Zeit bemüht man sich um das halbverfallene Gleisfeld hinter dem Ostbahnhof. Dort verhandelt Studio UC mit der Bahn über die Nutzung alter Waggons und mit der BEWAG um die Öffnung des verlassenen Heizkraftwerks. Vorbild ist Amsterdam, wo die Stadtregierung ein verfallenes Hafengelände in ein Kultviertel verwandeln will, indem sie gezielt die kreative Off-Kultur-Szene ansiedelt. Für die Herrichtung einer alten Werfthalle werden den Künstlern sogar sieben Millionen Euro zur Verfügung gestellt; danach erhalten sie einen zehnjährigen Pachtvertrag.

Für den Palast der Republik hat Studio UC ein erheblich bescheideneres Konzept: Nur der Volkskammersaal, der prominenteste Teil des Palastes, soll geöffnet werden. 800 Menschen fänden hier Platz. Im Gegensatz zu Adrienne Goehlers Nutzungskonzept, das neben Ausstellungen nur Veranstaltungen der Deutschen Oper und der Sophiensäle vorsah, möchte Studio UC ein breiteres kulturelles Spektrum vertreten sehen. Zur Zeit würden Gespräche mit dem WMF und der Arena geführt, aber auch Aktivitäten des Jugendsports seien denkbar, eine Kooperation mit dem Standesamt sowie – natürlich – regelmäßige Gebäudeführungen. Woher das Geld für die bauliche Herrichtung kommen soll, ist allerdings noch unklar. Oswalt schätzt, daß der Brandschutz, eine rudimentäre Gebäudetechnik und die Erschließung rund ein halbe Million Euro kosten würde. Eine staatliche Beteiligung ist so gut wie ausgeschlossen. Also erwägt Studio UC, eine Idee von Adrienne Goehler aufzugreifen und in sorgfältiger Abstimmung mit den genehmigenden Behörden und dem Kultursenat das Gebäude über einige Tage für eine kommerzielle PR-Aktion herzugeben. Für die Werbeetats der Großkonzerne ist eine halbe Million Instandsetzungskosten nicht viel, und die Aufmerksamkeit, die an dieser Stelle zu erwarten ist, wäre enorm. Ein Coca-Cola-Emblem an der Hauptfassade möchte Oswalt allerdings ausschließen: Zwar ist er weit davon entfernt, die Ostalgiker zu verstehen. Aber verhöhnen möchte er sie auch nicht.

Wie er sich überhaupt mit niemanden anlegen möchte: Studio UC ist der zur Zeit wohl wichtigste Akteur im Ringen um den Palast der Republik, aber zugleich auch der unauffälligste. Oswalt gibt sich betont pragmatisch. Er versteht Studio UC als „Ermöglicher", der innerhalb der etablierten politischen Mechanismen unkonventionelle, aber realistische Ideen verfolgt. Statt die öffentliche Diskussion neu aufzurollen, soll den mißtrauischen Politikern und ihrem müden Publikum ein fertiges Paket präsentiert werden, das nur noch abgenickt werden muß – ohne nennenswerte Kosten und vor allem ohne das Risiko, die Debatte über die fernere Zukunft des Palastes neu aufflammen zu lassen. Auch Oswalt ist kein Befürworter der Schloßkopie. Aber er legt Wert auf sein unsentimentales Verhältnis zum Palast der Republik, den er angesichts seines ruinösen Zustands als bloße „Erinnerung" bezeichnet. Nach seiner Meinung hat der Palast keine Zukunft, seine Zwischennutzung ist nur Mittel zum Zweck: Es geht um den demonstrativen Nachweis, daß Ruinen, Brachen und Provisorien einen Teil der Stadt ausmachen und sie bereichern können, wenn man es nur will.

Angesichts des städtebaulichen Putzwahns, von dem die Hauptstadtplaner besessen sind, muß man eine solche Haltung begrüßen. Schade nur, daß sie so zurückhaltend vertreten wird. Den Palast der Republik durch die Kopie eines Hohenzollernschlosses zu ersetzen, ist ja kein Versehen. Es ist ein gezielter kulturpolitischer Akt. Eine Zwischennutzung, die nach ein paar Jahren kommerzieller Subkultur-Folklore so lautlos ausläuft, wie sie eingefädelt wurde, wäre kaum mehr als ein Feigenblatt. Aber darüber sollte man nicht zu laut sprechen – eine politische Diskussion könnte unsere Abgeordneten überfordern. Und wie man am 4. Juli beobachten konnte, kommt dabei nichts gutes heraus.

Johannes Touché

Ende Oktober plant „Studio UC", mit einer Ausstellung im Staatsratsgebäude an die Öffentlichkeit zu gehen. scheinschlag berichtet.

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