Ausgabe 06 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Sanatory of Sound

Wie die Berliner Politiker mit der Clubkultur umgehen

Auch die Berliner Verwaltung hat nun erkannt, daß die Off-Kultur ein wichtiger Faktor für die Stadt ist, und bemüht sich um deren Förderung. Manfred Fischer, zuständig für die Künstlerförderung bei der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, spricht sogar von einer „konstant hohen Priorität der Förderung junger, unbekannter Künstler", die sich auch im Budget seines Ressorts niederschlage ­ was allerdings nur bedeutet, daß nicht gekürzt wird. Ihm geht es um die Finanzierung von Projekten, Auftritten und Auftrittsorten, die sich wirtschaftlich nicht tragen. So wurde dem SO 36 eine neue Schalldämmung spendiert und in den Ausbau des Maria am Ostbahnhof investiert. Dieses Beispiel zeigt schon, daß die Zahlungen nicht immer von Erfolg gekrönt sind ­ das Maria wurde Anfang des Jahres geschlossen, um den hochhausschwangeren Bebauungsplan umzusetzen. Auch der Tresor wird in einem halben Jahr Büroþächen weichen. Für Fischer ein unvermeidlicher Prozeß: „Es war ja allen Beteiligten von Anfang an klar, daß der Überþuß an Partylocations im Zentrum nur vorübergehender Natur ist." Das mag ja sein, nur war Anfang der Neunziger noch nicht absehbar, welchen Stellenwert die Clubkultur in Berlin einnehmen würde – und daß viele Bürobauten schlicht überflüssig sind und sich lediglich als Förderungs- und Abschreibungsobjekte rentieren. Nun will die Behörde bei der Suche von Ersatzstandorten helfen, aber die Möglichkeiten sind beschränkt. Mehr als Gespräche mit den Eigentümern potentieller Domizile in die Wege zu leiten, können auch Fischer und seine Kollegen nicht: „Im Finden entsprechender Räumlichkeiten sind die entsprechenden Scouts sowieso effektiver – und wenn eine andere Nutzung ansteht, können auch wir nicht mehr tun, als das Bestehen des Clubs bis zum Baubeginn sicherzustellen." Überhaupt erkennt er eine Tendenz weg vom morbiden Fabrikhallencharme des letzten Jahrzehnts hin zu einem repräsentativeren Ambiente, etwa an der ehemaligen „Vergnügungsmeile" Kurfürstendamm. Höhere Preise, Distinguierung durch elitäres Ambiente – für ihn nur eine Frage von „Bedürfnissen, die bei den jungen Leuten bestehen und von Veranstaltern gedeckt werden." Auch der Stadtrat für Wirtschaft von Mitte, Dirk Lamprecht, erwartet eine zunehmende Etablierung der Clubszene. Für ihn steht vor allem die Rolle der Clubs als touristische Attraktionen und als Wirtschaftsakteure im Vordergrund; sie unterliegen dem Gewerberecht für Gastronomie und müssen sich an die entsprechenden Vorschriften halten: „Wenn Auþagen, die ja im Interesse der Besucher sind, nicht erfüllt werden, wird der Club geschlossen. Es herrscht Gewerbefreiheit, daher kann der Eigentümer der Immobilie die Nutzung auch ändern." Zur Zeit sieht er wenig Handlungsbedarf in puncto Clubkultur, zumal seiner Ansicht nach eher ein Überangebot in diesem Sektor besteht und man sich darüber hinaus mit „der Clubcommission und Einzelvertretern im Kontakt" beÞnde. Er wünscht sich mehr gegenseitiges Verständnis, für die Verwaltung auf der einen und die Veranstalter und ihre Gäste auf der anderen Seite. In deren Interesse sieht er auch das Pochen auf bestimmte Vorschriften: „Wenn wirklich mal was passiert, ist der Schaden für den ganzen Bereich noch größer." Der Rest ist Sache des Marktes. Er könne höchstens bestimmte Rahmenbedingungen schaffen und dabei auf Großzügigkeit und Toleranz achten. Die Qualität der dargebotenen Veranstaltungen mag er nicht beurteilen.

Manfred Fischer ist da schon ambitionierter und beobachtet einen Trend von Konzerten, Installationen und Performances hin zu reproduzierter Musik. Allerdings mag er diese Entwicklung, die ja auch durch Verdrängungsprozesse und wirtschaftliche Zwänge verursacht wird, nicht in Zusammenhang mit seiner Behörde bringen: „Es herrscht Wettbewerb, und ein Eingreifen in die Marktlogik lehne ich ab." Und erklärt Publikumsresonanz zum Förderungskriterium: „Wenn eine Veranstaltung keine Leute zieht, wird sie bei einer eventuellen neuerlichen Antragstellung nicht mehr gefördert." Da stellt sich doch die Frage, welche „Eliten" mehr wert sind, die Operngänger, denen Millionen geopfert werden, oder die Kenner guter elektronischer Livemusik beispielsweise, deren Ausgehwelt mehr und mehr beschnitten wird. Bleibt zu hoffen, daß die Veranstalter sich treu bleiben und sich nicht auf solche Events fixieren, die mittels Inhaltsarmut das zahlungskräftige Massenpublikum ansprechen, und wo jedwede Distinguierung über den Geldbeutel erfolgt.

Michael Welskopf / Mark McGuire

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