Ausgabe 05 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berliner Provisorien ­
subkulturelle Zwischennutzungen

Berlin profitiert von der Subkultur,

nur haben möchte man sie dann doch nicht

Junge Menschen auf der ganzen Welt denken an brodelndes Nachtleben und pulsierende Clubkultur, wenn die Rede auf Berlin kommt. Unzählige besuchen die Stadt deswegen, viele bleiben hier, bringen neue Ideen mit und setzen sie um. DJ Best tat dies vor vielen Jahren und steht heute hinter den angesagtesten Plattentellern der Szene. Noch gefragter sind Jazzanova, für die er im Sonarkollektiv weltweit Auftritte bucht – Berlin rockt Tokio. Doch Revolutionen fressen gerne ihre Kinder, und heute konstatiert er einen Tiefpunkt der Berliner Jugendkultur. „Einrichtungen wie Love Parade oder KissFM haben mit der Stadt nichts mehr zu tun." Eine Entwicklung, die – nicht zuletzt aufgrund wirtschaftlicher Zwänge – zunehmend auch Clubs erfaßt. Gewachsene Gemeinschaften werden von Betreiberkonzepten verdrängt, in denen Barkräfte und Türsteher nur noch Angestellte sind und Künstler über Agenturen geordert werden – die Gentrifizierung des Undergrounds: „Die Schnellebigkeit der Áusgeh-Elite' und ihre Fixierung auf Neues machen es festen Clubs schwer. Für die Premiere der neuen Jazzanova-Platte in between war das `Steinhaus' der einzig geeignete Laden." Die Zukunft liegt wohl eher in Zwischennutzungen, die ihr Publikum mit Mailinglisten und SMS-Ketten ansprechen. Darin sieht Best aber auch Positives: „Gerade befristete Projekte haben den typischen Berliner Charme, mit wenig Aufwand einen schönen Abend zu kreieren."

Damit könnte er beispielsweise Achim und Daniel meinen, die ebenfalls von außerhalb kamen, um den Berliner Lebensstil auszuprobieren. Seit einiger Zeit aber registrieren sie zunehmende Selbstbezogenheit und nachlassende kulturelle Vielfalt der viel gerühmten Subkultur. So kam es ihnen gerade recht, als sich durch ein DJ-Engagement die Gelegenheit bot, ihre Vorstellungen von Programm und Einrichtung umzusetzen. Dank der Toleranz des Hauseigentümers konnten sie das „Helsinki" in Mitte unabhängig von amtlichen Auflagen betreiben. Die Frage, alle erforderlichen Konzessionen einzuholen, stellte sich nicht: „Der temporäre Charakter des Projekts sowie der bauliche Zustand des Gebäudes hätten das nicht erlaubt." So konnte auch die Vermarktung nur über Mundpropaganda realisiert werden, was für eine angenehme Mischung des Publikums sorgte. All dies führte zu so starkem Zuspruch, daß dem Hauseigentümer die Sache nach zwei Monaten zu heiß wurde ­ nun sind die Helsinkis wieder auf Raumsuche (Angebote erbeten an die Internetadresse am Artikelende). Doch ohne Businessplan und Investor scheint der Betrieb eines Clubs nicht mehr möglich zu sein. Die Schuld daran geben die Helsinkis nicht zuletzt der Stadt, „die ja von Leuten wie uns, die den Ruf Berlins mittragen, profitiert." Dies zeigt sich deutlich an den neuen Eigentümern des Hinterhauses des Ex-Helsinki: eine Werbeagentur.

Clubs sind öffentliche Räume, meinen die Hesinkis und betonen, daß sie auf diese Weise Lebensqualität schaffen ­ eine soziale Komponente, die von den Verwaltungen mit nichts anderem als unflexiblen Regularien und kafkaesker Bürokratie beantwortet wird. Hilfe bei der Vermittlung nutzbarer Räume gibt es kaum, und auch bei privaten Immobilieneigentümern stießen die Helsinkis auf taube Ohren: „Anscheinend glauben die, wir wollen nur ihre Räume runterfeiern, mit Drogenexzessen und allem, was sie sich sonst so vorstellen." Dabei hat jede Nutzung auch einen instandhaltenden Effekt.

Auch DJ Best, der den Berliner Be-hörden schon prinzipielle Toleranz attestiert ­ „im Gegensatz zu Cottbus beispielsweise, wo Läden schon aufgrund zu geringer Treppenbreite dichtgemacht werden" ­ wünscht sich eine bessere Kommunikation mit der Stadt. Interkulturelle Potentiale sollten besser genutzt, Festivals und Zwischennutzungen aktiv unterstützt werden. Hier bieten sich Sanierungsobjekte an, eine
solche Nutzung war kürzlich in der Raumerstraße 1 in Prenzlauer Berg sehr erfolgreich ­ wenn auch nur für eine Nacht. Es wäre an der Zeit, daß Berlin endlich seine vorhandenen Potentiale nutzt, anstatt sie durch ständige Behinderungen vor immer neue Schwierigkeiten zu stellen ­ Best: „Da besteht eine Art Haßliebe" ­ denn viel mehr Kapital als den (noch) vitalen Subground hat die Stadt nicht mehr. Daß sich dies in den Amtsstuben jedoch immer noch nicht herumgesprochen hat, zeigt sich auch an den jüngsten Schließungsrazzien gegen „Hangar" und „Deli". Letztere stehen wohl auch im Zusammenhang mit den dortigen Bauvorhaben ­ denn für Bürobauten ist immer noch Platz. Nur von einer ehemaligen Clubnutzung will man hinterher nichts gewußt haben (siehe scheinschlag 1/02 „Endzeit an der Eastside"). Zusätzlich graben von der Subkultur angelockte Unternehmen eben dieser das Wasser ab, wie beispielsweise das Universal Music Projekt nebst Retortenclub. So öffnet sich die Schere zwischen Untergrund und Kommerz. Die Frage ist, wie viele junge Menschen sich von dieser Sponsorenkultur angesprochen fühlen werden und Lust verspüren, ihre Träume in einem Berlin der Yuppiewärmstuben und versnobten Kleinkunst zu verwirklichen.

michael welskopf /mark mcguire

www.dashelsinki.de, www.sonarkollektiv.de, www.jazzanova.de,
Jazzanova-Radioshow auf Radio Multikulti zweiwöchentlich Sonntag 22 bis 24 Uhr

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