Ausgabe 05 - 2002 berliner stadtzeitung
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Heilserwartung Bürgerinitiative

Im ehemaligen BVG-Depot, späterer Multikulti-Location Jam und heutiger Arena tagte am 7. und 8. Mai ein Großkongreß. Titel der Veranstaltung: Die Soziale Stadt. Eingeladen hatte Bundesbauminister Kurt Bodewig und das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu). 1500 Teilnehmer waren gekommen. Grund des immensen Andrangs war eine erste Bilanz des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt", das Rot-Grün 1999 ins Leben gerufen hatte. Das Programm, das in Berlin als „Quartiersmanagement" von sich reden machte, richtet sich an „benachteiligte" Stadtteile. Anstelle traditioneller Städtebauförderung soll ein neues Modell greifen, das mit diversen, mehr oder minder schwammigen Begriffen beschrieben wird. Da-zu zählt: „Empowerment der Bewohnerschaft", „integrierte Stadtteilentwicklung" und „ganzheitliches Verwaltungshandeln"(!). Erklärtes Ziel ist es, neue „Rahmenbedingungen für einen sozialen Ausgleich" zu schaffen. Im Kern geht es darum, Bürgerinitiativen zum Engagement für ihr soziales Umfeld zu animieren und gegen Verwahrlosung vorzugehen. Vor Einführung des modernen Vokabulars hätte man die meisten Maßnahmen, etwas schlichter, als Sozialarbeit bezeichnet. Dabei soll das Programm nicht weniger als ein Pilotprojekt sein, das die gesamte Stadterneuerungspolitik reformieren könnte (Publikation: Die Soziale Stadt, Difu). 22 Modellprojekte in 123 Städten gibt es mittlerweile bundesweit. Über ihren Erfolg sollte nun eine Resümee gezogen werden.

Im Zentrum der Veranstaltung standen zwei Podiumsdiskussionen. Auf dem ersten Podium diskutierten Stadtsoziologe John Friedmann, Kulturminister Julian Nida-Rümelin, Werner Perger von der Zeit und der niedersächsischen Justizminister Christian Pfeiffer über die „Chancen für einen gesellschaftlichen Wandel". Eine zweite Runde widmete sich konkreten Projekten vor Ort: Erfahrungsberichte aus München, Leipzig und Schalke.

Es überraschte, daß die gesamte Debatte vornehmlich um drei Themen kreiselte: die Angst vor Verelendung, das Bedürfnis nach Sicherheit ­ und die Hoffnung in Bürgerinitiativen. Ob die Sicherheit ein Privileg der wohlhabenden Vorstädte sein werde, fragte Moderatorin Brigitte Bastgen (ZDF). Oder ob Sicherheit auch in den ärmeren Vierteln zu erreichen sei? Das Podium kam zu dem Schluß, daß das Sicherheitsbedürfnis meist psychologisch motiviert sei ­ ein Zeichen von Furcht vor gesellschaftlichem Abstieg. Heißt das nun, das Quartiersmanagement müsse den Bewohnern ihre subjektive Angst vor dem sozialen Abstieg nehmen?

Wenn es jedenfalls überhaupt noch einen Hoffnungsträger gibt, dann – so war man sich einig – seien das die Bürgerinitiativen. Sie allein hätten die New Yorker Bronx wieder auf die Beine gebracht, ebenso sei die Pfadfindergruppe der Kinder des niedersächsischen Justizministers schließlich und endlich dem Bürgerengagement zu verdanken. Allerdings wandte Nida Rümelin ein, daß man die Bürgerinitiativen mit solch weitreichenden Aufgaben vielleicht doch etwas überfordere – das kontinuierliche Engagement der Bürgerbewegten sei statistisch in den letzten Jahren zurückgegangen. Und taz-Redakteur Uwe Rada stellte etwas später gar die provokante Frage, ob die Hoffnung in „endogene Potentiale" (sprich: das Bürgerengagement) nicht immer dann herhalten müßte, wenn kein Geld mehr da sei: Geld für Investitionen, sozialverträgliches Wohnen oder für Sozialausgaben. Das Resümee der Zwischenbilanz zur Sozialen Stadt fiel trotz allem positiv aus: Vor allem die „Aufbruchsstimmung" in den Modellgebieten wurde gelobt. Ja, dann ist ja alles gut.

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