Ausgabe 05 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Staatsrat ohne Staat

Das Staatsratsgebäude soll den Bürgern der Stadt offen stehen

Das Streiten um den Schloßplatz und um die historische Mitte ist in Berlin mittlerweile zum beliebten Gesellschaftsspiel geworden. Nur daß die Spielerpositionen, die Feindberührungen und der gesamte Spielverlauf derart festgelegt sind, daß es die meisten Berliner längst leid sind, noch länger zuzusehen. Nun hat die Debatte, welches Symbol und welche Nutzung für diesen Ort würdig wären, eine weitere Facette hinzugewonnen: Die Frage nach der Nutzung des ehemaligen Staatsratsgebäude. Vielleicht liegen hier neue Chancen, jenseits von ideologischen Grabenkämpfen einen angemessenen Umgang mit dem politischen Erbe des Ortes zu finden und gleichzeitig eine adäquate, zeitgemäße Nutzung zu ermöglichen.

Die Adresse Schloßplatz 1 ist nun einer privaten Investorengruppe angeboten worden. Der regierende Bürgermeister Klaus Wowereit setzt sich dafür ein, daß eine neue Hochschule der Wirtschaft in das Gebäude einzieht. Weil 30 Großunternehmen die Ausbildung an den staatlichen Hochschulen kritisieren, wollen sie mit einem Stiftungskapital von über 100 Millionen Euro eine eigene Elite-Uni betreiben. In der Standortfrage für das „Prestigeprojekt" hat Berlin gegenüber München den Vorzug bekommen. Noch in diesem Herbst soll die European School for Management & Technology (ESMT) gegründet werden.

In dieser Situation des vermeintlichen Berliner Verhandlungserfolges präsentiert die Expertenkommission Historische Mitte Berlin ihren Abschlußbericht. Das Stadtschloß, beziehungsweise dessen architektonische Hülle, soll rekonstruiert, der Palast der Republik abgebrochen und das Staatsratsgebäude zu einem Haus der Begegnung gemacht werden. Für letzteres haben verschiedene Organisationen schon Interesse bekundet. Die staatlichen Museen, die Zentral- und Landesbibliothek und das Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität wollen gemeinsam das Konzept vom Haus der Begegnung verwirklichen und eine Vorschau auf das geben, was in Zukunft unter dem Dach des neuen Schlosses versammelt werden soll. Bundesbauminister Bodewig hat bisher lediglich verkündet, daß eine Entscheidung über die Zukunft des Staatsratsgebäudes noch nicht gefallen sei. Vom betroffenen Bezirk Berlin-Mitte gibt es noch keine öffentliche Stellungnahme zur zukünftigen Nutzung. Stadtbaurätin Dorothee Dubrau betont aber, daß diese möglichst bald festgelegt werden müsse und das Haus nicht jahrelang leerstehen dürfe.

Das Gebäude, um das es geht, war einmal von immenser politischer Bedeutung und ist noch heute Zeichen der politischen Umbrüche der Stadt und des ganzen Landes. Zwischen 1962 und 1964 als Regierungsgebäude der DDR errichtet, wurde es bis 1989 als solches genutzt. Der asymmetrisch in der modernen Fassade sitzende barocke Eingangsrisalit ist das Lustgartenportal des 1950 gesprengten Schlosses, von dessen Balkon Karl Liebknecht am 9. November 1918 die Republik ausrief hat. Nach der Wende war das Staatsratsgebäude provisorischer Sitz des Bundeskanzleramtes. Seit dem Umzug Ger-hard Schröders ins Regierungsviertel scheint das Kapitel staatlicher Repräsentation am Schloßplatz abgeschlossen. Mit der Vergabe des Hauses an die Stiftungsuniversität der Wirtschaft würde die Entpolitisierung des Ortes besiegelt.

Wie die Hochschule organisiert werden soll, haben die Organisatoren der Öffentlichkeit noch nicht präsentiert. Man weiß nur, daß ca. 60 Professoren ausgewählte Studenten aus deutschen und internationalen Unternehmen und Universitäten betreuen sollen, und fragt sich, wie das dafür nötige Raumprogramm im Staatsratsgebäude untergebracht werden kann. Größere Eingriffe in das Gebäude, das unter Denkmalschutz steht, wären absehbar.

Als Köder müssen das Staatsratsgebäude und seine prominente Adresse nicht mehr herhalten. Denn die Entscheidung der ESMT-Stifter für den Standort Berlin ist bereits gefallen. Und die Stadt hat genügend andere Gebäude im Angebot, die der kommenden Bildungselite offeriert werden könnten. Wissenschaftssenator Thomas Flierl schlägt die Alte Münze oder das Schloß Schönhausen vor, der Generaldirektor der Staatlichen Museen, Peter-Klaus Schuster, plädiert für das ehemalige Haupt-Telegrafenamt in der Oranienburger Straße.

Städtebaulich sinnvoller als der Einzug einer Elite-Universität ist zweifelsohne das von der Expertenkommission Historische Mitte Berlin erarbeitete Konzept. Mit Ausstellungen, Filmvorführungen und Vorträgen würde ein Haus der Begegnung schon bald Leben an den Schloßplatz bringen und eine vielfältige Nutzung ermöglichen. Größere bauliche Veränderungen könnten dem Staatsratsgebäude erspart bleiben. Zudem ließe sich das Projekt vergleichsweise kurzfristig umsetzen.

Doch der politischen Bedeutung, die dem Bau durch seine frühere Funktion ebenso anhaftet wie durch die gewollte Symbolik der Fassadengestaltung mit dem Schloßrudiment, würde mit der vorgeschlagenen, vorwiegend kulturellen Nutzung kaum entsprochen. Das Staatsratsgebäude dokumentiert zwei unterschiedliche politische Systeme und die damit verbundenen gewaltsamen gesellschaftlichen Brüche. So verständlich der Rückzug der Regierung aus dem Gebäude ist, sollte die künftige Nutzung auf die politische Dimension des Ortes Bezug nehmen. Als historisches Dokument hat das Haus eine ebenso große Bedeutung wie das von vielen geforderte Stadtschloß und es könnte, anders als der Palast der Republik, frei vom Verdacht der schlichten Anknüpfung an eine umstrittene Ideologie politisch neu bestimmt werden. Das Staatsratsgebäude sollte Akteuren zugänglich gemacht werden, denen es bisher nicht offen stand – den Bürgern der Stadt und der Republik. Verschiedene Ausstellungen und Vorträge in den letzten Jahren gaben bereits einen Vorgeschmack, was der „Staatsrat" für Berlin sein könnte: ein Ort der Bildung und Information, ein Zentrum der Kommunikation und der politischen Arbeit, nicht zuletzt ein Forum gesellschaftlicher Öffentlichkeit.

Christian Federmair

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