Ausgabe 05 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Der Stylist aus Düsseldorf

Der Wurstmensch ist in Polen entstanden, höchstwahrscheinlich infolge von genetischen Manipulationen. Der Erfolg der verantwortlichen polnischen Wissenschaftler ergab sich aus der Mischung zweier Elemente, die hierzulande öfter zu ausgezeichneten Effekten führen ­ aus Enthusiasmus und Verzweiflung. Dies waren die Eltern des Wurstmenschen. Taufpate stand natürlich die Mafia. Es ging um das große Geld, das der Schmuggel der polnischen Wurst einbringen sollte. Doch der Prototyp des Wurstmanns geriet an der deutsch-polnischen Grenze außer Kontrolle, floh und landete in Berlin. Für den Wurstmenschen begann der Alltag.

Die Spezialisten vom Arbeitsamt waren ratlos. Während sie sonst eigentlich fast alles an den deutschen Markt anpassen können, standen sie in diesem Fall völlig ratlos da. Weder gelang es dem Arbeitsvermittler, abschließend festzustellen, in welche berufliche Tätigkeit der Wurstmensch vermittelt werden könnte, noch welche Maßnahme der aktiven Arbeitsförderung für ihn in Betracht kommen könnte. Die Lage war gespannt.

Doch schließlich fiel dem Vermittler doch noch ein, was in dieser Situation zu tun sei: eine Eignungsfeststellung! Es kam zu folgendem kurzen Dialog.

­ Diese Maßnahme, Herr Wurstmann, dient dazu, Ihre Kenntnisse, Fähigkeiten, Ihr Leistungsvermögen und Ihre beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten zu ermitteln ...

­ Ja, natürlich ...

­ ... sowie andere, für Ihre Eingliederung wichtige Umstände.

­ Danke.

­ Darüber hinaus haben Sie eine zusätzliche Chance.

­ Wie bitte?

­ O.k. Ich verrate Ihnen ein wenig ­ der Stylist aus Düsseldorf kommt!

Der Wurstmensch zeigte sich begeistert ­ obwohl er nicht die blasseste Ahnung hatte, wer dieser Stylist aus Düsseldorf sein sollte. Franz von Assisi, Heraklit aus Abdera, Mutter Teresa aus Kalkutta waren ihm bekannt, nebst sämtlichen Revolverhelden aus Oklahoma. Aber diese Persönlichkeit aus Düsseldorf ­ keinesfalls. Darüber begann sich der Wurstmensch zu grämen. Und er grämte sich bis zum Abend, in der Nacht und am Morgen gleich nach dem Aufwachen. Er hätte sich noch länger darüber Sorgen machen können, wenn er nicht um 9 Uhr pünktlich zum Erstgespräch bei der Trainingmaßnahme hätte erscheinen müssen. Andernfalls hätten ernsthafte Konsequenzen gedroht.

Der Arbeitsvermittler klärte den Wurstmenschen umgehend über seine Rechte und Pflichten auf, und wie üblich bestanden die Rechte und Pflichten ausschließlich aus ihrem zweiten Teil.

Abschließend stellte er fest, der Wurstmensch besäße zwar viele Fähigkeiten und Kenntnisse, jedoch sei keine einzige davon für den deutschen Arbeitsmarkt nützlich. „Ich sehe für Sie als einzige Möglichkeit die Produktionsarbeit", bedauerte er, „aber endgültig wird erst der Stylist aus Düsseldorf über ihre Zukunft entscheiden."

Und am nächsten Tag erschien ER. Der Stylist! Die Teilnehmer der Maßnahme guckten ihn hoffnungsvoll an und tuschelten. „Das ist er", flüsterte die Köchin Kerstin. „Der wirkt tatsächlich hochintelligent", kommentierte Hans-Peter, Betonbauer von Beruf.

In Wirklichkeit sah der Stylist aus Düsseldorf ziemlich normal aus, so wie alle vielversprechenden junge Leute ­ gelierte, blond gefärbte Harre, goldener Ring am Ohr, schwarzes Sakko von Boss, dunkelrote Lederhose. Was ihn von durchschnittlichen Menschen unterscheiden sollte, waren seine außergewöhnlichen Kompetenzen. Und das bestätigte sich auch: Der Stylist wußte sofort, was bei jedem einzelnen einer geglückten Anstellung im Wege stand. Kerstin, die Köchin zum Beispiel, müßte sich nur die Haare bunt färben und bei Vorstellungsterminen den Chef vom Thema „Alter" ablenken. Damit stünde ihrem beruflichen Erfolg nichts mehr im Wege. Hans-Peter, der Betonbauer ­ „sicheres Auftreten üben, um dem Arbeitgeber zu zeigen, wie viel man kann." Nur ­ leider war Hans-Peter von Geburt an ein Vollidiot.

Einzig für den Wurstmenschen gab es nichts. Bedauerlicherweise. Obwohl der Pole aus Wurst ein offensichtlich gutaussehender Typ war und über einen knackigen Arsch verfügte, was angeblich die Frauen so mögen. Was für ein Pechvogel!

Herman

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