Ausgabe 03 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Ökonomischer Unsinn, ästhetische Armseligkeit

Ministeriale Initiativkultur gegen die deutsche Architekturmisere

In größeren zeitlichen Abständen werden Ladenhüter der Kulturkritik gerne mal aus ihrem eingestaubten Winkel gezerrt. Die Klage über das niedrige Niveau der Architektur in Deutschland ist eines dieser gut abgehangenen, aber immer wieder populären Themen. Mancher erinnert sich vielleicht noch dunkel an das 1975 ausgerufene „Europäische Jahr des Denkmalschutzes". Nach jahrzehntelangem Kahlschlag der Altbausubstanz wurde damals zu neuer Wertschätzung des baulichen Erbes aufgerufen. Geschehen wäre in (West-)Berlin daraufhin dennoch wenig, hätte es nicht die aktive Hausbesetzerszene gegeben.

Im Oktober 2000 hat nun der inzwischen zurückgetretene und vergessene Bundesbauminister Reinhard Klimmt die „Initiative Architektur und Baukultur in Deutschland" in ihr vermutlich kurzes Leben gerufen, die nun weniger auf die Vergangenheit, als auf die Gestaltung der Zukunft abzielt. Sein Nachfolger Kurt Bodewig investiert zwar mit größerer Leidenschaft Milliarden in prestigeträchtige Verkehrsprojekte; dennoch blieb ihm kaum etwas anderes übrig, als die Initiative weiter mitzuschleppen.

Worum geht es nun konkret? Um die Verbesserung der „gebauten Umwelt", sagt der Minister. Baukultur umfaßt laut „Statusbericht zur Baukultur in Deutschland" vom Dezember 2001 „die Herstellung von gebauter Umwelt und den Umgang damit". Ist damit also die Absicht verbunden, fürderhin Monstrositäten wie den Potsdamer Platz zu verhindern oder veraltete Planungskonzepte wie das „Planwerk Innenstadt" oder das Gerümpel der Factory Outlets und Hypermärkte auf autobahnnahen grünen Wiesen? Wenn ja, wie soll dies geschehen? Wer soll welche Entwicklungen wie beeinflussen? Geht es um die Erweckung eines in Deutschland heute kaum existenten Bewußtseins für Baukunst?

Die Unklarheiten beginnen schon mit der Zieldefinition der Initiative. Bodewig geht es unverkennbar in erster Linie um die Stärkung der wirtschaftlich einst bedeutenden, heute aber schrump-fenden Bauwirtschaft und der planenden Berufe. Der Minister hat erkannt, daß die mittlerweile 109461 (Januar 2001, Tendenz steigend) bundesweit registrierten Architekten bei stetig sinkendem Auftragsvolumen nicht mehr alle voll beschäftigt sein können und die Arbeitslosenstatistik belasten. Mehr Feuilletonstoff bietet jedoch die ästhetische Seite des Themas, die in Form von guten und ebenso unverbindlichen Absichten beigepackt wurden. „Wir wollen eine hohe Wertschätzung für eine gut bebaute Umwelt in der Bevölkerung und damit auch Unterstützung für qualitätsvolles Planen und Bauen erreichen", schreibt Bodewig im Vorwort des „Statusberichtes Baukultur". Das klingt so schön, daß ihm niemand widersprechen will. Wie soll aber dieses große Ziel erreicht werden? Zunächst soll das geschaffen werden, was im Politikerjargon „Plattform für den Dialog" genannt wird. Alle Teilnehmer ­ es sind die altbekannten Lobbyisten von Bausparkassen bis zu Architektenkammern und Verbandsvertretern ­ bekennen sich auf der „Kommunikations- und Darstellungsplattform" öffentlichkeitswirksam zu ihrer Verantwortung für das gemeinsame Bewußtsein für die gebaute Umwelt und versprechen beim heiligen Eid des Vitruv, sich und die bauende Welt zu bessern.

Im Ernst glaubt aber wohl keiner der Initiativpartner an den Erfolg, was schon an so kuriosen wie rührend hilflosen Vorschlägen deutlich wird wie zum Beispiel der Idee, jährlich eine Sonderbriefmarke mit prämierten Bauten herauszubringen. Außerdem will man eine große Architekturkulturstiftung gründen, die einmal im Jahr eine Architektengala veranstaltet. Allein für die Gala wurden gleich mal gut eine Million Euro Steuergelder veranschlagt. Es fehlt auch nicht die uralte Forderung nach einem nationalen Architekturzentrum, natürlich in der Hauptstadt, mit neuen Planstellen für Baukulturexperten.

Der kleinste gemeinsame Nenner der Initiative ist die Perpetuierung des Expertendialoges mit den immer gleichen Beteiligten. Doch das Geld ist nicht gut angelegt, solange die kulturellen Ansprüche in der Bevölkerung nicht wachsen. Die hierzulande weit verbreitete Einstellung dem Bauen gegenüber kann durchaus mit den Ansprüchen an die Ernährung verglichen werden. Im reichen Deutschland herrscht unbarmherzig ALDI- und Schnäppchenmentalität. Zwar ist inzwischen jedem klar, daß die junkfood produzierende Billiglandwirtschaft kaum eßbare Lebensmittel herstellen kann, doch im Supermarkt entscheidet dann doch das Sparen- und Habenwollen, die beiden tragenden Säulen des hiesigen Lebensmodells.

Beim Bauen ist es ähnlich. Zwar wollen wir es alle schön haben, aber dann doch am liebsten nicht in der Stadt wohnen, sondern im Häuschen auf dem Lande, und das auch noch ganz billig. Auto-, Bank- und Bauindustrie machen es möglich! Daß dieses ökologisch verantwortungslose, ökonomisch unsinnige und ästhetisch armselige Verhalten auch noch per Steuererleichterung für die tägliche Autofahrt zur Arbeit gefördert wird, ist nur ein Beispiel für die Widersprüche zwischen Bau- und Stadtentwicklungspolitik. Tatsächlich stellen sich hier generelle Fragen nach dem kollektiven Anspruch an die Umwelt, die ernsthafte Konflikte provozieren könnten, würden sie nur außerhalb der gemütlichen Expertenzirkel politisch ausgetragen.

Gernot Weckherlin

© scheinschlag 2002
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 03 - 2002