Ausgabe 06 - 2002 berliner stadtzeitung
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Die großen Sponsoren

Manche würden es gerne zum Unwort des Jahres erklären, das häßliche Wort „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme". Manche meinen, ABM sei schuld daran, daß bequeme Menschen einfach den mühsamen Gang auf den „ersten Arbeitsmarkt" scheuen und sich in der von unseren Steuer- und Versicherungsgroschen bezahlten sozialen Hängematte der sozialen Marktwirtschaft wiegen.

„Weg damit" ist die Linie der Reformer der Bundesanstalt für Arbeit, „weg damit" rufen insbesondere die Vertreter von Handwerk und kleinen Dienstleistungsbetrieben, die Billigkonkurrenz fürchten. Die leisen Zwischenrufe von Gruppen in schwächerer Lobbyformation hört man nicht, sie werden auch nicht von den Medien transportiert. Es ist an der Zeit, laut zu werden: Kultureinrichtungen wie das Theaterhaus Mitte, das Kreativhaus, der Pfefferberg, Kulturprojekte in der Kulturbrauerei oder in den Quartiersmanagements, das Puppentheatermuseum, die Werkstatt der Kulturen, das Theaterhaus Spandau, Atelierhäuser, Jugendkunstzentren, Seniorenkultureinrichtungen, jede Menge Kulturprojekte in Schulen und Kitas, die kleinen Museen und ganze Kulturämter, um nur einige wenige zu nennen, sind in Gefahr. Ohne ABM und seine kleineren Geschwister, „SAM" oder die Quasi-ABM-Maßnahmen der Sozialämter, „IDA" und wie sie alle heißen, droht das große Sterben. Denn hier sind die Arbeits- und Sozialämter die großen Sponsoren.

Mit ABM sollen Menschen, die schon einmal ein „ordentliches" Arbeitsverhältnis hatten, für den Ersten Arbeitsmarkt „fit gehalten" werden und möglichst zusätzliche Qualifikationen bekommen. Sie sollen hauptsächlich denen helfen, die von Langzeitarbeitslosigkeit bedroht oder betroffen sind. Bezahlt wird aber auch eine große Bürokratie, die von ABM und seinen Geschwistern lebt: Beschäftigungs- und Trägergesellschaften, Qualifizierungs- und Weiterbildungsträger. Die Bundesanstalt für Arbeit tut gut daran, ihren „zweiten bis zehnten Arbeitsmarkt" zu überprüfen; zu viele verdienen daran, und – wie überall – wird viel Schindluder getrieben. Aber das ist nicht das wirklich wichtige. Die große Frage, die sich die Reformer nicht stellen, ist: Wozu dient der Zweite Arbeitsmarkt?

Er nützt denen, die arbeiten wollen, aber keine Arbeitsplätze finden, die ihrer Qualifikation und ihren persönlichen Lebensbedingungen entsprechen. Betroffen sein kann jeder, wie die Krise der New Economy deutlich zeigte. Betroffen sind aber insbesondere Menschen, die eher am Rande des Arbeitslebens stehen – weil sie zu jung oder zu alt sind, weil sie kleine Kinder haben, weil sie nicht gut Deutsch sprechen, weil sie behindert sind, weil sie soziale oder psychische Probleme haben, weil sie nicht am Fließband stehen wollen oder weil sie eine Spezialqualifikation haben, für die keine angemessene Arbeitsstelle zu finden ist. Gerade Kulturprojekte bieten mit ihrem Arbeitsrhythmus, mit ihrer Ergebnisorientiertheit, ihrem Teamwork-Prinzip und ihren vielfältigen Aufgaben und Anforderungen viele Möglichkeiten für Arbeitslose jeglicher Qualifikation.

ABM nützen aber auch einem ganzen Bereich, der weder vom Staat noch von der Wirtschaft bedient wird – und der dennoch gesellschaftlich relevant ist. Der sogenannte „dritte Sektor", der Non-Profit-Bereich, benötigt nicht nur Anerkennung, sondern auch Unterstützung: Über diesem Feld, der zu einem guten Teil die Lebendigkeit unseres städtischen Umfeldes ausmacht, wird nie die güldne Sonne des „ersten Arbeitsmarktes" aufgehen. Denn die Grundfinanzierung von Projekten in diesem Bereich ist so gering, daß auch bei guten Einnahmen das finanzielle Risiko neuer Stellen nur ganz selten eingegangen werden kann. Schon die wenigen Festangestellten sind im Regelfall sträflich unterbezahlt. Die gegenwärtige „Förder"-politik des Senats verschärft die Lage: Die Stellen in öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen sind blokkiert, weil jede mögliche Stelle eingespart oder aus dem Personalüberhang besetzt werden muß. Und die Entscheidung, als Freiberufler im Kulturbereich zu arbeiten, programmiert den Weg zum Arbeitsamt – wenn nicht der gutverdienende Lebenspartner oder die reiche Oma vorhanden ist.

Die Frage ist berechtigt, ob das Modell ABM mit seinen Bürokratismen und seiner ausschließlichen Orientierung an den Arbeitslosenstatistiken der zukunftweisende Weg ist. Die Debatte muß verbunden werden mit der Frage nach der Zukunft der Arbeit – und der nach ihrer individuellen und gesellschaftlichen Nützlichkeit. Und die läßt sich nicht einfach in Geldwert benennen. Die große Aufgabe ist die Suche nach einem Modell, in dem die Chancen, die ABM für den einzelnen Menschen bietet, sich verzahnen mit den Aufgaben des gesellschaftlich nützlichen und notwendigen Non-Profit-Bereichs.

Die unselige Roland-Koch-Debatte „Stelle statt Stütze" mit ihren Zwangsmaßnahmen und Diskriminierungen erschwert diese Suche. Eine Idee wie die des Politologen Peter Grottian könnte aber weiterführen: Jeder Arbeitslose sucht sich selbst eine sinnvolle Betätigung, die ihm dann auch bezahlt wird. Grottian weist nach, daß sein Modell nicht teurer ist als das der Sozial- und Arbeitsämter. Man wird auch in Zukunft nicht umhinkommnen, öffentliche Mittel in den Beschäftigungssektor zu stekken. Warum dann nicht gezielt dorthin, wo er gleichzeitig gesellschaftlich nützlich ist?

Wir selbst müssen uns in die Entwicklung von Modellen einmischen, ehe Herr Koch das für uns erledigt. Berlin und die „neuen Bundesländer" sind von dem Problem besonders betroffen. Die Bundesregierung sitzt hier, und Berlin hätte mit seinen roten SenatorInnen für Arbeit, Soziales und Kultur gute Chancen, sich in dieser Diskussion als Pfadfinder zu erweisen.

Dorothea Kolland

Die Autorin ist Leiterin des Kulturamtes Berlin-Neukölln

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