Ausgabe 06 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Die eigentlichen Aufgaben stehen noch bevor

Kultursenator Thomas Flierl im scheinschlag-Gespräch

Vor einem Jahr noch waren die Wege wesentlich kürzer: Sie sind jetzt weiter entfernt von der Basis, von Leuten wie uns. Dieses Gespräch hätten wir eigentlich schon zu Ihrem Amtsantritt führen wollen.

Ich hoffe nicht, daß die Wege länger geworden sind. Es sind nur sehr viel mehr Menschen, die jetzt den Kontakt zu mir suchen und die ich auch kennenlernen muß. Außerdem gibt es so eine Unsitte in Berlin, daß der Kultursenator der ganzen Stadt zu jeder Zeit und an jeder Stelle zur Verfügung stehen muß. Aber entscheidend ist ja, ob man die Problemlagen richtig einschätzt.

Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit gesagt, sie würden erst mal so viele Institutionen schließen, bis sie Handlungsspielraum gewinnen würden. Warum haben Sie das nicht gemacht?

Das war eine eher ironisierende Antwort auf die Frage einer Kollegin von der Frankfurter Rundschau, die sagte: „Sie haben doch gar keinen Spielraum, Sie können doch nur schließen", und da habe ich ironisch gesagt, dann schließe ich eben so viel, bis ich Spielraum habe. Aber die Berliner Erfahrungen sind doch die: Durch Kurzschluß- und Panikreaktionen ­ Stichwort Schillertheater ­ meinte man, man hätte einen Befreiungsschlag vollzogen, der sich dann aber jahrelang immer noch als kostenwirksam erwiesen hat, vom kulturpolitischen Schaden gar nicht zu reden. Deswegen war mein Anspruch für den ersten Doppelhaushalt, den wir ja quasi aus dem Stand entwickeln mußten, die Situation zu stabilisieren und zu wirklichen Strukturmaßnahmen erst in den Jahren 2004-6 zu kommen. Dann stellt sich die Frage: Wie soll es mit den Großinstitutionen, den Opern und Theatern in Berlin weitergehen? Wie können die Disproportionen, die seit Jahren im Kulturhaushalt zwischen etablierter und nicht-etablierter Szene existieren, überwunden werden? Diese Fragen bleiben natürlich, und es ist, glaube ich, gut, daß sie nicht im ersten Doppelhaushalt beantwortet wurden, weil das nicht gut hätte vorbereitet sein können. Und meine erste Entscheidung, trotz Haushaltssperre, war, die Projektmittel für die freien Gruppen freizugeben, um sicherzustellen, daß die nicht nach der Haushaltssystematik als erste sterben.

Aber könnte die Schließung einer größeren Institution nicht wirklich ein Befreiungsschlag sein? Könnte dadurch nicht Spielraum entstehen, so daß die Übrigbleibenden besser leben könnten?

Dann muß man genau fragen: Welche Einrichtung könnte das sein? Wie ist die Akzeptanz für Kulturpolitik mit solchen Maßnahmen in dieser Stadt? Es ist nicht ausgeschlossen, daß solche Maßnahmen notwendig werden, aber sie müssen gut vorbereitet sein. Und ein Problem hat natürlich das Schillertheater gebracht: Es waren alle Angestellte einer staatlichen Bühne. Wir haben eine Beschäftigungssicherungsvereinbarung im öffentlichen Dienst bis 2004. Jede Maßnahme, die in diesem Zeitraum getroffen würde, würde de facto keinerlei Einsparungen bringen, weil der Hauptkostenfaktor im Kulturbereich, die Personalkosten der im öffentlichen Dienst Beschäftigten, davon völlig unberührt bliebe. Die großen Institutionen sind deswegen besser abgesichert, weil die Beschäftigten Landesbedienstete sind. Das ist das eigentliche Problem. Diese Ungerechtigkeit und diese Ungleichbehandlung gibt es aufgrund der unterschiedlichen Trägerstrukturen. Das ist nicht ad hoc zu lösen. Das wäre nur zu lösen, wenn das Land, wofür ich nicht plädiere, die Auffassung hätte, man müßte jetzt betriebsbedingte Kündigungen einführen. Dann könnte man Einrichtungen schließen und würde auch unmittelbar der Kosten entledigt sein.

Offenbar kann man kleinen Institutionen im Off-Bereich kurzfristig leichter Geld wegnehmen, weil die auch keine längerfristigen Verträge haben. Ist Kulturpolitik wirklich gezwungen, vor diesen Sachzwängen zu kapitulieren?

In der Tat ist es so, daß man nach der Logik der Finanzpolitik zunächst versuchen muß, bei den Zuschußempfängern Kürzungen zu erbringen. Mein Ansatz war, zu sagen: Man kann sich dieser Erwartung nicht vollständig entziehen, es muß aber durchdacht sein. Wo es nicht durchdacht war, haben wir auch Fehlentscheidungen korrigiert, wie im Fall KunstWerke oder ansatzweise beim Podewil. Man muß aber schon auch mit diesen kleineren Einrichtungen einen Dialog führen. Nur weil eine Einrichtung klein ist, ist sie noch lange nicht efÞzient. Das war eine schwierige Operation, weil das natürlich auch der Bereich ist, der mir näher liegt, und deswegen gab es Reibung. Wir wissen aber jetzt sehr viel genauer, was geht und was nicht geht.

Diedrich Diederichsen hat Ihnen vorgeworfen, die ersten Sparopfer wäre die „linke Avantgarde" gewesen, wie er das nennt, und das wäre ein Verrat an Ihrer Wählerschaft.

Gemessen an den tatsächlich vollzogenen Einsparungen ist so eine Kennzeichnung nicht zutreffend. Diederichsen ist natürlich auch klug genug, um zu wissen, daß das ein lobbyistisches Argument ist, zu sagen: „Wir sind doch deine Freunde." Ich sage: Okay, ihr seid meine Freunde, aber wir müssen zunächst mal darüber reden: Welche Arbeitsbedingungen habt ihr, wo sind Einsparungen möglich, damit der Kulturbereich insgesamt entwickelt wird? Ich denke, daß das ein gutes und geschickt gesetztes Argument war. Aber erstens habe ich mich in vielen Entscheidungen korrigiert und zweitens haben wir auch einige Entscheidungen als berechtigt und sinnvoll umgesetzt. Die eigentlichen Aufgaben stehen aber noch bevor. Wir brauchen einen Konsens, was die Aufgaben der jeweiligen Kultureinrichtungen sind. Also, kann es die Avantgarde-Szene Berlins sich leisten, zu sagen: „Macht doch eine Oper zu"? Ist dieses Miteinander der großen traditionsreichen Institutionen und der kleineren experimentellen nicht eigentlich auch notwendig? Diese Debatten müssen wir doch führen. Ich glaube, daß wir sehr schnell aus den Verteilungskämpfen und dem Lobbyismus rauskommen müssen.

Der Berliner Off-Kultur, zu der auch Teile der Clubkultur zählen, wird immer mehr das Wasser abgegraben, sie verlieren ihre Freiräume. Gleichzeitig renommiert Berlin, bis in die Tourismuswerbung hinein, mit dieser lebendigen Szene. Wäre da nicht auch die Kulturpolitik gefragt, diese Räume absichern zu helfen?

Da kann ich als ehemaliger Baustadtrat sagen, daß die stadtentwicklungspolitischen Instrumente die entscheidenden Mittel sind, um die Offenheit der Räume zu garantieren, der öffentlichen Räume und der privaten Grundstücke, die nicht in eine ausschließlich verwertungsorientierte Nutzung geraten sollten. Die Lebendigkeit Berlins war natürlich genau diese Phase der Unbestimmtheit, des Wechsels und der Transformation. Die Kulturszene selbst hat ja wesentlich diese Transformation ausgedeutet, gelebt, symbolisiert, interpretiert. In dem Maße, in dem diese Verhältnisse sich stärker ökonomisch und rechtlich stabilisieren, in dem Maße schwinden die Freiräume. Da ist die kreative Szene, die diese Unwirtlichkeit der ersten Jahre nach der Wende ja voll angenommen und positiv gestaltet hat, gefragt.

Drohen da aber nicht Dinge unter die Räder zu geraten, die in keinem Politikfeld so richtig behandelt werden? Z.B. sollen die Clubs in der Mühlenstraße in den Planungen lange schlicht übersehen worden sein. Ist es nicht vielleicht doch ein kulturpolitisches Handlungsfeld, in solchen Angelegenheiten zu vermitteln und die Problematik ins Bewußtsein zu rücken?

Ja, grundsätzlich schon. Wenn Sie nicht davon ausgehen, daß der Kultursenator der einzige kulturpolitische Akteur in einer Stadt ist. Die Frage ist, wie lokale Politik das moderiert. Da könnte ich vielleicht Empfehlungen und Erfahrungen vermitteln, aber nicht unmittelbar eingreifen. Das Thema hat auch bisher noch niemand an mich herangetragen. Zwar ist von Seiten der Clubszene signalisiert worden, daß sie als Wirtschaftsfaktor ernstgenommen werden will und daß es einen enormen Verteilungskampf gibt zwischen denen, die gesicherte Räumlichkeiten haben, und denen, die ihre Projekte an wechselnden Orten machen. Das ist ein Problem, das mir schon bewußt ist, aber wo ich natürlich relativ schlecht steuernd eingreifen kann.

Foto: Knut Hildebrandt

Um zum leidigen Thema Schloßplatz zu kommen: Sie wurden jüngst wieder mit der Aussage zitiert, daß sie für einen zeitgenössischen Bau eintreten würden und nicht für eine historisierende Variante. Außerdem steht die Frage nach einer Zwischennutzung des Palastes im Raum.

Ich bin ein starker Befürworter einer Zwischennutzung des Palastes für kulturelle Projekte. Es gibt da auch Übereinstimmung mit dem Staatsminister für Kultur und Medien und der Kuratorin für den Hauptstadtkulturfond, meiner Vorgängerin Adrienne Göhler. Insofern gibt es eine Phalanx von Leuten, die das wollen und auch Mittel in der Hand haben. Wir werden natürlich die Unterstützung der Vermögensverwaltung des Bundes brauchen, die den Palast besitzt und öffnen müßte. Ich hoffe, daß es in dieser eigentümlichen Baustellensituation und angesichts der noch nicht entschiedenen Zukunft des Ortes gelingt, einen Teil jener Offenheit wiederherzustellen, die gerade die frühen neunziger Jahre im Ostteil der Stadt fast überall ausgezeichnet hat, und kulturell zu füllen. Ich denke, daß das ein angemessener Umgang mit der derzeitigen Situation dort ist.

Nach der Empfehlungsvorlage der Schloßplatz-Kommission wurde verabredet, daß eine Arbeitsgruppe gebildet werden soll, die das Nutzungs- und Finanzierungskonzept weiter präzisiert. Auf dieser Grundlage soll es dann einen Wettbewerb geben. Und es gilt die Festlegung der Berliner Koalitionsvereinbarung, daß über die Einbeziehung nutzbarer Teile des Palastes der Republik erst nach einem Wettbewerbsverfahren zu entscheiden ist. Zu der meist sehr reduzierten Debatte, welche Art von Fassade man sich denn wünscht, wünschte ich mir eben eine zeitgenössische Antwort auf die Herausforderung, ein öffentliches Gebäude als ein Wissens- und Kulturforum in der Mitte der Stadt zu errichten. Berlin wird sich angesichts der Haushaltslage vermutlich nicht finanziell daran beteiligen können. In absehbarer Zeit ist auch das Geld für eine zentrale Landesbibliothek, die sehr wünschenswert wäre, nicht vorhanden. Aber ich denke, daß die öffentliche Nutzung auch einen öffentlichen Auftraggeber braucht, und daß es letztlich darauf hinausläuft, daß das eine Bundesaufgabe sein sollte. Die Hoffnung auf private Investoren verengt natürlich sofort die Möglichkeiten einer zeitgenössischen Lösung, weil von privater Seite sofort gesagt wird: „Geld von uns gibt es nur für Schloßfassaden." Das kann aber nicht die Antwort sein.

Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit das Ziel formuliert, Milieus aus Ost und West in dieser Stadt zusammenzubringen. Was heißt das und was können Sie dazu überhaupt beitragen?

Ich komme ja aus einem Bereich im Osten, in dem die Milieus sich schon in großem Maße durchdrungen haben, ob das die Arbeit in Mitte war oder im Prenzlauer Berg. Mehr als dort ist natürlich jetzt die Aufgabe, auch entferntere, weder räumlich noch kulturell überhaupt verbundene Milieus zusammenzubringen. Das heißt auch, im Westteil der Stadt die Sorge zu zerstreuen, daß es nun an die Substanz Westberliner Traditionseinrichtungen und kulturellen Selbstverständnisses ginge. Dennoch wird im Westteil der Stadt stärker als bisher realisiert werden müssen, daß Berlin vor einer dramatischen Situation steht und daß mancher Umbruch, der im Osten schon stattgefunden hat, jetzt auch im Westteil der Stadt zu spüren sein wird. Und unsere Erfahrung aus diesem Transformationsprozeß Ost ist ja, daß sich Wandel lohnt und daß sich Veränderung durchaus als Zugewinn herausstellen kann. Das auch im Westteil der Stadt zu kommunizieren, ist eine wichtige Aufgabe.

Interview: Florian Neuner/Tina Veihelmann

© scheinschlag 2002
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 06 - 2002