Ausgabe 06 - 2002 berliner stadtzeitung
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Jeder ist eine Collage von Kulturen

Eine lesbische Türkin, die Musik auflegt: Gespräch mit DJ Ipek

Die Frau ist unterwegs: „Aufgelegt habe ich bereits im Tempodrom, Tränenpalast, regelmäßig im SO 36 bei Gayhane und jeden Sonntag bei Starlights in Mama's Lounge, aber auch schon in Hamburg, Stockholm und New York." Die Leute stehen auf ihre Mischung housiger Beats mit orientalischen Klängen.

DJ Ipek war schon immer unterwegs: „Geboren wurde ich als Gastarbeiterkind in München, meine Mutter nahm mich dann mit in die Türkei, wo ich zur Schule ging. Ab und zu kam ich nach Deutschland zurück, mal Dortmund, mal Stuttgart. Dann war ich in Berlin, kurz darauf legte ich ein Au-pair-Jahr in London ein. Dort merkte ich, daß ich eigentlich Deutschland mag und dort meine Zukunft gestalten möchte. Also bin ich wieder zu meiner Mutter nach Wedding gezogen, aber auch in Berlin bin ich schon rumgekommen und über Neukölln nach Kreuzberg gezogen. Erst hier fühle ich mich wirklich wohl. Ich war halt immer ein Kofferkind. Da fragt man sich natürlich: Wo gehöre ich eigentlich hin?"

Das ist sicher auch problematisch für die Identitätsbildung: „Meine Mutter hat mich immer mitgenommen. Aber im Internat in der Türkei kamen mich immer meine Großeltern besuchen. Anfangs konnte ich weder Deutsch noch Türkisch richtig. Im Internat mußte ich natürlich Türkisch sprechen. In Berlin lernte ich Deutsch. In London konnte ich mich nur auf Englisch verständigen. Dort hatte ich auch mein Coming out, da war ich 18, obwohl ich schon mit zwölf gemerkt habe, daß ich mich für Frauen interessiere."

Auch beruflich fuhr sie Achterbahn: „Ursprünglich wollte ich Hotelfachfrau werden, habe aber keinen Ausbildungsplatz bekommen, weil ich nur einen Realschulabschluß hatte. Also habe ich ein Fachabitur gemacht, ich hatte einen Platz an einer technisch-wirtschaftlichen Schule, aber ich wollte eher in den sozialen Bereich, daher bin ich auf die Anna-Freud-Schule gegangen. Anschließend habe ich Sozialpädagogik an der Alice-Salomon-Schule studiert und meine Diplomarbeit zum Thema Türkisch und Lesbisch – ein Widerspruch?' geschrieben. Heute lebe ich von DJ-Engagements, veröffentliche aber noch immer soziokulturelle Beiträge, beispielsweise in der als e-mail vertriebenen Zeitung Lubuny."

Ist türkisch und lesbisch sein ein Widerspruch? „Es geht beides. Anfangs habe ich mich abgeschottet. Ich war Radikalfeministin, Heten waren mir egal, und ich habe in einer Lesben-WG mit Männerverbot gelebt. Und das war richtig und wichtig. Subkulturen müssen sich abgrenzen, um sich weiterzuentwickeln. Wenn eine Gruppe intern eine Identität entwickelt hat, kann sie sich auch nach außen öffnen. So ging es mir auch. Ich habe gemerkt: Ich bin nicht nur lesbisch, ich bin auch Türkin. Also habe ich mich Migrantencommunities angeschlossen. So hatte ich mehrere Subkulturen durchwandert, ehe ich mit meiner Diplomarbeit von Homosexualität bis Rassismus alle meine Identitätsthemen abgearbeitet habe und mich weiter entwickeln konnte. Es gab ja keine Lobby für homosexuelle Migranten, auch keine Ausgeh-Locations. Als dann der Veranstalter einer Queer-Party im SO 36 an mich herantrat, weil der DJ ausgefallen war, sah ich meine Chance: Eine Verbindung von homosexueller und orientalischer Kultur. Ich wollte türkische Mucke bei meinen Parties, das war mir wichtig. Ich will beides."

Wie definiert sich jemand, der so vielschichtig ist? „Jeder ist eine Collage von Kulturen – und die religiöse Zugehörigkeit oder der kulturelle Hintergrund haben ja mit der Sexualität nichts zu tun. Es gibt sogar orthodox-jüdische Schwule, die sogenannten Ortho-Gays. Die Traditionen machen einem häufig das Leben schwer, vor allem für Migranten. Viele Eltern haben Angst, schuld an der Homosexualität ihrer Kinder zu sein, weil sie in Deutschland leben. Oder sie befürchten, ihre Familien in der Heimat zu verlieren. Die haben ja einen ganz anderen Stellenwert in arabischen oder türkischen Kulturen. Woran sollen sie sich sonst halten? Aber oft machen sich die Kinder auch mehr Sorgen als die Eltern. Mich hat meine Mutter damals angesprochen und meinte: "Finde heraus, wer du bist, du bist meine Tochter." Das fand ich toll. Viele kommen zu mir und fragen: "Du lebst so offen, ich führe ein Doppelleben". Das ist doch furchtbar."

Und wer ist Ipek heute? „Ich entwickle mich ja immer noch weiter. Ich kann heute lesbisch sein und gleichzeitig orientalische Kultur leben, mittlerweile gibt es auch eine entsprechende Infrastruktur in Kreuzberg. Dieser Bezirk ist großartig und vor allem so vielschichtig. Es gibt ruhige Orte oder solche, wo viel Trubel ist. Die Leute sind freundlich und entspannt, es gibt nichts, was ich hier vermisse. Im Osten, naja, Mitte geht ja, es gibt gute Ideen für Clubs, aber alle sind übersättigt. In Lichtenberg oder Marzahn ist es furchtbar: Ich sollte dort zur Fachhochschule gehen, und auf dem Weg in der S-Bahn wurde Heil Hitler gebrüllt. Niemand hat reagiert. Niemand hat sich dafür interessiert. Das wollte ich nicht vier Jahre lang durchmachen. Früher dachte ich, in Kreuzberg gäbe es nur Kriminelle, mittlerweile fühle ich mich total wohl. Ich war skeptisch, als das mit der Wende in Ostdeutschland losging, diese nationale Euphorie. Zumal ich mit Ostdeutschen schon in London Dispute hatte. Aber hier in Kreuzberg geht es. Aber auch Stockholm ist toll und superschön. Und New York, eine sehr körperliche Stadt, man kann prima flirten. Aber ich weiß nicht, ob die meine Musik jetzt nach dem 11. September noch so gut finden. Kreuzberg ist toll, ich mag die Durchmischtheit. Das Wort Multikulti finde ich zwar unangebracht, weil es keine ausgeprägte Migrantenkultur gibt, ich fühle mich hier trotzdem sicher und habe meine Infrastruktur. Das war früher nicht so, Homosexuelle und gerade Migranten waren in der Öffentlichkeit nicht vertreten, das hat es auch mir sehr schwer gemacht. Heute hätte ich mein Coming out früher gehabt. Zu meiner jetzigen Situation: Ich bin Ipek, und ich bin Kreuzbergerin."

Das Interview führte Janina Sammler, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des „go drag!" -Festivals, 27. Juni bis 25. Juli im Tacheles.

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