Ausgabe 03 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berlin 1902

21. März bis 17. April

Der Magistrat nimmt auf seiner Sitzung vom 21. März den Bericht über die in der Eingemeindungsfrage unternommenen Schritte entgegen. Es geht um die Gemeinden Lichtenberg, Friedrichsberg, Rummelsburg, Boxhagen und Treptow. Für jeden Vorort soll ein Spezialcommissar eingesetzt werden, um mit den Gemeinden zu verhandeln. Der Vertrag mit dem Unternehmer Tabbert zur Verschiffung des Hausmülls nach Spreenhagen würde am 1. April ablaufen und wird bis zum 1. Oktober verlängert. Der Grund ist, daß begründete Aussicht besteht, zur Müllbeseitigung überhaupt innerhalb der nächsten sechs Monate zum Abschluß eines Vertrages zu gelangen, der die Schließung der Ein- und Abladeplätze an der Müllerstraße und Stralauer Allee ermöglicht. Auch beabsichtigt Charlottenburg, mit dem Dörr-Schuppmannschen Schmelzofen Versuche anzustellen. Dem zur Zeit noch im Bau befindlichen Ofen werden gute Ergebnisse nachgerühmt. Die vorgelegten Bauprojekte zur Errichtung von zwei Infectionsbaracken für Frauen und Kinder in Wuhlgarten werden genehmigt, die Baukosten sind auf 225000 Mark veranschlagt.

Mit tadellos kalendermäßiger Pünktlichkeit hat zum März-Aequinoctium auch der Frühling seinen Einzug bei uns gehalten. Die von Schnee und Eis befreiten Wege des Thiergartens zeugen davon, wie die lauen Lüfte, die uns mit dem würzigen Erdgeruch umkosen, leichtes Grün leuchtet zwischen Bäumen, helle Wiesenteppiche und Millionen quellender Triebe an Bäumen und Sträuchern. Die eleganten offenen Carrossen von hohen Pferden gezogen, die leichten Wagen mit dem hurtigen Juckergespann, die Hansoms neuester Mode rollen durch die Alleen, die Pelzmäntel der Kutscher, die Pelzdecken der fahrenden Herrschaften sind verschwunden, und schon sind an einzelnen Hüten die wallenden Straußenfedern von hellschimmerndem Blumenschmuck abgelöst. In lustigen Cavalcaden durchtraben Damen und Herren die Reitsteige. Durch die Charlottenburger Chaussee, die Siegesallee und die Thiergartenstraße wogt der Corso in den frühen Nachmittagsstunden auf und ab bis hinaus zur Idylle des Neuen Sees, über dessen dunkle Wasserspiegel die ersten Ruderboote gleiten.

In diesem Westwinkel des Thiergartens wurden im Winter die letzten Rodungen vorgenommen, mit denen der frühere Stadtwald zum Park umgestaltet wird. Noch sind die Wiesenteppiche nicht gelegt, es werden Wurzelstücke ausgegraben, die wie gigantische Kettenglieder eines antidilubianischen Ochsenschwanzes auf dem bräunlichen Boden aus Humus und Sand herumliegen. Wenn das Strauchwerk gepflanzt und die Wege angelegt sind, wird für den Berliner Thiergarten erst recht eine neue Epoche als Prunk- und Zierstück Berlins beginnen. Schon heute liegt der Thiergarten längst nicht mehr „vor den Thoren Berlins", er ist der Stadtpark des Westens geworden.

Das Heft Nr. 12 der Woche erscheint am 22. März, darin finden sich Momentaufnahmen von der Blitzfahrt des Prinzen Heinrich durch Amerika, und zwar von der Gedächtnisfeier für MacKinley im Capitol zu Washington, von seinem Besuch auf den Schlachtfeldern von Chatanooga, seinem Aufenthalt in Chicago, an den Niagarafällen usw. Unter den „Bildern vom Tage" finden sich Aufnahmen vom Begräbnis des chinesischen Gesandten Yang-Yü in Petersburg, von den Kaisertagen in Bremen und Wilhelmshafen und endlich einige sehr interessante Bilder vom Sport im Bayrischen Königshaus. Ein illustrierter Artikel des Geheimen Regierungsrathes a. D. Dr. W. von Rüdiger belehrt über „Funkentelegraphie", die auf der Prinz-Heinrich-Reise angewendet wurde. In einem illustrierten Aufsatz behandelt H. von Kupffer die „Türkischen Friedhöfe", ein anderer versetzt den Leser in „Indische Tempel" der alten Tempelstadt Madura. Im Unterhaltungsteil warnt Dr. S. Saenger über die „Gefahren der allgemeinen Bildung", die Geschwindigkeit und Arten des Vogelfluges schildert Dr. Alexander Sokolowsky in einer anregenden Plauderei über „Neues vom Vogelflug".

Falko Hennig

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