Ausgabe 05 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berliner Wohnungswirtschaft ­
etwas für Visionäre

Die Berliner Wohnungsbaugesellschaften sind überschuldet – zu große Teilen ein hausgemachtes Problem

Größere und kleinere Finanzdebakel sind in Berlin mittlerweile an der Tagesordnung. Die einzelnen Brandherde scheinen die öffentliche Aufmerksamkeit kaum mehr längere Zeit in Anspruch zu nehmen. Entsetzten sich die Parteien im Abgeordnetenhaus vor wenigen Wochen noch einhellig, die zweite „Bankgesellschaft Berlin" stehe ins Haus, sind die Schlagzeilen zu diesem Thema bereits wieder aus der Presse verschwunden. Anlaß der Panik war der Geschäftsbericht der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsbaugesellschaften: Die 16 Berliner Wohnungsbaugesellschaften sind überschuldet. Auf rund zehn Milliarden Euro belaufen sich die Verbindlichkeiten gegenüber den Banken. Knapp die Hälfte der Kredite haben die Unternehmen bei der Bankgesellschaft aufgenommen. Das bedeutet neue Milliardenrisiken für den Berliner Haushalt. Denn für die Verbindlichkeiten haftet durch Bürgschaften das Land Berlin.

Im Gegensatz zur Bankgesellschaft stünden bisher noch keine Konkurse ins Haus, sagte der Finanzexperte der Grünen, Jochen Esser, gegenüber der taz. Die Schulden seien langfristig zu bezahlen. Die Katastrophe seien jedoch die ständig steigenden Verluste.

Berlinweit müssen die Gesellschaften mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen für Zinsen und Tilgungen ausgeben. Die größten Probleme haben die Wohnungsbaugesellschaften im Osten. Die WBG in Marzahn hatte im Jahr 2001 fast 800 Millionen Euro Schulden und konnte nur durch eine Übernahme der DeGewo gerettet werden. Die Howoge in Hohenschönhausen investiert 78 Prozent ihrer Einnahmen in die Tilgungen ihrer Kredite.

Die Misere, die Berlin jetzt beklagt, ist jedoch zu einem guten Teil hausgemacht. Zum einen wurden die Wohnungsbaugesellschaften in den letzten Jahren wirtschaftlich ausgeblutet, um kurzfristig Haushaltslöcher zu stopfen. Denn um die Forderungen aus den sogenannten In-sich-Geschäften in die Landeskassen zu zahlen, mußten die Gesellschaften hohe Kredite aufnehmen. 1,5 Millionen Euro hat das Land zwischen 1995 und 1997 aus den öffentlichen Gesellschaften gezogen. Das Konzept kommt etwa der Idee gleich, die eigene Hand zu essen, um den Magen zu füllen.

Zum anderen ist der Wohnungsbau allgemein in der Schieflage. Ein entscheidendes Problem liegt im Leerstand in Beständen der Wohnungsbaugesellschaften, wovon die Unternehmen im Osten am stärksten betroffen sind. Denn der Leerstand reißt langfristig Löcher in die Kassen. Einerseits fallen für leere Wohnungen weiterhin Betriebskosten an, andererseits fehlen Einnahmen, die die Wohnungsbaugesellschaften dringend bräuchten, um Schulden abzubezahlen.

Doch die Klage über rund 14 Prozent Leerstand in Marzahn und Hellersdorf klingt paradox, wenn man bedenkt, daß die Berliner Städtebaupolitik der letzten zehn Jahre sowohl ein Überangebot an Wohnungen im Speckgürtel produziert hat, als auch das Image der Hochhaussiedlungen geradezu mutwillig diskreditierte. Aufgrund überhöhter Wachstumsprognosen hatte der Senat Anfang der neunziger Jahre die Weichen für neuen Massenwohnungsbau an der Peripherie gestellt. In Neubaugebieten wie Karow-Nord oder Buchholz sollten ursprünglich 70000 neue Wohnungen auf der grünen Wiese entstehen. Bis 1997 wurden 33000 davon gebaut ­ mehr, als in den siebziger Jahren in Hellersdorf und Marzahn hochgezogen wurden. Das Konzept lautete: Weg von der unattraktiven Großsiedlung, hin zur „Parkstadt" mit möglichst traditionellem Stadtgrundriß, kleineren Miethäusern und individuellen Haustypen. Später folgte der Paradigmenwechsel zur Eigenheimförderung. Beides ignorierte die leeren Wohnungen in den vorhandenen Beständen. Das ganze nannte sich allem zum Trotz „nachhaltige Stadtpolitik". Nachhaltig hieß, daß eine Stadt mit „erlebbaren" räumlichen Qualitäten entstehen sollte. „Durchmischung" und neue „Urbanität" versus seriell gefertigte Großsiedlung. Doch wie soll eine durchmischte und vor allem „nachhaltig" funktionierende Stadt entstehen, wenn ganze Stadtviertel auf Grund ihrer Bauart zur Unkultur erklärt werden? Wirken die Kolonnen von WBS 70 nicht gerade dann besonders trist ­ geradezu lächerlich ­ wenn direkt neben ihnen die weißgetünchten Eigenheime beginnen? Nördlich des Bezirks Reinickendorf konnte die Verwaltung vor einigen Jahren gerade noch verhindern, daß zwischen der Plattenbausiedlung Velten Süd und angrenzendem Wohnpark eine Mauer gezogen wurde. Die gebetsmühlenartige Diffamierung der Platte fördert die Segregation, den Leerstand und den langfristigen Niedergang solcher Viertel.

Nun sollen in Marzahn und Hellersdorf voraussichtlich punktuell Häuser abgerissen werden ­ um das Überangebot wieder zu verknappen und die inzwischen verödeten Wohnungsbestände vom Markt zu nehmen.

Großflächige Abrißaktionen schließt der Bausenat jedoch aus. Auch der Mieterbund meint, daß die Leerstands-problematik nicht allein durch Abbruch gelöst werden kann. Stattdessen setzt er auf Qualitätsverbesserung – von welchem Geld auch immer. Der CDU-Abgeordnete Kaczmarek schlägt vor, die überschuldeten Gesellschaften zu einer Holding zusammenzuschließen. Ein Schritt, der keine einzige zusätzliche Mark bringe, hält Bert Flemming, Vorsitzender des Vermögensausschusses, entgegen. Manche setzen Hoffnung in effektivere Managementstrukturen innerhalb der Wohnungsbaugesellschaften. Der Bausenat dagegen meint, nur mit Bundeshilfe seien die Schulden der öffentlichen Unternehmen noch zu bezahlen.

Nur Visionäre setzen auf die Renaissance der Platte. Es gibt zur Ächtung des Massenwohnbaus bereits eine Gegenbewegung. Was die einen noch als unzumutbare Häßlichkeit empfinden, gilt den nächsten schon als Kult. Die aufmerksamen Auslandskorrespondenten der New York Times meinen sogar, in der Berliner Kreativ-Szene einen regelrechten Trend zu dem entdeckt zu haben, was sie „plaht-en-boughs" nennen. Trendy sind allerdings bestenfalls repräsentative Adressen wie die Leipziger Straße oder die Karl-Marx-Allee. Doch wird diese Begeisterung auch Marzahn erreichen? Oder die Gropiusstadt? Immerhin gibt es bereits ein Plattenbau-Quartett. Der Architekt Cornelius Mangold hat das Kartenspiel auf den Markt gebracht. Die erste Auflage war bereits nach kurzer Zeit vergriffen.

Tina Veihelmann

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