Ausgabe 03 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Gut, ich bereue

Sascha Anderson redet sich um Kopf und Kragen ­ eine Originaltondokumentation

Sascha Anderson stellte am 1. März 2002 sein gleichnamiges Buch im Kaffee Burger vor. Zehn Jahre nach der Aufdeckung seiner langjährigen Zuarbeit für die Staatssicherheit bringt sich Anderson – in den achtziger Jahren einer der Hauptprotagonisten der Literatur- und Kunstszene vom Prenzlauer Berg – mit seinem Buch wieder ins literarische Gespräch. Das Buch erzählt ohne autobiographischen Anspruch von Leben, Kindheit, Jugend und Erfahrungswelt Andersons bis zum Zeitpunkt seiner Enttarnung. Anstelle eines Kommentars oder einer literaturkritischen Betrachtung dokumentieren wir auszugsweise das Pressegespräch im Kaffee Burger, das mehr von Sascha Anderson verrät, als sein Buch verschweigt.

Pressesprecherin des Dumont Verlags: Das große Interesse wundert uns nicht wirklich. Ich begrüße Sie heute Abend hier im Kaffee Burger ...

(Lachen), Zwischenruf: Wer legt denn auf?

Verleger: Ich kenne Sascha Anderson seit anderthalb Jahren. Das Buch ist kein Roman, keine Autobiographie. Der Text ist das, an das wir glauben. Es ist ein sehr wichtiges Stück Literatur wie kaum ein anderes. Man sollte den Text für sich lesen, für sich werten.

Sascha Anderson (sehr leise): Ich habe da einen kleinen Text geschrieben: Vor fünf Jahren, als ich mich mit Gerhard Falkner und Bert Papenfuß autobiographisch versuchte, merkte ich, daß es nicht ging. Wir waren wandern und sprachen. Ich merkte, daß ich einen eigenen Text schreiben muß. Die Opfer spielen darin nicht die Rolle, die ihnen historisch zugemessen wird. Ich betrachte mich nicht als Historiker. Ich wurde vor zehn Jahren als Spitzel enttarnt. Ich war zu feige, mich als 100%igen Lyriker, als 100%igen Macher, als 100%igen Menschen aufzukündigen. Die letzten zehn Jahre waren nicht durch die Akten dominiert. Die Verhältnisse, die über mich hinausgingen, waren wichtig. Ich war, ich bin in Raum und Zeit zerrissen. Der Mensch zerreißt an innerer Polarisierung. Das, was ist, hat die Katastrophen anderer überlebt. Es zerfetzt mich jetzt wie einst, es läßt mich mir wiederbegegnen in meinen finstersten Stunden. Es geht nicht um Wiedergutmachen, Entschuldigen ­ es ist nichts wiedergutzumachen, zu entschuldigen. Ich kann nicht zum Hörer greifen und alle Opfer der Geschichte, Verlierer der Geschichte fragen, ob sie das erlauben, daß ich meinen Text schreibe ... Ich versuche, Herrn Spreckelsen von der FAZ zu verstehen. Ich will keine Medienschelte üben, aber was Herr Spreckelsen da aus der Live-Sendung gefiltert hat, ist ein Dramolett. Ich will die Medien nicht mit der Stasi vergleichen, aber die Motive sind immer die gleichen. Auch das unterstellte Motiv, mich als Literat reinstallieren zu wollen, ist einfach nicht machbar. „Vielleicht habe ich keine Moral, aber auch keine halbe", habe ich im Buch geschrieben, und das kann man bitte nur so verstehen, daß ich eben keine Moral hatte. Ich war ein Mensch, ein Liebender, ich war alles ganz. Das Buch heißt auch „Sascha Anderson" und nicht „Keine Alternative".

Frage aus dem Publikum: Ist das Erscheinungsdatum zehn Jahre später zu früh oder zu spät?

Anderson: Zu spät wäre nach dem Tod, zu früh vor dem Leben.

Frage: Worin lagen die Gründe für die Schwierigkeit des Schreibens?

Anderson: Ich habe vorher viel Scheiße über mein Leben erzählt, es war dann schwer, sich selbst gegenüber die Wahrheit zu erzählen.

Frage: Und was war der Grund, über sich Scheiße zu erzählen?

Anderson: Ich wollte begründen, warum ich der große Zampano bin, der alles im Griff hat.

Frage: Sind Sie sich bewußt, daß Sie Ihre Kindheit mythologisieren?

Anderson: Ich habe aufgeschrieben, woran ich mich erinnere, wenn Sie darin Mythologisierung sehen, ist das Ihr Problem.

Frage: Warum zitieren Sie im Buch so oft Novalis?

Anderson: Ja, Novalis, ich bin an ihm gescheitert. So hab' ich ihn gesehen, da lief was falsch.

Frage: Wozu das Zitategewitter?

Anderson: Also, da habe ich auch mal moderne Hilfsmittel benutzt und mir vom Computer ausrechnen lassen, daß in dem Buch nur 0,05% Zitate vorkommen. Das bißchen Zitate spricht mich von keiner Schuld frei.

Frage: Was wollen Sie denn demonstrieren mit diesem Packen an Gelehrtheit?

Anderson: Das sehe ich nicht, für Ihren Begriff der Moderne kann ich nichts.

Frage: War es schwer, einen Verlag zu finden?

Anderson: Nein, aber es war innerhalb des Verlages schwer. Ich hab' gedacht, ich schreib' einen Text, geb' den ab, aber ich hatte noch ganz schön zu tun.

Frage: Mir ist aufgefallen, wenn es in Ihrem Text um ja oder nein geht, schreiben Sie: „Ich höre mich nein sagen".

Anderson: Ja, ich habe eine Notwehrfunktion eingebaut.

Frage: Wie beurteilst du heute die Führungsoffiziere und die Stasi?

Anderson: Ich möchte das nicht beurteilen. Ich war immer überheblich, das ist ausgenutzt worden, die haben mich erzählen lassen. Man redet über Hinz und Kunz, über Freunde und Familie, Scheißdreck! Ich habe mich an der Stelle völlig überhoben ... Gehen Sie doch hin, fragen Sie sie selber! Ich hab' sie 1995 gefragt. Herr Reuter schickte mir ein Manuskript, einen Kriminalroman. Ich war Faust, er Mephisto, die völlige Umkehrung! Er hat mir nie geantwortet zu den Motiven, er hat sich konspirativ mit mir getroffen, gejammert, wie schlecht es ihm geht und wie Klasse das mit mir war ... mehr kann ich nicht sagen.

Frage: Ich habe eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Leiden vermißt. Das ist nicht reflektiert. Man liest nur von Lob, Selbstlob.

Anderson: Das Leiden schlug bei mir immer in Hyperaktivismus um.

Frage: Bert Papenfuß hat dir vorgeworfen, daß du wenig politisch ambitioniert warst. Du hast gesagt, red' nicht über andere Leute. Ist das bei dir angekommen?

Anderson: Das ist angekommen. Bert und ich sind da unterschiedlich, ich hab' mich immer politisch definiert, ich hab' mir da was vorgemacht, mich selbst belogen. Ich hab' mich durch das, was ich gemacht habe, begründet. In Kindheit und Jugend ist da vieles aufgerissen. Ersatzvater, Ersatzmutter, die Spaltung, an der ich erkrankt bin. In diese Zerrissenheit hat sich der Staat reingesetzt. Ich bin da anders als Bert.

Frage: Noch mal zu den eigentlichen Opfern, die Sie als Opfer der Geschichte bezeichnet haben ...

Anderson: Ich habe sie aufgezählt, wie ich an Ihnen versagt habe. Da gibt es große Eindrücke ...

Zwischenruf: Das sind doch nur Selbst- reflexionen!

Anderson: Ich kann nur an mir merken, an meinen Scheiterungen, wo das Ding langläuft. Wo bin ich unmoralisch gewesen, und wie ist das gekommen ...

Frage: Was ist der Hauptgrund für die Lüge ­ über Jahre hinweg?

Anderson: Angst, Furcht, Feigheit. Unheimlich pubertär, wie beim Rauchen auf dem Scheißhaus erwischt zu werden, vom Großvater ... Ich bin immer nur als Macher rumgerannt, der sogenannte Avantgardebegriff stammt ja aus dem Westen ... Unsinn!

Frage: Es taucht im Text nur einmal die Frage auf, gegenüber einer Geliebten, was wäre, wenn ich es ihr gesagt hätte, ich bin bei der Stasi. Ist das eine Strategie der Selbstbegrenzung?

Anderson: Es gibt keine Stragie der Selbstbegrenzung. Das ist doch Sprekkelsen! Es ist mir nicht möglich ... das Buch handelt nicht davon. Das ist seit zehn Jahren so, ich sitze an einem Tisch und alle Viertelstunde fällt das Wort Stasi.

Frage: Ist das nun ein literarischer Text oder eine Selbstanalyse?

Anderson: Ich würde das nicht bezeichnen. Ich mußte das schreiben, um alles mal zu erzählen, mir zu erzählen.

Frage: Wem wollen Sie was erzählen?

Anderson: Wer das kauft, wird es lesen wollen.

Frage: Aber an wen haben Sie gedacht?

Anderson: Ich habe keine konkrete Person im Kopf.

Frage: Sie greifen den Stasi-Autor an, er würde die Opfer denunzieren. Haben Sie die Deutungshoheit über die Opfergeschichte?

Anderson: Ich erkenne mich wieder in den Akten, ich meine den Text. Aber der Autor als Journalist ist denunziatorisch den Opfern gegenüber ... daß ich Denunziator war, ist klar! In den Opferakten und in meinen. Die Akten sind als Alternative zu lesen, das ist ein Angebot von mir.

Frage: Wieso sind die Opfer die „Verlierer der Geschichte"?

Anderson: Das finde ich nicht, aber ich sehe das sehr oft.

Frage: Können Sie verstehen, daß Ihre Ursachenforschung, für das, was Sie getan haben, eine Schuldabwälzung auf die Vätergeneration ist?

Anderson: Nein.

Frage: Sie haben doch den Charakter ihres Vaters beschreiben wollen und die Auswirkungen auf Sie. Ist das kein Schuldabwälzen?

Anderson: Nein, das mißverstehen Sie. Ich habe gelernt, nicht dazu zu stehen. Die Schuldfrage ist geklärt.

Frage: Sie sagen, es gibt nichts zu entschuldigen. Können Sie damit leben?

Anderson: Darüber möchte ich in der Öffentlichkeit nicht reden!

Frage: Aber das hat sich doch im öffentlichen Raum abgespielt! Reden wir mal über Reue, ich hab' das Buch gelesen, da ist über Reue und Leid nichts zu finden!

Anderson: Das empfinde ich anders. Gut, ich bereue. Das ist was sehr Privates, ich werde mich nicht hinstellen, vor 300 Leuten oder 50 ... (winkt ab)

Pressesprecherin: Keine weiteren Fragen?

Textdokumentation: Anne Hahn

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