Ausgabe 06 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Verbrannte Erde

Mit Starbucks mischt erstmals ein „Global Player" die Neue Mitte auf

Sie ließen sich Zeit, haben sich nach Zürich und Wien gewagt und lange Zeit Berlin, zugegeben nicht gerade eine Hauptstadt der Kaffeekultur, links liegen gelassen. Es schien fast so, als mache Starbucks, Begründer des weltweiten Coffeebarbooms und unumstrittener weltweiter Marktführer, einen Bogen um diesen Markt und überließe ihn lokalen Ketten wie Einstein und Carras, die seit geraumer Zeit die Stadt mit ihren „Coffee-to-go"-Filialen überziehen. Aber seit ein paar Monaten ist es nicht zu übersehen, das runde Firmenlogo des „Mega-Rösters" mit der signifikanten Meerjungfrau. Der 4700 Filialen schwere Großkonzern vollzog mit der Eröffnung von zunächst zwei Filialen den langerwarteten Eintritt auf den deutschen Markt. Damit gerät vieles in Bewegung, sowohl im Wettstreit um die meist „lifestyleorientierten" Kaffeekonsumenten als auch in Bezug auf die fortschreitende „Caffè-Latteisierung" deutscher Innenstädte.

Man kann Starbucks, das in Deutschland in Form einer Joint-Venture-Gesellschaft mit Karstadt/Quelle auftritt, zu einer gelungenen Standortwahl gratulieren. Obwohl der traditionelle Kaffeeröster Jakobs mit seinem Coffee-Bar-Konzept „J-Cups" an gleicher Stelle scheiterte, ist der prestigeträchtige Pariser Platz eine attraktive und auch lukrative Adresse. Bislang wird hier, im Schatten des Brandenburger Tors, mehrheitlich Kännchenkaffee ausgeschenkt. Wenn durch Starbucks des Deutschen zweitem Wohnzimmer ein bißchen Internationalität zuteil wird, ist das also halb so schlimm. Die Ansiedlung am Hackeschen Markt, dem etwas weniger staatstragenden Ausgehzentrum der Spaßrepublik Deutschland, ist jedoch anders zu bewerten. Der erste wirkliche „Global Player" am Ort bezieht nicht irgendein Ladenlokal, sondern wird seine „Kaffeevariationen" in den Hackeschen Höfen an den Kunden bringen. Bislang rühmten sich die Betreiber der in den neunziger Jahren aufwendig sanierten Gewerbe- und Wohnhofanlage mit einer Nutzungskonzeption, die auf „gehobene" Angebotsvielfalt und die „Vermeidung von Mainstream" (sic!) setzte. Die Vermietung an Starbucks konterkariert diesen selbstgestellten Anspruch jetzt in einem Ausmaß, der nur durch die Eröffnung einer Filiale der gängigen Burger-Bratereien hätte übertroffen werden können. Der bereits nahezu abgeschlossene Prozeß der „Gentrifizierung", der Zuzug wohlhabender Bevölkerungsschichten, die hohe Passantenfrequenz und nicht zuletzt der Ausstrahlungseffekt des Hackeschen Marktes als „Zentrum der neuen Mitte" werden zweifelsohne zu einem Erfolg des Vorhabens beitragen. Aber es bedeutet den Identitätsverlust eines Viertels, das an seiner eigenen Popularität zugrunde zu gehen droht. Überteuerte Schuh- und Kleidungsgeschäfte, darunter vermehrt auch Filialisten, Touristennepplokale und eben schicke Coffeebars dominieren bereits heute das in den neunziger Jahren noch beispiellos abwechslungsreiche Strassenbild. Nun werden auch die Cafés, einst selbst Motor des rasanten Aufwertungsprozesses, durch den der Standort für Starbucks erst interessant wurde, zu dessen Opfer.

Starbucks ist der McDonald's unter den Coffeebars. Das in seinen Anfängen in den USA als gelungene Alternative geschätzte Unternehmen ­ das selbst aus dem alternativen Milieu stammt ­ hat sich seit der Übernahme durch Howard Schultz 1987 und dem kurze Zeit später erfolgten Börsengang durch eine aggressive Expansions- und Verdrängungspolitik einen unrühmlichen Namen gemacht. Dies erklärt auch, weswegen die großformatigen Ankündigungen der baldigen Eröffnung am Hackeschen Markt zum 1. Mai kurzerhand aus den Schaufenstern genommen wurden: Starbucks schlägt inzwischen der massive Protest der Anti-Globalisierungsbewegung entgegen. In ihrem Buch „No Logo", das die Geschäftspolitiken multinationaler Konzerne behandelt, beschreibt die Autorin Naomi Klein die Strategie des Unternehmens als „Clustering", also als massive Konzentration von Filialen an einem Ort, um Mitbewerber aus dem Feld zu schlagen. Eigene Verluste, durch Gewinneinbußen oder gar die vereinzelte Schließung eigener Standorte, würden im Zuge dieser Verdrängungspolitik bewußt in Kauf genommen. Naomi Klein nennt das eine „Politik der verbrannten Erde". Tatsächlich gewinnt man bei dem Besuch nordamerikanischer Städte den Eindruck, daß gerade die kleinen und unabhängigen Coffeebars und Delis in den gemischt genutzten und feingliedrigen Stadtteilen dieser Geschäftspolitik zum Opfer fallen, ein Schicksal, die nun auch den unabhängigen Cafés am Hackeschen Markt droht.

Diese Entwicklung liegt im Trend der fortschreitenden Internationalisierung von Geschäftsbeziehungen und -praktiken ­ die großen Städte werden sich immer ähnlicher. Starbucks ist das natürlich egal. Bis zu 100 Coffeebars pro Jahr möchte der Konzern alleine in Deutschland eröffnen, 100 Gründe also, seinen Kaffee woanders zu trinken.

Johannes Novy

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