Ausgabe 03 - 2002 berliner stadtzeitung
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Wir sind im guten Fall Querschießer

Kunst & Politik (III): Der Schriftsteller und Soziologe Urs Jaeggi über politische Literatur

Foto: Mathias Königschulte

„Die Rolle einer politischen Literatur heute wäre: Dagegenhalten, von den Rändern her versuchen, die satte Mitte aufzumischen. Die wichtigen Impulse kamen immer von Randgruppen oder Einzelgängern."

Urs Jaeggi, Jahrgang 1931, war von 1972 bis zu seiner Emeritierung Professor für Soziologie an der Freien Universität. Der Schriftsteller Jaeggi veröffentlichte u.a. die Romane Brandeis (1978) und Soulthorn (1990). 1999 erschien in der Berliner Edition Wewerka der Band Lange Jahre Stille als Geräusch. Der 1972 publizierte Essay Literatur und Politik bildet die Folie für das nachstehende Gespräch.

Vor genau 30 Jahren ist Ihr Essay Literatur und Politik erschienen. Wie ist das Buch entstanden?

Der Text entstand aus einem Vortrag für den Germanistenkongreß 1968 in Berlin. Der Kongreß wurde von den Studenten boykottiert, und es kam nur zu zwei Vorträgen: Einer davon war meiner, die anderen wurden niedergebuht. Für die Studenten stand damals die Literatur auf dem Prüfstand und unter dem Generalverdacht des Überþüssigseins. Es war ein Fachkongreß und ich das soziologische Mauerblümchen. Beim Wiederlesen jetzt hab' ich mich gewundert, daß viele der Thesen auch heute noch diskussionsfähig sind. Aber natürlich merkt man den Zeitgeist.

Ich habe den Eindruck, daß Sie nicht zu denen gehören, die sich '68 große Illusionen von der politischen Wirksamkeit der Kunst gemacht haben, um sich später umso lautstärker wieder davon zu distanzieren.

Das hängt stark mit meiner Sozialisation zusammen. Ich komme aus einer politisch engagierten Familie, und Literatur war immer auch etwas Politisches. Dazu kamen für mich nach dem Krieg der Existenzialismus und die Existenzialphilosophie, und da waren literarische Werke und Autoren wie Camus, Sartre, Malraux, Merleau-Ponty wichtig. Die Schriftsteller haben die richtigen Fragen gestellt. Roland Barthes hat mit Recht gesagt, daß Literatur zwar konservativ ist, aber die richtigen Fragen einbringt. Das wurde und blieb auch meine Haltung.

Auch 1968 war es abzusehen, daß früher oder später die Literatur als Literatur wieder kommen würde, daß zwar eine Zäsur stattfand, aber keine, die die Literatur endgültig wegschieben konnte. Wie auch. Ein schönes Beispiel ist Enzensberger, der gewiß nicht ohne Ironie vom Ende der Literatur geredet hat und, nachdem die Springflut von '68 vorbei war, sofort wieder voll in die Literatur, die er ohnehin nie verlassen hatte, eingestiegen ist.

Was die Schriftsteller wirklich nicht sein dürfen: Dogmatiker. Das wäre der Tod der Literatur, der echte Tod, weil es zu schlechter Literatur führt. Wenn man heute die dogmatische Antiliteratur von '68 oder die linientreuen Texte des sozialistischen Realismus liest , dann sieht man, daß die schon damals keinen Boden unter den Füßen hatten. Die Literatur kümmert sich sowieso kaum um solche Dispute. Jemand, der schreiben will, schreibt, und dann ist es entweder gute Literatur oder schlechte.

Daß man beim Schreiben keine soziologische Theorie im Vordergrund hat, ist ja klar ...

Auch nicht unbedingt eine ästhetische, obwohl dies nützlich sein kann und für das Gesamtumfeld notwendig.

Aber würden Sie die politischen Implikationen des Schreibens noch immer so einschätzen wie in dem Essay oder würden Sie der Wirkung von Literatur heute weniger zutrauen?

Eine heikle Frage: Was bewirken wir eigentlich? Was machen wir mit unseren Texten oder: Was wird mit unseren Texten gemacht? Wie weit kommen wir in einem Diskurs, der nicht nur binnenliterarisch angelegt ist?

Ich glaube schon, daß wir mit den Texten, die wir damals geschrieben haben, eine Funktion hatten. Aber man kann es eben nicht allein auf das politische Engagement einengen. Literatur braucht halt auch Autonomie, die sie verteidigt, und einen Eigensinn, den sie praktiziert. Es geht gar nicht ums Revierverteidigen, auch nicht um l'art pour l'art. Kunst ist keine Selbstzweckmaschine. Literatur beschäftigt sich mit den Problematiken der Gegenwart, einfach zwangsläuÞg. Ob man jetzt direkt mit Texten in die Politik einzugreifen versucht oder nicht, berührt wird immer auch Politisches. Die gesellschaftlichen Konþikte, Ängste, Nöte und Katastrophen, die thematisiert werden, sind im weiten Sinn alle auch politische.

In Literatur und Politik analysieren Sie Marktbedingungen und plädieren auch dafür, Autoren müßten diese mitreflektieren. Im Vergleich zu heute war die Situation freilich noch harmlos.

Die marktkritischen Positionen waren viel schroffer als heute, der eigentliche Hintergrund aber so grell noch gar nicht vorhanden, weil der Literaturbetrieb ein relativ handwerklicher und überschaubarer war. Zwischen Verlegern, Lektoren und Kritikern gab es damals ... naja, Gemeinschaft ist übertrieben ... aber es gab ein Gespräch untereinander, das heute zerfallen ist. Da hilft kein Lamentieren, da hilft nur, etwas zu machen, dagegenzuhalten, was Sie mit Ihrer Zeitschrift ja auch probieren.

Natürlich hat das Folgen. Für mich bedeutet das im Moment, daß ich es schwer habe, literarische Texte bei Verlagen unterzubringen, weil etwas anderes verlangt wird und ich das aber nicht schreiben will, weil es mich nicht interessiert. Ich will keine erzählende Literatur schreiben, das war nie meine Sache ... nicht in dem Sinne jedenfalls, wie es von den Großverlagen heute praktisch vorgegeben wird. Mit einem eher experimentellen Schreiben, das bei mir verstärkt wieder anÞng mit meinem Arbeiten im bildnerischen Bereich, ist man heute, und war es eigentlich immer, am Rande. Aber das stört mich nicht. Bewegung, Neues kommt ja eh immer von den Extremen und nicht aus der Mitte, aus dem Zentrum.

Wenn jetzt eine bestimmte Literatur favorisiert wird ... da kann man entweder mitschwimmen oder man schwimmt nicht mit, und wenn man nicht mitschwimmt, wird's schwieriger. Ein schönes grausames Bild: Alle schwimmen in die gleiche Richtung, aber so ist es ja nicht.

Manchmal habe ich zwar das Gefühl, daß es in der jüngeren Literatur keine Großkonflikte mehr gibt. Aber das liegt nicht allein an den Schriftstellern, sondern daran, daß die Gesellschaft sich so entwickelt hat, wie sie sich entwickelt hat, und daß Kunst immer mehr zum Marktfaktor geworden ist und die, die sich einbetten, natürlich belohnt werden. Das wiederum schränkt zwangsläuÞg die Ausdrucksfreiheit ein. Die Kunst wird ein Betrieb, nicht besonders lustig, nicht besonders produktiv, nicht besonders überraschend, aber er funktioniert. Es läuft. Daß es verbal oft besser läuft als kommerziell, ist Teil der new economy.

Gerade deswegen braucht es auch wieder die, die vom Rand her probieren, die Sache anders zu sehen. Daß immer wieder kleine Verlage und Zeitschriften versuchen, einen eigenen Standpunkt zu finden oder eben Schreibenden das Wort zu geben, die in den Großfeuilletons und den Großverlagen nicht unbedingt aufkreuzen ... das brauchen wir, vor allem brauchen wir die Unbequemen, Frechen.

Also doch eine Zeit, in der man mit Literatur nicht viel bewirken kann.

Da gibt es Riesenunterschiede ... Wenn man z.B. die lateinamerikanische oder die afrikanische Literatur nimmt, die natürlich sehr viel politischer ist, weil dort die Probleme auch übermächtig, handgreiflicher und faßbarer sind, dann hat man ein ganz anderes Bild. Wir, in der ersten Welt, haben einfach nicht mehr die Kälte und die Hitze, die bei den Unterprivilegierten, Gedemütigten vorhanden ist. Die können wir auch nicht künstlich herbeizaubern. Dort, wo die gesellschaftlichen Spannungen groß sind, ist die Literatur natürlich auch stärker und einflußreicher als in relativ spannungslosen Regionen.

Obwohl ... die meisten bekannten Schriftsteller Südamerikas sind von Geburt Teil einer Oberschicht und in einer Kultur groß geworden, die weit über das hinausgeht, was kulturell schon im Land verankert ist. Wenn man Borges, Fuentes, Paz nimmt, und es sind nicht die einzigen: Die haben schon eine Globalisierung hinter sich ... die Weltliteratur, die Weltpolitik, was die Bevölkerung noch lange nicht hat, und trotzdem lesen sie die Bücher und haben die Schriftsteller erheblichen politischen Einfluß. Aber das sind Gesellschaften, die noch keine gefestigte Kultur haben, und wo sogenannte Intellektuelle als Künstler tatsächlich etwas aufreißen können. Das ist in Europa vielleicht im Nachkriegsfrankreich gelungen, mit dem Existenzialismus, daß Intellektuelle auch politisch Einfluß bekommen haben. Aber das hat sich verflacht, obwohl in den romanischen Ländern und spurenweise auch bei uns noch immer Impulse kommen.

Wir sind keine Politiker und wir können auch nicht direkt in die Politik eingreifen. Unser Schreiben stellt nicht den direkten Diskurs zur Politik her, wir sind im guten Fall Querschießer. Die Frage ist: Wie intelligent macht man das? Auch: wie skeptisch? Ich bin da eher auf der skeptischen Seite, aber bei den Hartnäckigen.

Die Rolle einer politischen Literatur heute wäre: Dagegenhalten, von den Rändern her versuchen, die satte Mitte aufzumischen. Die wichtigen Impulse kamen immer von Randgruppen oder Einzelgängern. „Politische" Literatur kam z.B von den Schwarzen, die eine starke Literatur entwickelt haben in dem Moment, in dem sie angefangen haben zu fighten; sie kam von den Frauen, als sie anfingen, sich quer zu stellen, kommt überall von dort, wo eine Gruppe in der Offensive oder auch in der Defensive ist. Ohne Wut kann man heute keine substantielle Kunst machen, und das war schon immer so. Es müssen Verletzungen da sein. Daß Literatur auch ein Fight ist, das würde ich schon sagen. Man darf's nur nicht mit Moral gleichsetzen.

Und klar: Kultur vom Rand wird natürlich früher oder später absorbiert. Die Frage ist: Wie weit ist die existente Kultur aufnahmebereit, und integriert diese Kultur in einer Weise, daß sie nicht kaputtgeht. Das scheint in Deutschland schwieriger zu sein als in den romanischen Ländern Europas oder in Südamerika und selbst in den USA. Bei uns ist Literatur immer so ein bißchen, ja, eher ein bißchen seltsam, ein bißchen gefährlich ... ein bißchen angesehen, und wenn sie ganz eingeebnet ist, dann wird sie akzeptiert, dann führt, wenn Wahlen anstehen, der Kanzler Gespräche. Das sind, und alle wissen es, keine wirklichen Dialoge zwischen Politik und Literatur. Der eine benutzt den anderen. Das Gespräch hat bei uns noch nicht angefangen.

Interview: Florian Neuner

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