Ausgabe 06 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Über die Notwendigkeit einer antipolitischen Kunst

Kunst & Politik (VI): Überlegungen von Clemens Nachtmann

Selbst an radikaler Kunst ist soviel Lüge, wie sie das Mögliche, das sie als Schein herstellt, dadurch herzustellen versäumt. Kunstwerke ziehen Kredit auf eine Praxis, die noch nicht begonnen hat und von der keiner zu sagen wüßte, ob sie ihren Wechsel honoriert.

Theodor W. Adorno

Die Emphase, die die Linke seit jeher auf „Politik", „Politisierung" und „politisches Bewußtsein" legt, ist ganz und gar unbegründet. Sie ist ein getreues Indiz für das affirmative Verhältnis der Linken zum Staat sowie ihre Unfähigkeit zur materialistischen Kritik. Sie verdankt sich der illusionären Vorstellung, Kommunismus sei gleichbedeutend mit politischer Regulierung der Ökonomie, „Politik" mithin der Hebel von Befreiung und „Politisierung" des Bewußtseins deren unerläßliche Bedingung. „Politik" aber ist nichts anderes als Gegenstand und Medium des staatlichen Souveräns ­ dieser aber ist nicht für emanzipatorische Zwecke funktionalisierbar, sondern im Sinne von Marxens Kritik der politischen Ökonomie das politische Verhältnis des Kapitals und mit diesem abzuschaffen. „Emanzipatorische Politik" ist ein Unding, der Widerruf von Emanzipation, noch ehe diese begonnen hat. Kommunismus dagegen wäre das Ende der Politik, und die Praxis, die ihn herbeiführt, wäre revolutionäre Antipolitik. Will sie nicht neue Herrschaft installieren, muß die Kritik kapitaler Vergesellschaftung in Antipolitik münden.

Gesinnungskitsch und „kritische Kunst"

Politik und materialistische Kritik haben also nichts miteinander zu tun ­ oder vielmehr gerade soviel, daß die Kritik über den notwendig staatstragenden Charakter einer jeden Politik aufklärt. Ob dies in der Intention des Künstlers liegt oder nicht: „Politische Kunst" ist nichts anderes als ästhetische Legitimation von Politik. Kunst zu „politisieren" heißt, sie heteronomen Zwecken dienstbar zu machen, d.h. sie auf die Verkündigung von summarischen „Botschaften" und die Bejahung einer hohlen Weltanschauung zu verpflichten, deren ästhetisches Pendant notwen-dig Gesinnungskitsch und technische Inkonsistenz sind. „Politische Kunst" heißt Sinnstiftung im vermeintlich höheren Auftrag. Sie kapituliert damit vor der Kulturindustrie, kapituliert und macht sich ihr gleich, indem sie ihr inneres Formgesetz preisgibt. Genau dieses aber ist die Bedingung für ihren Erkenntnis- und Einspruchscharakter gegen die falsche Gesellschaft und ihre kulturindustrielle Verwaltung. Sämtliche Debatten, die je über „engagierte" Kunst oder über das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft geführt wurden, kranken daran, daß in ihnen nie klar unterschieden wurde zwischen „politischer Kunst" (die ihrer Beschaffenheit nach Staatskunst ist) und einer Kunst, die den ihr eigenen gesellschaftlichen Charakter in sich reflektiert und ihn, als kritische und eingreifende Kunst, zur eigenen Sache macht. Eine solche Kunst aber ist ihrer Zusammensetzung nach antipolitische Kunst. Es verbietet sich, sie mit Machwerken wie etwa der auf Breitenwirkung spekulierenden Musik von Theodorakis unter dem Begriff „politische Kunst" zusammenzufassen. Eine Musik wie die von Mathias Spahlinger, die ihrem Anspruch nach „die Chiffren bewußt macht, nach denen Wirklichkeit dechiffriert wird", ist demnach keine politische Kunst, auch wenn diese gemeinhin als solche gehandelt wird und selbst der Komponist dieses Attribut für sich reklamiert.

Kunst kann ihr kritisches Potential weder durch Schielen auf unmittelbare Wirksamkeit, noch durch weltanschauliche Deklamationen entfalten. Dieses entspringt vielmehr einzig und allein ihrer Selbstbezogenheit, ihrem Anspruch, l´art pour l´art zu sein. Damit ist kein stures und gegen die Realität abgeblendetes Handwerklertum gemeint, sondern ein selbstreflexives Verhalten zum je eigenen Material, das, geduldig aufgeschlossen, seine in ihm sedimentierten gesellschaftlichen Erfahrungsgehalte preisgibt. In dieser Verhaltensweise gleicht Kunst der begrifflichen Erkenntnis: Die materialistische Gesellschaftskritik ist nicht auf verändernde, revolutionäre Praxis bezogen, indem sie sich für Praxis instrumentalisieren läßt, sondern nur als Anstrengung, mit dem Begriff gegen den Begriff zu denken.

Das Reservat der Kunst

Damit ist die Kunst ­ nicht anders als die materialistische Kritik ­ allerdings in einer aporetischen Situation verfangen. Authentischer moderner Kunst ist keine Form, keine bildnerische Gestaltung, kein Wort, kein Ton mehr selbstverständlich gegeben. So wendet sie sich im Grunde gegen sich selbst als Kunst, deren Medium doch eigentlich die ästhetische Sublimierung ist. Moderne Kunst will gegen sich selbst antreten, eingreifen, unmittelbarer Ausdruck werden, weil ihr der eigene scheinhafte Charakter und damit ihr Dasein als Verklärung einer unversöhnten Welt unerträglich wird. Sie will aus dem ästhetischen Bannkreis ausbrechen, weil sie in diesem Reservat, das die Gesellschaft einstweilen noch für sie unterhält, zur Ohnmacht verdammt ist.

Aber andererseits muß Kunst darauf bedacht sein, sich ihr Reservat zu erhalten, dessen Mauern die Kulturindustrie im vergangenen Jahrhundert schon längst sturmreif geschossen hat und das sie nun zu erobern sich anschickt. Das dürfte überflüssig sein, weil viele der im Reservat lebenden Künstler längst die unverhüllte Selbstpreisgabe von Kunst, ihre Funktionalisierung als Ornament der falschen Gesellschaft, höchstselbst betreiben. Exemplarisch dafür stehen die allseits geschätzten Formen von Klangkunst, Multimediainstallationen und Performances. Es ist dies eine Musik, die irgendwo zwischen Dudelfunk mit regelmäßiger Staudurchsage und Kaiser´s Einkaufsradio angesiedelt ist; sie hat solchen Manifestationen nur die Gespreiztheit voraus, mit der sich banale Berieselung als „Kunst sinnlich erfahrbar machen", „hörend Räume erkunden" etc. annonciert. In ihrer vollendeten Gestaltlosigkeit stellt sie nichts als eine Projektionsfläche der um ihren lebendigen Objektbezug gebrachten, sich selbst bespiegelnden spätkapitalistischen Konsummonaden dar. Solche Musik ist der herrschenden Gesellschaft gänzlich gleichgemachte „politische Kunst" in höchster Reinkultur. Sie soll nun vermehrt gefördert werden ­ auf Kosten der „elitären Opus-Musik", gegen die zu Felde gezogen wird, ganz im Sinne der bösartigen und populistischen Polemik gegen die „verkrusteten, bürokratischen Strukturen" der „alten Bundesrepublik". Vorherrschend ist die Tendenz zu einer schlechten, negativen Aufhebung der Differenz von Kunst und Gesellschaft, ihrer unmittelbaren Fusionierung mit dem verdinglichten Alltag. Dadurch wird die Kunst erst recht zum ohnmächtigen Anhängsel des Bestehenden.

Widerstand gegen die „getaktete" Zeit

Dieser falschen Vertraulichkeit mit den herrschenden Verhältnissen, die durch ihre Ästhetisierung entsteht, muß Widerstand entgegengesetzt werden ­ einerseits, wenn man so will, unmittelbar politischer Widerstand, der sich auf den Erhalt der institutionellen Bedingungen authentischer Kunstpraxis bezieht. Und andererseits der Widerstand im Inneren der Kunst, der sich direkt gegen die falsche Vertrautheit mit etablierten Denk-, Seh- und Hörgewohnheiten richtet. Der aber kann kein „politischer" sein, denn er verdankt sich der Geduld eines selbstvergessenen Arbeitens am Material und bezieht eben daraus seine mögliche gesellschaftliche Sprengkraft.

Das musikalische Material z.B. wird ­ darin besteht Adornos grundlegende Erkenntnis ­ bis in seine unscheinbarsten mikrologischen Bestandteile als etwas vorgefunden, das immer schon mit unzähligen gesellschaftlichen Bedeutungen und Gehalten behaftet ist. Komponisten, denen am Erkenntnischarakter von Musik gelegen ist, müssen versuchen, über musikalisches Material nicht als ein Repertoire zu verfügen und es im Sinne instrumenteller Vernunft einzusetzen und abzurufen. Vielmehr muß es darum gehen, die im Material sedimentierten Erwartungshaltungen zu zerstören, zu unterlaufen und sie in eine Konstellation zu rücken, in der sie in neuem, ungeahnten Licht erscheinen. Diese Konstellation ist die musikalische Form ­ Form aber ist in der Musik, deren konstitutives Medium der zeitliche Verlauf ihrer Momente ist, nichts anderes als in sich artikulierte, qualitativ bestimmte Zeit. Diese hat, wie Adorno einmal anmerkte, ihre chronometrische Dauer, gehört jedoch in dieser noch einer anderen Zeitordnung an, „der gleichsam verewigten des Stük-kes als eines geschriebenen" (Adorno, Vers une musique informelle). Als solcherart qualitativ bestimmte Zeit steht die musikalische Zeitentfaltung, wenn sie denn ihrem Anspruch gerecht wird, polemisch gegen die auf der Stelle tretende Dynamik, die die Bewegung des Kapitals stiftet: die leere, entqualifizierte, quasi verräumlichte Zeit, die keine Geschichte, also keine mit Erinnerung und Vorblick gesättigte Zeit kennt. Diese verdinglichte, in Segmente zergliederte, „getaktete" Zeit beherrscht längst das gesamte gesellschaftliche Leben; Arbeitstakt und Freizeittakt sind darin buchstäblich zu einem einzigen stählernen und unbarmherzigen Lebensrhythmus zusammengeschlossen.

Dagegen hat selbstreflexives Komponieren in den Grenzen, die der Musik wie aller Kunst gesetzt sind, den Vorschein dessen aufzubieten, worum es einer emanzipatorischen Praxis, die Kapital und Staat das längst verdiente Ende bereitet, zuallererst zu tun sein muß: der Herstellung erfüllter Lebenszeit. Der Aufhebung von Herrschaft und Versagung kann Musik vorauseilen, indem sie kompositorischen Reichtum und damit das Versprechen ungeschmälerter Fülle stiftet: Darin wäre sie wirkliche Avantgarde-Kunst. Dazu muß sie, wie Heinz-Klaus Metzger in einem seiner wohl wichtigsten Texte postuliert, „Debussys lose Redensart vom affaire plaisir' als Aufgabe der Musik gegen die einschlägige Industrie" wenden.

Dieser Beitrag ist eine Erwiderung auf ein Gespräch mit Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, das im Januar den Auftakt der scheinschlag-Reihe „Kunst & Politik" gebildet hatte.

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