Ausgabe 06 - 2002 berliner stadtzeitung
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History repeating

Zehn Jahre Ackerkeller

Der schwullesbische Ackerkeller wird zehn Jahre alt und hat allen Grund zum Feiern. Nach zehn Jahren kann „Das Wohnzimmer in Mitte", wie er liebevoll genannt wird, auf eine veritable Erfolgsgeschichte zurückblicken, die manchen professionellen „Eventmanager" vor Neid erblassen ließe: Über 1000 schwullesbische Disco-Abende fanden seit dem 9. Juni 1992 statt. Neben diesen regelmäßigen Veranstaltungen am Dienstag und Freitag gab es im Laufe der Jahre die Frauenpartys mitNichten, my girl, Lila Nächte und female jungle. Auch Gastveranstaltern stellt der Ackerkeller seine Räume mit ihrer kommunikativen Atmosphäre zur Verfügung. So feiern dort neben mutvilla von der Humboldt-Uni auch querstrich und die Bisexuellen-Party bisco. Während der Schließung des SchwuZ Ende 1998/ 99 gewährte der Ackerkeller der Rocknacht Asyl.

Der Ackerkeller gehört zu den wundersam prosperierenden Überbleib-seln einer autonomen Freizeitkultur, die in Berlin zunehmend auszusterben scheint. Wie konnte sich dieser Club so lange halten, während andere nicht-kommerzielle Einrichtungen, wie z.B. das Café Anal in Kreuzberg, im Laufe der neunziger Jahre eingegangen sind? Das mag mit dem Selbstverständnis des Trägervereins Doppelfenster e.V., der am 13. Januar 1991 gegründet wurde und seit 1992 den Ackerkeller betreibt, zusammenhängen: Die Vereinsmitglieder zahlen keinen Mitgliedsbeitrag, dafür leisten sie ehrenamtliche Arbeit an Bar, Einlaß und Garderobe und bewältigen in Gemeinschaftsaktionen sogar größere Renovierungsarbeiten. Ohne diesen Einsatz wäre so ein Club unmöglich. Das andere Erfolgsgeheimnis liegt in der Crew der DJs. Jedes Mitglied von Doppelfenster e.V. darf seine eigene Musik auflegen, es gibt weder eine Richtlinie noch ein Profil oder dergleichen. Hauptsache, die Leute tanzen. Das kann schon mal in die Hose gehen, wenn allzu individuelle Geschmäcker sich behaupten wollen. Oft treffen jedoch Musik und Tanzpublikum so ideal aufeinander, daß einem legendären Abend nichts im Wege steht. Auf diese Weise haben einige DJs, die an den vier Jubiläums-Freitagen im Juni unter dem Motto „History repeating" wieder aufgelegt haben, dem Ackerkeller sein eigenes Gepräge verliehen und mal die eine, mal die andere Szene angezogen. Dies garantiert die für den Ackerkeller so charakteristische Buntheit: Neben den StudentInnen, die die Mehrheit stellen, traf man dort in vergangenen Jahren, viele Grufties, Transen, Tunten und Punks. Auch wenn es dort heute nicht mehr ganz so vielfältig zugeht, der Club ist immer noch Wohnzimmer für ganz unterschiedliche Gruppen.

Der einzige, einigermaßen klar umrissene Anspruch des Vereins besteht darin, zur übrigen gay community eine Alternative zu bieten und keinen Gewinn zu erwirtschaften. Mit dem niedrigen Eintrittspreis, der mit der Euro-Umstellung von 3,50 DM auf 1,50 Euro gesenkt worden ist, und den ebenso günstigen Getränkepreisen wird der Ackerkeller diesem Anspruch gerecht.

Und noch ein Geheimnis mag den Erfolg des Ackerkellers erklären. Internetseiten werben für den Club mit dem Etikett „Party-Einstiegsdroge". Stammgäste können manchen individuellen Werdegang schildern, in dem ein Landei sich in einen Partylöwen verwandelt hat. Anscheinend erfüllt der Ackerkeller die nötigen Treibhausbedingungen, um jungen Partypflanzen einen ebenso allmählichen wie gedeihlichen Einstieg in die Berliner Partyszene zu ermöglichen.

Peter Böke

Ackerkeller, Ackerstraße 12, 2. HH

Feiertermine: Freitag, 5. Juli,
Zehn Jahre Ackerkeller:
„best of ­Part". Samstag, 6. Juli,
Zehn Jahre Ackerkeller: Hoffest.
Informationen: www.ackerkeller.de

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