Ausgabe 05 - 2002 berliner stadtzeitung
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Spitze Feder, unangepaßte Meinung, äußerst trinkfest

Vor 20 Jahren starb die Schriftstellerin Irmgard Keun

Eigentlich hatte es so ausgesehen, als ob der jungen Irmgard Keun eine glänzende Karriere als Schriftstellerin bevorstünde. 1931 war ihr erster Roman Gilgi ­ eine von uns erschienen, 1932 gleich der zweite ­ Das kunstseidenene Mädchen ­ nachgefolgt. Beide Romane hatten sofort Erfolg in Buchhandlungen und Leihbüchereien, Irmgard Keun hatte mit den Lebensgeschichten ihrer beiden Hauptfiguren den Nerv der Zeit getroffen ­ Gilgi und das „kunstseidene Mädchen" Doris sind kleine Angestellte, die nach einem Leben jenseits der bürgerlichen Frauenideale von Ehe und Mutterschaft streben. Keuns Sprache besticht durch ihre schnodderige Art, teils ironisch, teils respektlos beschreibt sie, wie sich Gilgi und Doris durchs Leben schlagen und sich nicht unterkriegen lassen. Sie setzt das um, was Doris äußert: „Und ich denke, daß es gut ist, wenn ich alles beschreibe, weil ich ein ungewöhnlicher Mensch bin. Ich denke nicht an Tagebuch ­ das ist lächerlich für ein Mädchen von achtzehn und auch sonst auf der Höhe. Aber ich will schreiben wie Film, denn so ist mein Leben und wird noch mehr so sein." Aus der provinziellen Enge der Kleinstadt nach Berlin geflohen, um hier ein „Glanz" zu werden, muß Doris am Schluß des Buches feststellen, daß es einfacher ist, Prostituierte zu werden, doch der Roman ­ unzweifelhaft eine seiner Stärken ­ läßt Doris' Zukunft offen, Keun verzichtet auf einen einfachen Lösungsvorschlag.

Irmgard Keun, die 1905 in Berlin geboren wurde, in Köln aufwuchs, aber zur damaligen Zeit schon wieder hier lebte, hatte es ab 1933 schwer. Ihre Bücher wurden als „Asphaltliteratur" verunglimpft, die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer ihr verwehrt, Publikationsmöglichkeiten ebenso. Sie verachtete die Nazis und hatte nicht vor, ihre Meinung zu verschweigen. Sie ging ins Exil, 1936 fuhr sie nach Oostende, lebte später in Holland. Durch Egon Erwin Kisch, den „rasenden Reporter", lernte sie dort Joseph Roth kennen, den aus Galizien stammenden Feuilletonisten und Romancier. Beide verband nicht nur ihre schriftstellerische Tätigkeit und ihre Exilsituation, sondern auch ihre gemeinsame Liebe zum Alkohol. Für anderthalb Jahre lebten, schrieben und soffen sie zusammen. „Wenn Du sie kennenlernst, werde ich mich sehr freuen, aber besauf Dich nicht dabei, die beiden trinken wie die Löcher", mit diesen Worten kündigte Kisch einen Besuch des Paares bei seinem Bruder an.

Die Möglichkeiten jedoch, durch Schreiben Geld zu verdienen, waren bescheiden. Zwar konnte Keun zwischen 1936 und 1939 einige Bücher in renommierten Exilverlagen wie Querido publizieren ­ darunter Nach Mitternacht, eine kritische Auseinandersetzung mit Nazideutschland und den Deutschen, an deren Ende die Flucht steht ­ aber Keun, die als Schriftstellerin so sehr an die deutsche Sprache gebunden war, fehlte der Erfolg beim Publikum.

1938 trennt sie sich von Roth, 1940 muß sie untertauchen, als die deutschen Truppen nach Holland vorrücken. Die in einer deutschen Zeitung erschienene Mitteilung über ihren Selbstmord nimmt sie zum Anlaß, um illegal nach Köln zu ihren Eltern zurückzukehren, bei denen sie sich bis Kriegsende versteckt hält. Aber auch nach dem Krieg gelingt ihr der Wiedereinstieg als Schriftstellerin nicht. Sie schreibt noch einen Roman, ein paar Satiren, in denen sie mit ätzendem Ton besonders die gewendeten Nazis aufs Korn nimmt, dann wird es still um sie. Immer stärker wird ihr Alltag vom Alkohol dominiert, ab 1966 lebt sie für sechs Jahre im Landeskrankenhaus in Bonn. Wenige Jahre vor ihrem Tod im Mai 1982 erlebt sie ihre Wiederentdeckung, ihre Bücher werden wiederaufgelegt, sie wird zu Lesungen eingeladen, gibt Interviews, steht für kurze Zeit erneut im Rampenlicht. Verwurzelt in der deutschen Nachkriegsgesellschaft hat sie das nicht mehr.

Viele Jahre nach dem Erscheinen einer rororo-Monographie über Joseph Roth scheint man sich nun bei Rowohlt gesagt zu haben, daß es an der Zeit sei, Irmgard Keun aus seinem Schatten zu befreien und ihr eine eigene Monographie zu widmen. Hiltrud Häntzschel hat dabei nicht nur die alkoholskandalumwitterte Exzentrikerin, sondern vor allem das Werk der Irmgard Keun im Blick, dem sie in ihrer Darstellung den gebührenden Platz einräumt. Ein lobenswertes Unterfangen, denn Anekdoten aus dem Leben der Keun versammelt der 1995 von Heike Beutel und Anna Barbara Hagin besorgte Band über Irmgard Keun schon genug (wie die über den Taxifahrer, der dafür sorgte, daß die Keun auch in besoffenem Zustand nach Hause kam).

Häntzschels Darstellung überzeugt durch ihre sachliche Art, die Respekt vor der Person mit Sympathie für das Werk verbindet. Bleibt anzufügen, daß vor 20 Jahren in Köln mit der Schriftstellerin Irmgard Keun auch eine der bekanntesten Trinkerinnen der deutschen Literaturgeschichte gestorben ist.

Carola Köhler

Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen. Ullstein Taschenbuch Verlag, Berlin 2001. 7,45 Euro

Irmgard Keun: Nach Mitternacht. Ullstein Taschenbuch Verlag, Berlin 2002. 7,95 Euro

Heike Beutel/Anna Barbara Hagin: Irmgard Keun. Zeitzeugen, Bilder und Dokumente erzählen. Emons Verlag, Köln 1995. 11 Euro

Hiltrud Häntzschel: Irmgard Keun. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2001. 8,50 Euro

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